"Ich war von dieser Gegend verzaubert"

Moderation: Liane von Billerbeck · 31.07.2011
Albanien liegt mitten in Europa und ist als Auswanderungsland kaum im Bewusstsein. Hoch in den kargen Bergen des Landes lässt der Regisseur Johannes Naber seinen Film über illegale Einwanderer nach Deutschland beginnen. Die Menschen dort leben noch sehr archaisch - wie vor 100 Jahren.
Liane von Billerbeck: Im Studio ist jetzt der Regisseur des Films "Der Albaner", Johannes Naber. Herzlich willkommen!

Johannes Naber: Hallo!

von Billerbeck: Man liest ja, dass Sie einen Film über Illegale in Deutschland machen wollten, und man hat auch das Gefühl, Sie schildern dieses brutale Leben so zwischen allen Grenzen sehr genau. Wie ist es Ihnen eigentlich gelungen, so weit in dieses Innere dieses ja eher gesetzlosen Lebens einzudringen?

Naber: Na ja, das sind Methoden des Dokumentarfilms, wo ich ja herkomme. Recherche betreiben, das heißt, versuchen, mit Menschen zu reden, die von diesen Schicksalen betroffen sind, und diese Schicksale sammeln und daraus versuchen, eine Essenz zu filtern. Das habe ich gemacht, über Jahre. Und der Film ist das Ergebnis davon.

von Billerbeck: Das ist ja auch eine Frage von Vertrauensbildung. Wie haben Sie es denn geschafft, dass die Ihnen vertraut haben?

Naber: Das war nicht so schwer, weil denen schnell klar war, dass ich etwas vorhabe, was irgendwie auch gut für sie ist. Ich will die ja nicht jetzt an die Öffentlichkeit zerren und ihre Identitäten enthüllen. Sondern es geht ja darum, auf ein generelles Problem hinzuweisen. Und die Menschen, die hier ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland leben, die sind mit Problemen konfrontiert, die wir uns überhaupt gar nicht vorstellen können.

Die wissen natürlich ganz genau, dass das in dieser Gesellschaft, in dieser normalen deutschen Gesellschaft einfach überhaupt noch nicht angekommen ist, oder im Bewusstsein drin ist, mit was für Schwierigkeiten diese Menschen hier zu kämpfen haben. Und die wissen, dass es wichtig ist, das zu kommunizieren. Das Problem ist, sie wissen nicht, wie. Wenn dann einer wie ich ankommt und sagt, ich will einen Film darüber machen, sind die eigentlich sehr offen, dankbar und sofort bereit, zu helfen und Auskunft zu geben.

von Billerbeck: Sie haben es gesagt: Sie kommen vom Dokumentarfilm, haben aber jetzt doch einen Spielfilm gedreht. Warum haben Sie sich entschieden, eben auf Fiction zu gehen und nicht auf das Dokumentarische?

Naber: Ich glaube sowieso, dass die Grenzen zwischen dem Dokumentarischen und dem Fiktionalen immer mehr verfließen und sich Mischformen bilden und so. Ich sehe da so diese ganz klare, große, hohe Mauer, die es irgendwann in den 80ern noch gab oder in den 90ern vielleicht auch noch, die sehe ich verschwinden.

von Billerbeck: Ist das gut?

Naber: Ich finde das super, weil ich glaube, dass der Spielfilm sehr, sehr viel vom Dokumentarfilm lernen kann. Ich glaube auch, dass der Dokumentarfilm sehr stark vom Spielfilm befruchten lassen kann – das passiert ja allenthalben. Und man sieht es ja, mit – sagen wir mal so – fiktionalisierten, nachgestellten Szenen in Dokumentarfilmen, was oft hilft, eine Sache richtig zu bebildern oder so. Genauso bei Spielfilmen: Wenn man das Gefühl hat, dass jemand ein Thema mit einem dokumentarischen Ernst behandelt. Ich glaube, dass das gut ist, dass sich das miteinander verwebt.

Für mich war irgendwann klar, einen reinen Dokumentarfilm zu machen über Illegale, verbietet sich für mich so ein bisschen, weil das bedeutet, dass man die Leute dann halt doch gefährdet. Und das ist mit der Verantwortung, die man als Dokumentarfilmer hat … für mich war das nicht vereinbar! Und dann war der Gedanke ja auch, dass man jemanden begleitet aus seinem Ursprungsland, wo er herkommt, nach Deutschland und zeigt, warum er diese Reise überhaupt antritt, und wie er sich dabei fühlt, und wie das ist, wenn man die Sprache nicht kann, und so weiter und so fort, und das ist …

von Billerbeck: … ist natürlich als Dokumentarfilm sehr schwierig.

Naber: … als Dokumentarfilm sehr schwierig! Es gibt auch tolle Dokumentarfilme, denen das gelingt, so was zu machen. Aber ich hatte das Gefühl, dass, um diese dramaturgische Dichte zu erreichen, um diese doch sehr komplexe Narration in anderthalb Stunden unterzubringen, kann man nicht mit dokumentarischen Mitteln da ran gehen. Das war der Grund, warum ich irgendwann angefangen habe, das zu fiktionalisieren und ein Drehbuch zu schreiben.

von Billerbeck: Ihr Film beginnt ja in Albanien, in einer idyllischen, kargen und bettelarmen Gegend in der Bergwelt. Wie sind Sie denn auf diesen Landstrich als Drehort gekommen? Warum soll es überhaupt Albanien sein?

Naber: Gute Frage, die habe ich mir natürlich auch gestellt. Zuerst war da die Frage, einen Film über die Sichtweise, die Perspektive eines Illegalen auf Deutschland zu machen. Wie sieht der unser Land? Das war ja die Grundaufgabe, und dann kam dazu: Man muss zeigen, wo er herkommt, warum er weg geht. Und dann dachte ich zuerst an Afrika und so.

Und dann irgendwann kam Albanien als – damals, 2001, als das losging, die Entwicklung dieses Films – als Migrationsland für mich so ins Bewusstsein, und mir war klar, dass ich gar nichts darüber weiß über das Land, und dass es so ein weißer Fleck auf der europäischen Landkarte ist, und dass das ganz vielen anderen Menschen auch so geht! Und das ist heute noch so! Obwohl das wirklich mitten in Europa ist! Das ist sehr nah.

Und das hat mich interessiert. Und darum bin ich da hingefahren und habe sehr viele Reisen unternommen. Nach der ersten Reise in dem Land war mir klar, dass das wohl das Land ist, über das ich erzählen will. Und da war mir noch nicht klar, wie ich das überhaupt tun soll, und irgendwann wurde mir klar: Das geht nur, wenn man sehr, sehr viel sich dort aufhält, die Kultur studiert, die Soziologie studiert und mit vielen Menschen redet.

von Billerbeck: Wie hat sich dann Albanien für Sie gezeigt? Was haben Sie da erlebt?

Naber: Na ja, zuerst Ist man natürlich in Tirana, in der Hauptstadt, und dann geht man so langsam in das Land – das ist schon ein Land, sehr stark zerrissen zwischen Archaik und Moderne, sage ich mal. Die Moderne, die mit großer Macht dort, nach der Wende, in das Land gekommen ist, konfrontiert mit Landstrichen wie in Nordalbanien, wo wir gedreht haben, die halt noch so aussehen wie vor 100 Jahren, und wo die Menschen auch noch so leben wie vor 100 Jahren, teilweise, in den entlegenen Gebieten. Das hat mich natürlich total verzaubert, als ich dann plötzlich in diese Gegenden kam, wo man sich irgendwie aus der Zeit genommen gefühlt hat, und wo die Menschen aus ihren Häusern auf einen zukamen und mit einem wirklich ehrlichen Interesse daran, was man da macht, und warum man in diese Gegend gekommen ist.

Und wenn man ihnen dann erzählt hat, was man vorhat, dann waren die hochinteressiert und fanden das spannend und haben einem alles angeboten, was sie haben: Man konnte da schlafen, man konnte dort essen, man konnte sich mit den Menschen unterhalten, Gastfreundschaft war immens, und die Hilfsbereitschaft war sehr groß. Ich war von dieser Gegend da oben einfach sehr schnell sehr verzaubert.

von Billerbeck: Ihr Hauptdarsteller, Nik Xhelilaj, der war ja einer der Aufsteiger, muss man sagen, der letzten Berlinale, und der ist ganz sicher ein Gewinn für Ihren Film. Der passt in diese Berglandschaft, und der passt auch in das Berlin, wo er ja dann arbeitet, um das Brautgeld zusammenzubekommen. Wie sind Sie auf den gekommen?

Naber: Den habe ich gefunden, so wie …

von Billerbeck: … einfach so?

Naber: … na ja, ich meine: Wer finden will, muss suchen! Ich habe ein Casting – viele Castings veranstaltet in Albanien. Das heißt, da es keine Castingagenturen gibt oder so was, bedeutet das, man muss wirklich tatsächlich bei null anfangen, das heißt, alle einladen, irgendwie katalogisieren, und dann so einen Prozess des Aussiebens so. Das klingt jetzt hart, aber das ist die einzige Möglichkeit, weil das …

von Billerbeck: Und was war das, was er hatte? Man muss doch so ein Gefühl haben: Ah, der stellt genau das dar, was du in diesem Film zeigen willst! Was war das?

Naber: Na ja, das war so eine vollkommen unverfrorene, angstfreie und sehr, sehr selbstüberzeugte Sichtweise auf sich selber und auf das, was er kann. Der kam rein, bei der ersten Probe, die wir gemacht haben mit ihm – und ich hatte allen angeboten: Wenn ihr Fragen habt … – Sie haben eine Szene bekommen, die sollten sie dann spielen, und so weiter, und so fort –, und ich habe allen gesagt: Wenn ihr Fragen habt zum Charakter, dann besprechen wir das vorher. Und ganz viele Leute hatten ganz viele Fragen; die wollten das wissen, wo kommt der her, wo geht der hin, wie fühlt der sich, und so weiter, und so fort. Und er hat gesagt: Nein, ich habe keine Fragen. Ich spiele das jetzt einfach irgendwie, lasst uns anfangen!

von Billerbeck: Zack!

Naber: Zack – Und wir haben drei Varianten davon gemacht, und die waren alle drei so, dass ich mit offenem Mund da saß und dachte: Alles klar, also – das ist wirklich unglaublich, was der da macht, der junge Mann. Und das habe ich sofort gemerkt, dass das exzeptionell ist, und dass das klar ist, eigentlich war es gleich klar.

von Billerbeck: Ihr Hauptdarsteller spielt ja den Albaner im Film. Er ist einer von vielen Illegalen in Deutschland. Man spricht von einer Million Menschen, die hier illegal leben, ohne Papiere, ohne Krankenversicherung in sehr schwierigen Bedingungen. Was müsste eigentlich passieren, um diesen Menschen tatsächlich zu helfen? Was haben Sie gelernt im Laufe ihres Films?

Naber: Na ja, man darf ihnen gewissen humanitäre Grundrechte einfach nicht verweigern. Das ist das Erste, was man machen muss. Also die Genfer Konventionen werden auf die nicht angewandt, sage ich mal …

von Billerbeck: Die Flüchtlingskonventionen.

Naber: Das sollte, sagen wir mal, der Mindeststandard sein! Man sollte sich klar darüber sein, dass diese Menschen da sind, Teil unserer Gesellschaft sind. Sie nicht verschweigen, sondern einfach sagen: Alles klar, die sind hier. Wir wollen nicht, dass noch mehr kommen. Oder wir wollen, dass noch mehr kommen – das ist eine politische Entscheidung, die mag ich nicht treffen. Aber die, die da sind, und die, die hier Teil unserer Gesellschaft sind, die muss man auch wie Menschen behandeln! Das heißt, man muss Ihnen die Möglichkeit geben, ein menschenwürdiges Leben zu führen! Damit geht es los.

von Billerbeck: Haben Sie denn Ihren Film in Albanien zeigen können? Und wenn ja: Wie ist er aufgenommen worden?

Naber: Ja, wir hatten Kinostart in Albanien Ende letzten Jahres. Und das war toll, weil die Albaner einen Film mit diesem Thema und diesem Titel natürlich als sehr, sehr identitätsstiftend wahrgenommen haben und dementsprechend …

von Billerbeck: Das wird jetzt der Nationalfilm in Albanien!

Naber: So ein bisschen, ja. Und man muss dazu sagen, dass Immigration wirklich das klassische, große Thema jedes zweiten Volksliedes, jedes Gedichtes, ganz viel Thema der Literatur und so weiter ist. Das ist einfach so verwoben mit diesem Land und der Geschichte, dass die Männer weggehen, in die Fremde, um zu kämpfen oder für die Familie zu sorgen, und die Frauen zuhause warten.

Das ist so ein klassisches Thema der Albaner. Und dementsprechend war auch die Erwartung so: Alles klar, da setzt sich ein Ausländer mit unserem klassischen Thema auseinander, wie ist das wohl? Und das wurde sehr gut aufgenommen! Ich habe oft die Stimme gehört, dass Leute sagten: Interessant, wenn jemand von außen auf das Ganze guckt, dann kann er eine ehrlichere Aussage treffen, als wenn man das von Innen heraus tut. Das war natürlich das größte Lob, was ich mir überhaupt erträumen konnte. Das ist in Albanien sehr gut angekommen, der Film. Es waren viele Leute im Kino – ich glaube, das war einer der erfolgreichsten Filme in den letzten Jahre, wenn nicht sogar der erfolgreichste albanische Film dort. Und, also alles super!

von Billerbeck: Johannes Naber war das, Regisseur des Films "der Albaner", der jetzt in unsere Kinos kommt. Danke Ihnen!


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