"Ich war vielleicht der Gegenpart von den Rolling Stones"

Moderation: Andreas Müller · 30.04.2008
Von Revolutionen und Rock 'n' Roll hat Hein Simons 1968 nicht viel mitbekommen. "Ich war ja damals viel zu jung", sagte Simons, der 1968 unter dem Künstlernamen Heintje mit drei Nummer-Eins-Hits ein wahrer Superstar war. Er habe wahrscheinlich das Bedürfnis nach heiler Welt befriedigt, so Simons. Aber "vielleicht für fünf oder zehn Minuten mal das Böse vergessen lassen", sei "gar nicht so schlecht".
Müller: "Mama, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen, Mama, einst wird das Schicksal wieder uns vereinen, ich werd' es nie vergessen, was ich an dir hab besessen, dass es auf Erden nur eine gibt, die mich so heiß hat geliebt - Mama." Das ist der Text zu dem größten Schlager 1968 vom wahren 68er, was die Popmusik angeht: Heintje nämlich. Tatsächlich: Drei Nummer-Eins-Hits hat er gehabt 1968, kein anderer in Deutschland mehr als er. Er ist gleich bei uns zu Gast und soll uns sein 1968 mal schildern in unserer kleinen Reihe zum historischen Jahr.

Heute setzen wir hier im Radiofeuilleton unsere kleine Reihe zum Jahr 1968 fort mit einem Mann, der wie kaum ein anderer das musikalische Jahr 68 in Deutschland geprägt hat - Hein Simons. Damals nannte er sich Heintje, und das hier war einer von drei Nummer-1-Hits.

(Musikeinspielung: Heintje: "Mama")

Müller: "Mama", 1968 einer der Nummer-Eins-Hits von Heintje. Zum Vergleich: Die Beatles kamen auf zwei Topplatzierungen, die Rolling Stones auf eine, und selbst Roy Black schaffte mit "Bleib bei mir" gerade mal eine Nummer 1. War also Heintjes Musik der wahre Sound von 68? Rock und Revolte blieben im deutschen Mainstream offenbar Randerscheinungen. Wie hat der große Star von einst das historisch so aufgeladene Jahr erlebt? Was bedeutete es für seine Karriere, sein Bewusstsein, und wie wirkt es vielleicht heute noch in das Leben des Hein Simons? All das und mehr kann ich ihn jetzt direkt fragen, er ist jetzt bei uns zu Gast. Schönen guten Tag, Herr Simons!

Hein Simons: Ich grüße Sie und natürlich ganz herzlich Ihre Hörer.

Müller: Das Phänomen "Heintje" explodierte 1968 in Deutschland förmlich. Wie haben Sie das damals erlebt?

Simons: Na ja, ich war damals jung, ich war 13 Jahre alt und ich habe das eigentlich alles so unbefangen mitbekommen. Ich war damals noch nicht so politisch, das waren für mich viele Randgeschehnisse. Ich war mit meiner Musik beschäftigt, ich war mit meinem Zuhause, mit meiner Familie beschäftigt und habe eigentlich nicht die großen Ohren gehabt für das, was links und rechts passierte.

Müller: Es heißt ja nun immer, die jungen Fans hörten plötzlich nur noch den harten Rock der Rolling Stones oder den eines Jimi Hendrix gehört. Ich habe mir mal alte Titelbilder der "Bravo", damals ja das unangefochtene Zentralorgan aller Pubertierenden, angeschaut, und da finde ich vor allem Uschi Glas, Roy Black, Udo Jürgens und ein Jahr später, '69, Sie dann gleich zwei Mal auf dem Titel. Das heißt doch, auch Teenager müssen Sie damals gehört haben.

Simons: Ja, ich hatte damals eigentlich, so ein bisschen heute ist das auch noch so, ziemlich das breite Publikum, das Publikum - sagen wir mal - von 1 bis 14, dann war eine kleine Pause, und dann ab 18, 20 ging es wieder aufwärts bis unendlich.

Müller: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das - ich habe manchmal das Gefühl - ein wenig unterschlagen wird, wenn zurückgeblickt wird in Funk und Fernsehen auf das Jahr '68 zum Beispiel? Ich habe den Eindruck, man sieht immer nur fliegende Steine und hört die Rolling Stones dazu.

Simons: Ja, wenn ich das manchmal so höre oder Berichterstattungen höre oder vor allen Dingen, wenn geschrieben wird über damals, dann habe ich auch das Gefühl, dass es so ist. Ich hatte das Gefühl nicht ganz so, ich glaube, ich war so ein bisschen der Gegenpart. Okay, die ältere Jugend war schon rebellisch und wollte das Alterprobte so ein bisschen erschüttern, aber ich glaube, es wird vielleicht auch ein kleines bisschen übertrieben.

Müller: Sie haben es gesagt, 1 bis 14 und dann die etwas Älteren wieder, das waren wahrscheinlich Ihre Fans. Wir sind 1968, Ende der 60er Jahre, etwas mehr als 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Es scheint, die westdeutsche Gesellschaft ist wieder aufgebaut, man sieht kaum noch Trümmer und Ruinen, aber die Menschen offensichtlich haben es immer noch nicht bewältigt, suchen offensichtlich nach Schönklang und Harmonie.

Simons: So ein bisschen heile Welt, ja, genau. Und vielleicht konnte ich das befriedigen, ich war vielleicht der Gegenpart von den Rolling Stones, von den sogenannten etwas progressiveren Kollegen.

Müller: Wie haben Sie die eigentlich wahrgenommen? Ich meine, Sie waren ein Superstar, Sie haben in Ihren besten Zeiten damals 40 Millionen Platten verkauft - in der Zeit, später kamen ja noch ein paar dazu. Waren Sie anerkannt bei den Kollegen, haben Sie das irgendwie mitbekommen?

Simons: Na, ich war damals viel zu jung eigentlich. Wenn die anderen feierten, dann ging ich meistens schon ins Bett und habe das alles nicht so richtig mitbekommen. Ich war ja erst 13 Jahre alt und Gott sei Dank oder ich finde es heute auch sehr gut, dass man viele Sachen von mir ferngehalten hat und das war auch gut so.

Müller: Ferngehalten - haben Sie dennoch ein bisschen was mitbekommen insofern, dass man vielleicht mal ein bisschen mit Neid geschaut hat auf diese Rebellen, auf diese komischen Typen, die nun plötzlich anfingen, die Gesellschaft auseinanderzunehmen?

Simons: Mir ging es ja ganz gut und ich hatte da keine negative Erfahrung. Ich war vielleicht auch noch zu jung, vielleicht wenn ich zwei, drei Jahre älter gewesen wäre damals, dann hätte ich das ganz gut gefunden oder einige Sachen zumindest ganz gut gefunden.

Müller: Hein Simons, damals nannte man ihn "Heintje" und er sich selbst natürlich auch. Er war der wirkliche Popstar des Jahres 1968. Im Deutschlandradio Kultur sprechen wir mit ihm über dieses spannende Jahr aber auch über das, was danach mit ihm passierte. Sie haben etwa Anfang der 70er Jahre mehr oder weniger aufhören müssen, da kam der Stimmbruch und es kam der Bruch auch in der Karriere. Wir dürfen vielleicht auch nicht die Filme vergessen, die es gegeben hat. Da wurden sechs Filme, glaube ich, gedreht innerhalb kürzester Zeit, ein Wahnsinns-Pensum. In dieser Post-68er-Phase, wie fühlten Sie sich da, als dieser Sturm vorbei war?

Simons: Insgesamt habe ich eigentlich nur ein Jahr Pause gemacht. Das große Problem ist natürlich, wenn du so erfolgreich warst wie ich damals ... Ich war ja, sagen wir mal, jetzt ohne überheblich zu sein, konkurrenzlos, denn alles, was ich machte - ob das jetzt Filme waren oder Schallplatten waren -, das lief hervorragend. Ich habe quasi eine Pause gemacht von 17 bis 18 Jahren, damit haben wir versucht, quasi einen Übergang zu schaffen vom Kind zum jungen Mann hin, und deswegen die Pause. Ich hatte das große Glück, dass sich meine Stimme mit verändert hat und nicht von heute auf morgen eine andere Stimme und ich deshalb aufhören müsste.

Ich habe eigentlich immer weiter gemacht. Und, wie gesagt: Als Kind war ich ziemlich konkurrenzlos, später dann, ab 18, sang ich natürlich in einer Sparte, wo viel mehr Konkurrenz da war, aber wenn man diese Verkaufszahlen, die ich danach, nach der Kinderzeit, heute verkaufen würde, wäre ich heute Nummer 1. Es ist Wahnsinn, wenn von Platten drei, vier Millionen Stück verkauft werden und dann auf einmal "nur noch", in Anführungsstrichen, 300.000, 400.000. Dann ist das ein Flop. Aber das ist eigentlich ein Witz.

Müller: Sie haben sich aber auch, was Ihr Repertoire anging, natürlich ein bisschen bewegt. Es war nicht mehr ganz so die heile Welt, die da besungen wurde. Hatten Sie manchmal auch ein bisschen die Nase voll davon?

Simons: Na ja, ich frage Sie, was will man anderes schreiben für einen Jugendlichen oder für ein Kind, der, sagen wir mal, das große Böse noch nicht erlebt hat, wenn es das gibt. Das sind ja auch so ein bisschen Erfahrungswerte, die ich damals als Kind nicht hatte. Es wäre Quatsch gewesen, da Problemtexte mit mir anzugehen oder solche Sachen. Ich war halt sehr familienorientiert, auch mit den Texten, und finde das im Nachhinein auch gut so. Wenn man sich dann später weiterentwickeln kann oder weiterentwickeln muss, das finde ich eine ganz normale Sache.

Müller: Sie haben vor einigen Jahren dann angefangen, sich eher im Bereich der sogenannten volkstümlichen Musik aufzuhalten, aufzutreten, zu singen. Da gibt es dann Lieder wie "Im tiefsten Dschungel fällt Schnee", da thematisieren Sie die Umweltproblematik. Wäre so was vielleicht ohne 68 heute gar nicht möglich, oder sehen Sie das anders? Wäre es auch ohne die Revolte möglich, dass ein Schlagersänger heute über solche Geschichten singt?

Simons: Ich weiß gar nicht, was eigentlich danach so groß passiert ist, außer vielleicht im Sexualverhalten, aber ich glaube, es ist doch wenig von damals, wenn ich das so nachverfolge, rübergekommen. Ich glaube ganz einfach, man sollte sich entwickeln und es wäre natürlich auch schön, wenn man sich entwickeln dürfte, das heißt, wenn Redaktionen oder Redakteure das auch mitmachen würden. Zum Beispiel den Titel "Im tiefen Dschungel fällt Schnee" hat kaum jemand gespielt, obwohl es ein sehr anspruchsvoller Titel ist, aber man wird da in so eine Schublade rein gesteckt und da darf man eigentlich nicht raus, obwohl man auf der anderen Seite verlangt, Mensch, mach doch mal was Anspruchsvolles oder mach doch mal was Gutes!

Müller: Sie hatten, das haben Sie selbst mal gesagt, Bombenverträge, und ich vermute mal, Sie müssten wahrscheinlich gar nicht mehr auftreten, gar nicht mehr arbeiten. Warum tun Sie es dennoch?

Simons: Weil es mir wahnsinnig viel Spaß macht und es klingt jetzt vielleicht wie eine Floskel: So lange wie noch Menschen da sind, die es gerne hören, drohe ich an, dass ich das noch ein bisschen weitermachen werde.

Müller: Ich sage jetzt mal, viele von den alten Fans, den damals schon alten Fans, die werden Sie ja nicht mehr haben. Das ist aus biologischen Gründen gar nicht mehr möglich. Wer hört Ihnen heute zu?

Simons: Wir hatten ja vorhin schon darüber gesprochen, dass ich doch eine ziemlich breit gefächerte Fangemeinschaft hatte. Es sind ja auch viele, die mit mir gleich alt geworden sind und deren Kinder mir heute schreiben: Mama war damals ein Fan und was Sie heute machen, finden wir auch ganz toll und super. Man hat dann mehrere Generationen, und das ist, was riesig Spaß macht, quasi das breite Publikum.

Müller: Wir haben heute eine Situation, in der in Deutschland - aber natürlich auch in anderen Ländern Europas - auch wieder eine gewisse Unsicherheit da ist, wo Menschen mit ökonomischen Problemen plötzlich zu kämpfen haben und Ähnlichem, also auch wieder Unsicherheit wie vor 40 Jahren eigentlich. Ist da für Sie wieder der Markt da, die Chance da, den Menschen etwas heile Welt zu geben? Spüren Sie das?

Simons: Es kommt darauf an, was man sich für Ziele setzt. Ich mache gerne Unterhaltung, ich unterhalte Leute gerne. Wenn ich es schaffe, in der Unterhaltung natürlich auch Anstöße zu geben, was man vielleicht besser machen kann oder so, mache ich das gerne. Ich weiß es nicht. Im Moment wird mir alles zu schwarz gesehen und vielleicht ist es da mal gut, wenn Leute da sind, die so ein bisschen versuchen, Hoffnung zu geben. Was ist ein Lied? Ein Lied hat noch nicht eine Welt verändert, aber vielleicht für fünf oder zehn Minuten mal das Böse vergessen lassen. Das ist vielleicht auch nicht so schlecht. Die anderen Kollegen machen dies, wir machen das.

Müller: Schauen Sie manchmal noch zurück auf diese verrückte Zeit oder ist das für Sie eigentlich ohne Belang?

Simons: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, jetzt im Nachhinein: Für mich war das damals alles ein bisschen viel wahrscheinlich, um das alles geistig so wahrzunehmen und aufzunehmen. Im Nachhinein habe ich da so Flashbacks und würde sagen, im Grunde genommen: Es war eigentlich eine schöne Zeit und für mich eine wahnsinnig toll Zeit natürlich.

Müller: Oder wurde für manche auch ein bisschen heile Welt zerstört?

Simons: Das weiß ich nicht. Ich meine, diese heile Welt wird immer mal zerstört werden. Ich glaube, dass es im Leben Aufs und Abs gibt. Ich habe die mitgemacht und jeder wird die mitmachen. Es ist nur die Frage, wie geht man damit um? Ich versuche das positiv zu machen und für mich ist es gut, und ich hoffe, dass Leute ... Das ist jetzt natürlich leicht zu sagen, wenn jemand kein Geld genug hat, um seine Familie zu ernähern und so weiter, das ist schlimm genug.

Auf der anderen Seite, man kann Folgendes machen: Man kann pessimistisch sein oder versuchen, das positiv umzusetzen und vielleicht ist das auch eine Möglichkeit. Und vielleicht, wenn wir das mit unseren Liedern machen können, wäre das gar nicht so schlecht. Ich habe gar nichts dagegen.

Müller: Hein Simons, der 1968 als Heintje der erfolgreichste Popstar Deutschlands war und heute ist er ebenfalls wieder erfolgreich unterwegs, den haben Sie gerade gehört.