"Ich schreib' einfach, weil es wichtig ist"

Von Bettina von Clausewitz · 14.06.2008
Sie sehen täglich schier unvorstellbare Dinge im Einsatz: Polizisten, quer durch Deutschland. Was machst Du, wenn Du gerade die Position der Leiche eines Kindes unter einem Lkw mit Kreide markiert hast? Frauen und Männer in Uniform schreiben sich die harte Realität von der Seele - im Internet.
"Ich schreib einfach, weil es wichtig ist. Aber es ist natürlich auch eine gute Möglichkeit, sich das Ganze von der Seele zu schreiben. Also man schreibt’s nieder, und dann braucht man nicht weiter drüber nachzudenken. Also gerade die schlimmen Sachen und die einen sehr belasten, mit toten Menschen oder toten Kindern – noch schlimmer - oder wo unheimlich viel Emotionalität im Raum war, die muss man irgendwie loswerden..."

"... Ich sehe mich meine Arbeit tun, stumpf, ohne Gefühl, alles erledigen, was getan werden muss. – Sehe meinen Kollegen und mich neben der Leiche des Großvaters knien, wie wir ihn herumrollen, um an das Portemonnaie in der Gesäßtasche zu kommen. Ich sehe, wie mein Kollege seine mit Urin und Kot verschmutzten Aids-Handschuhe ins Gras wirft, nachdem er die Hosentaschen des Toten durchsucht hat. ...
Ich sehe, wie mir jemand einen Notfallschokoriegel zusteckt und ich ihn geistesabwesend esse. Gut, dass ich schwebe und alles von fern wahrnehme, wäre ich in mir, mich würde es zerreißen."

"Schweben" hat Janine Binder dieses Ereignis aus ihrem Polizeialltag genannt. Ein schwerer Auffahrunfall mit Toten, eine von vielen Erfahrungen auf Streife, die sie zu Literatur verarbeitet hat. Denn die zierliche 27-Jährige mit der sanften Stimme hat schon zehn Jahre Berufserfahrung: zuerst auf dem Kölner Autobahnring und jetzt in der grauen Hochhaussiedlung Köln-Chorweiler. Polizeiobermeisterin Janine Binder ist eine von rund 150 Polizistinnen und Polizisten bundesweit, die beim Internetprojekt "Polizei-Poeten" mitmachen. Und dabei das Klischee vom immer coolen Profi in grüner Polizeiuniform gezielt demontieren:

"Man muss auf jeden Fall menschlich bleiben. Und dazu gehört auch eine gewisse Wut in manchen Situationen. Ich bin nicht der Robotermensch, der immer eiskalt bleibt, sondern ganz klar entgleitet mir auch mal die Stimme, wenn mich wer provoziert. Aber um mir diese Menschlichkeit zu bewahren, versuche ich das dann zu schreiben. Natürlich gibt’s auch superkorrekte Kollegen, die kaum Emotionen im Dienst zeigen, aber ob’s denen dann so gut dabei geht, weiß ich auch nicht."
"Mit dem Verbandskasten unter dem Arm riss ich die Tür auf und schaute links runter. Es waren sieben bis acht Stufen. Alles war voller Blut. Die Wand, die Treppe. Auf der untersten Stufe sah ich die Frau sitzen. Mit dem Rücken lehnte sie an der grauen Betonwand. ... Das Blut lief der Frau am Körper runter, tropfte auf das Podest, sammelte sich zur Lache. Dunkelrot. Oh je, Verbandskasten ist da zwecklos’, war mein erster Gedanke."

"Die Frau in Rot" heißt diese Geschichte vom Mord in einer Tiefgarage, die Volker Uhl als Autor für einen Kollegen aufgeschrieben hat. Der Freiburger Kriminalhauptkommissar Uhl ist Gründer des Internet-Projekts "Polizei-Poeten". Seit 2002 sammelt er die überwiegend autobiografischen Alltagsgeschichten aus dem Streifenwagen.

Einige von ihnen sind mittlerweile in erfolgreichen Taschenbüchern erschienen: "Die erste Leiche vergisst man nicht" und "Jeden Tag den Tod vor Augen". Geschichten aus beiden Büchern sind vor kurzem von der Stiftung Polizeiseelsorge in Wuppertal als Hörbuch herausgegeben worden. Denn Landespolizeipfarrerin Claudia Kiehn teilt die Anliegen der Polizei-Poeten: 40"

"Immer wenn ich mit Streife fahre erlebe ich, dass Bürgerinnen und Bürger, egal was Polizisten für Maßnahmen treffen, schimpfen einfach über das, was gemacht wird! Da wird ’ne Straße abgesperrt, weil ein Haus brennt und keiner fährt einfach vorbei, sondern jeder hupt oder motzt, und dann Polizisten zur Seite zu stehen und sie darin zu unterstützen, dass sie trotzdem ’ne sinnvolle und gute Arbeit machen, auch wenn sie vielfach von Bürgern nicht honoriert wird ..."

... das tut Claudia Kiehn seit mehr als zehn Jahren als Polizeiseelsorgerin. Seit 2004 leitet sie auch die Geschäftsstelle der Stiftung Polizeiseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland - die einzige in Deutschland.

Wir wollen niemanden "nach einem schweren Ereignis allein lassen", heißt es bei der Polizeiseelsorge. Ihre Seminarangebote zu Themen wie "Berufliche Langzeitbelastungen" oder "Todesbenachrichtigungen" sind gut besucht, ebenso die Stille-Seminare mit mehrtägigem Schweigen, erzählt Claudia Kiehn.

"Wenn ich das mal mutig sage, gibt es viele Chancen berufliche Deformationen zu bekommen. Und dann zu gucken, dass man seelisch gesund bleibt, finde ich schwierig, besonders weil man im Einsatz ja immer funktionieren muss. Da müssen die Gefühle immer unterdrückt werden, weil ich im Einsatz nicht die Wut, die Trauer, die Aggression an den Tag bringen darf. Die Gefühle sind aber da! Und die hinterher rein zu bringen wieder und nicht abzustumpfen oder plötzlich wahrzunehmen: In meinem privaten Leben zeige ich eigentlich gar keine Gefühle mehr."

... seelischen Deformationen vorbeugen - für die Polizeiseelsorge ist das ein Motiv, sich zum Sprachrohr der schreibenden Polizisten zu machen. Und für die Polizei-Poeten ein Grund, ihren Lesern einen intimen Blick hinter die Kulissen zu erlauben.

Manche Ereignisse haben sich tief eingegraben. So wie der vermeintliche "Härtetest", den Helmut Welz aus Göppingen als Berufsanfänger beim Tod eines Sechsjährigen erlebt hat.

"Ich fuhr mit Walter zur Unfallstelle. Als so genannter "Härtetest", wie Walter sich ausdrückte, musste ich unter den Laster, um den Endstand des Rades und die Lage der Kindsleiche mit weißer Unfallkreide zu markieren. (...) So machte ich die aufgetragene Arbeit. Ich konnte dabei nicht in das Gesicht des Jungen schauen. Mit Tränen in den Augen kam ich unter dem Laster hervor gekrochen. ... "

Tränen, die heute nicht mehr versteckt werden müssen, auch das veranschaulichen die Polizei-Poeten. Im Juli erscheint das dritte Buch, in dem Polizistinnen von 50 Jahren "Frauen bei der Polizei" erzählen. Die Kölnerin Janine Binder ist eine von ihnen. Für sie ist der Imagewandel längst Realität, auch durch die Präsenz der Polizeiseelsorge.

"Das ist so eine wichtige Entwicklung in den letzten paar Jahren bei der Polizei, dass man eben nicht mehr der harte Mann sein muss und mit allem klarkommen muss, sondern dass es Hilfestellungen gibt, wenn man etwas Gravierendes erlebt hat. Dass eben der Seelsorger rauskommen kann, vor Ort. - Ich hab zum Glück noch nicht den Punkt erreicht, dass ich sage: So jetzt brauche ich Hilfe. Aber wenn’s soweit kommen sollte, leisten die ’ne ganz super Arbeit."

Mehr zum Projekt Polizei-Poeten und zur Polizeiseelsorge im Internet:
www.polizei-poeten.de
www.stiftung-polizeiseelsorge.de