"Ich muss es für meinen Vater und seine Begleiter tun"

Michael Buback im Gespräch mit Joachim Scholl · 29.09.2010
Im Herbst steht die RAF-Terroristin Verena Becker erneut vor Gericht: Der Prozess soll klären, ob sie 1977 am Mord des damaligen Generalbundesanwalts Siegfried Buback beteiligt war. Dessen Sohn Michael Buback ist überzeugt, dass sie die Täterin ist.
Joachim Scholl: Sie wurde 1977 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wegen des Mordes an einem Polizisten, die RAF-Terroristin Verena Becker. Nie juristisch geklärt wurde ihre Beteiligung an dem Mord am damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback. 1989 begnadigt wurde Verena Becker im vergangenen Jahr erneut verhaftet aufgrund neuer Indizien, die nahelegen, dass sie doch Mittäterin war. Im kommenden Herbst beginnt deshalb in Stuttgart-Stammheim ein neuer Prozess, Nebenkläger ist der Sohn von Siegfried Buback, Michael Buback. Mit ihm sind wir jetzt verbunden, guten Morgen, Herr Buback!

Michael Buback: Guten Morgen, Herr Scholl!

Scholl: Was erwarten Sie, was erhoffen Sie sich von diesem Prozess, Herr Buback? Glauben Sie, dass jetzt endlich geklärt und juristisch festgestellt wird, wer Ihren Vater und die zwei Begleiter ermordet hat?

Buback: Ja, ich habe die große Hoffnung, dass das geschieht. Vielleicht kurz zur Darstellung des Sachverhaltes: Also wir haben nicht 33 Jahre lang uns für die Aufklärung interessiert, vielmehr waren wir 30 Jahre lang nach der Tat im vollen Vertrauen, dass die zuständigen Behörden die Tat optimal, bestmöglich aufklären würden. Dann haben sich vor drei Jahren Zweifel ergeben und wir wurden – was für uns sehr demütigend ist – aus Terroristen-, von einer Terroristenseite auf diese Missstände hingewiesen und nicht von der zuständigen Behörde. Und es hat sich nun herauskristallisiert, dass die drei einzigen wegen des Karlsruher Attentats verurteilten Personen, also Klar Mohnhaupt und Folkerts, dass sie mit höchster Wahrscheinlichkeit oder fast mit Sicherheit nicht auf dem Motorrad gesessen haben, von dem aus die Tat begangen wurde.

Was also bedeutet, dass die unmittelbaren Attentäter keinen Tag für dieses schwere Verbrechen in Haft waren. Sie können sich vorstellen, dass das für uns entsetzlich war. Es bleiben dann nun drei Täter übrig, das sind dann Sonnenberg, Verena Becker und Wisnewski, die könnten das gewesen sein. Bei Wisnewski hat sich nun kein weiterer Tatverdacht ergeben, es wird ja seit drei Jahren gegen ihn ermittelt, sodass eben jetzt eigentlich Sonnenberg und Verena Becker im unmittelbaren Verdacht … Das sind an sich die in meinen Augen einzigen dringenden Tatverdächtigen und wir haben eben jetzt im Rahmen dieser Ermittlung feststellen müssen, dass es sehr viele Hinweise offenbar, weil eine weibliche Mittäterin …

Scholl: … was sind das für neue Indizien, die jetzt also auch Verena Becker belasten, auch zu diesem neuen Verfahren geführt haben, Herr Buback?

Buback: Wissen Sie, das Schlimme ist ja: Die Verfahren, da also bislang die Täter, die wirklich die Tat ausgeübt haben, verübt haben, nicht vor Gericht waren, sind natürlich fast alle diese Aussagen nicht vor Gericht vorgetragen worden. Also wir haben jetzt etwa 20 Hinweise auf eine weibliche Mittäterin und dennoch wurden uns seit 33 Jahren nur Männer als Täter, tatbeteiligt genannt. 19 Augenzeugen haben eine Frau auf dem Motorrad gesehen, und von denen elf am Tattag und teils sogar während des Attentats. Und das Schlimme ist, dass all diese Augenzeugen, die auch damals das schon berichtet haben – nur findet sich das nicht in den Akten –, die waren alle nicht zu den Prozessen geladen, sodass die Richter und die Verteidiger diese Information nicht hatten.

Was jetzt Verena Becker konkret angeht: Sie wurde mit keinem der Augenzeugen zu einer Gegenüberstellung geholt. Dabei wurde sie am Vortag des Attentats in Karlsruhe erkannt. Auch diese Beobachtung, dass sie erkannt worden war, blieb Jahrzehnte verborgen. Und dabei, Verena Becker und Sonnenberg wurden ja einen Monat nach der Tat festgenommen. Sie hatten die Karlsruher Tatwaffe bei sich, sie hatten einen Schraubendreher, einen Suzuki-Schraubendreher, der am Bordset des Tatmotorrads fehlte, bei sich und in einem der Täter-Motorradhelme findet sich eine Haarspur, die identisch mit Haarspuren von Verena, in Verena Beckers Haarbürste ist, und die, in der Bürste sind nachweislich ihre Haare. Wissen Sie, es ist so, es ist so erschreckend, dass sich all diese Hinweise praktisch aufgelöst haben.

Scholl: Herr Buback, die Geschichte also der bisherigen Ermittlungen, die wirft ja auch viele Fragen auf. Eindeutig wurden Akten manipuliert, das ist jetzt auch wirklich festgestellt worden, zum großen Teil vernichtet sogar 1994. Man kann das interpretieren zum Schutz von Verena Becker. Wer hätte denn Ihrer Meinung nach Interesse daran?

Buback: Also ich bin froh, dass Sie das so klar sagen, denn bislang war es ja so: Ich habe auf diese Missstände hingewiesen schon seit drei Jahren, ich bin scharf kritisiert worden. Seit, vor … Ende 2008 in der Pressekonferenz hat die Generalbundesanwältin gesagt, kein Tatverdacht gegen Verena Becker und das Verfahren würde dann wohl bald eingestellt werden. Ich wurde dann daraufhin in der Presse als laienhaft traumatisiert oder als jemand, der Verschwörungstheoretikern auf den Leim gegangen sei, dargestellt. Und inzwischen hat die Behörde nun eine Kehrtwende getroffen. Also ich wäre froh, wenn dieser Umstand, dass also meine Anmerkung, meine Bedenken nicht laienhaft sind, sondern sie inzwischen geteilt werden. Das ist der erste Schritt und dann kann man überlegen, wer dahinterstand.

Nicht, Sie sprechen das an jetzt, dass es klar ist, dass furchtbare – das ist ja eine der neueren Erkenntnisse, das ist ja auch publiziert worden –, es gibt ja diese Verfassungsschutzakte, die nun so lange gesperrt war, und da drin soll ja stehen, wie das abgelaufen ist. Nun hat – also wie die Tat und die Täter abgelaufen ist, wer die Täter waren. Und sie können sich das Entsetzen vorstellen, das meine Frau und ich hatten, als wir dieses Vernehmungsprotokoll der Quelle, bei der es sich ja wohl zweifellos um Verena Becker handelt, durchgelesen haben, da steht das überhaupt gar nicht drin. Da werden die Täter nicht genannt, sondern die Täter stehen in einem Auswertevermerk, der zu dieser Vernehmung angefertigt ist. Also in dem Auswertevermerk, der nur auf der Vernehmung beruht, steht mehr drin. Und da diese Akten vollständig sind – das hat uns Bundesinnenminister Schäuble damals mitgeteilt –, bedeutet das für mich zwingend, dass etwas hinzugegeben ist. Also es ist hinzugegeben worden die Namen von drei Tätern. Das wirkt sich natürlich zum Schutze von Verena Becker aus.

Scholl: Aber warum, Herr Buback? Wer hat denn ein Interesse daran Ihrer Meinung nach?

Buback: Schauen Sie, da müssen Sie jetzt beim Verfassungsschutz nachfragen. Die Tatsache ist nur: Wenn drei Männer genannt werden, bedeutet das automatisch, Verena Becker kann es nicht gewesen sein. Wenn man aber nun behauptet, ohne dass sie es sogar ausgesagt hat, dass sie nun mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet hat, wird sie früher gnadenwürdig. Sie ist ja auch nach erstaunlich kurzer Zeit dann begnadigt worden.

Und wissen Sie, was mich natürlich wieder schockiert, ist, dass es jetzt auch in der Anklage, die also jetzt vor einigen Monaten an das Oberlandesgericht Stuttgart gegangen ist, heißt es: Der Anschlag wurde von drei männlichen Mitgliedern der RAF verübt. Ich frage mich, warum man immer noch darauf beharrt. Nicht, man kann doch, man muss doch jetzt den Zeugen, den vielen Zeugen, die eine zierliche Frau und einen großen Mann auf dem Fahrtmotorrad gesehen haben, die Chance geben, wenigstens einmal das in einem Prozess zu sagen. Man kann doch jetzt nicht eine Vorfestlegung treffen. Und schauen Sie, meine Sorge ist: Wenn die Bundesanwaltschaft schon sagt, es waren drei Männer, dann kann es wiederum nicht Frau Becker gewesen sein, dann werden natürlich die Anwälte von Verena Becker glücklich sein, die werden sagen, wunderbar, wir sind auch der Meinung!

Scholl: Herr Buback, es gibt die berühmte Figur von Heinrich Kleist, den Michael Kohlhaas, der Gerechtigkeit fordert um jeden Preis. Man hat Sie, Herr Buback, in der Vergangenheit verschiedentlich so dargestellt, Sie haben selbst schon erzählt, wie Sie damals bei der Pressekonferenz sozusagen kritisiert wurden und … Trifft Sie eigentlich dieser Vorwurf?

Buback: Er trifft mich eigentlich nicht, weil er unzutreffend ist. Erstens mal habe ich da nicht jahrelang darauf insistiert. Ich denke, mein Vater und seine beiden Begleiter verdienen es, dass dieser Mord aufgeklärt wird, und ich glaube auch, dass er leicht aufzuklären ist. Die Schwierigkeiten sind ja nur dadurch aufgetreten, dass es sehr viele völlig unzulässige Eingriffe gab. Und was jetzt unsere persönliche Sache angeht: Für uns, wir, braucht nichts mehr zu geschehen.

Die Familie Buback, also wir haben uns intensiv damit beschäftigt. Wir sind mit 99-prozentiger Sicherheit, wie auch einer der Zeugen, der eine Frau gesehen hat, sind wir überzeugt, dass wir wissen, wer die Tat ausgeführt hat, wer auf dem Motorrad saß. Also für uns ist die Sache klar. Ich denke nur, dass es dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland sehr gut ansteht, wenn aufgeklärt, wenn die Tat wirklich geklärt wird, dieses gravierende Verbrechen, und wenn auch geklärt wird, warum es so lange gedauert hat. Und ich denke, das wird dann auch sich zeigen, dass es sehr, sehr wenige Menschen allerdings in bedeutender Funktion gab, die nicht korrekt gehandelt haben.

Scholl: Auf zweieinhalb Jahre ist der Prozess ungefähr terminiert, Herr Buback, zwei Verhandlungstage pro Woche. Sie leben in Göttingen, der Prozess findet in Stuttgart-Stammheim statt, als Nebenkläger müssen Sie aber da sein. Ich meine, das … Warum tun Sie sich das an, das ist doch eine enorme Belastung für Sie auch und Ihre Familie?

Buback: Ja, das frage ich mich auch, warum wir uns das antun. Nicht, viele Leute meinen jetzt, auch dieses Bild des Michael Kohlhaas … Aber wir haben einfach festgestellt: Wenn wir oder wenn ich mich dort nicht einsetze, da geht gar nichts weiter. Und inzwischen bin ich nun natürlich schon sehr kundig über diesen Sachverhalt. Wenn man sich drei Jahre, ich hab ja im Schnitt drei Stunden pro Tag, das ist sicher das, was ich aufwenden musste, und es ist furchtbar, dass man es überhaupt Angehörigen zumutet, dass sie das tun müssen. Ich hatte natürlich vor drei Jahren gehofft, nachdem die Missstände klar wurden, da würden jetzt die Behörden sofort darauf zugehen und das zügig aufklären.

Und jetzt mit dem Prozess, natürlich habe ich volles Vertrauen in die Richter, aber ich denke auch, dass ich gerade aufgrund der vielen Zeugen, die sich nun an mich gewandt haben, weil sie gemerkt haben, dass die Behörden ihre Aussagen einfach nicht aufnehmen, dass sie dort irgendwie versickern und verschwinden, deshalb meine ich sollte ich da sein. Ob ich das kräftemäßig schaffe, weiß ich nicht. Ich stehe ja noch voll im Beruf und ich finde es sehr bitter, dass uns Angehörigen das abverlangt wird. Aber ich sehe einfach keine Möglichkeit herauszukommen, sonst würde man vielleicht sagen, gut, das haben wir uns gleich gedacht, dass da nichts dran ist. Das … ich muss es für meinen Vater und seine Begleiter tun, weil ich nicht sehe, wer es sonst für mich tut.

Scholl: Im Herbst beginnt ein neuer Prozess gegen Verena Becker wegen Mittäterschaft an der Ermordung von Siegfried Buback. Michael Buback, sein Sohn, ist Nebenkläger im Verfahren. Ich danke Ihnen für das Gespräch, alles Gute, Herr Buback!

Buback: Bitte schön, danke.
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