"Ich möchte ein emotionales Erlebnis"

Hans-Christian Schmid im Gespräch mit Britta Bürger · 14.02.2012
In "Was bleibt" sei der Fokus auf das Thema Familie gerichtet, erklärt Regisseur Hans-Christian Schmid. Dabei sucht er nach Konflikten: Er käme nicht auf die Idee, einen Film über eine glückliche Familie zu machen. Schmid war schon mehrfach auf der Berlinale: Mit "Lichter", "Requiem" und "Sturm".
Britta Bürger: Drei Berliner Filmemacher haben es in diesem Jahr in den Wettbewerb der Berlinale geschafft, konkurrieren dort also um die begehrten Bären, wie Christian Petzold und Matthias Glasner ist auch der Regisseur Hans-Christian Schmid bereits ein alter Bekannter, das heißt, nicht zum ersten Mal dabei.

"Was bleibt" heißt sein Familiendrama, das heute bei der Berlinale seine Weltpremiere hat. Herr Schmid, herzlich willkommen im "Radiofeuilleton"!

Hans-Christian Schmid: Hallo!

Bürger: So ein Filmfestival ist ja anders als ein Sportwettbewerb: Wenn der Film eingereicht ist und das internationale Publikum ihn zu sehen bekommt, dann sind Sie dem Lauf der Dinge ausgeliefert, können nichts mehr machen. Wie geht es Ihnen damit?

Schmid: Ach, eigentlich sehr gut. Ich bin natürlich ein bisschen nervös, das ist ja klar. Es gibt diesen einen Termin, an dem ein Film sozusagen auf die Welt kommt. Es ist nicht wie bei einem Kinostart, wo man so ganz allmählich merkt, wie der Film ankommt, sondern es ist hopp oder topp.

Bürger: Berlinale-Chef Dieter Kosslick hat verkündet, dass man bei dieser Berlinale nicht auf große Kommentare zur Finanz- und Bankenkrise warten sollte, und auch Sie bestätigen das ja mit einem Familiendrama. Wie ist das, bekommt die Familie in diesen unsicheren, auch unüberschaubareren Zeiten wieder einen höheren Stellenwert?

Schmid: Ja, es ist immer merkwürdig mit dem Versuch, den Filmen so eine Tendenz abzugewinnen, weil wir natürlich alle voneinander nichts wissen, wie wir arbeiten weltweit, und weil wir ja auch eigentlich immer nur mit Verzögerung auf das reagieren, was uns beschäftigt. Also eigentlich müsste dann der Schwerpunkt eines Festivals immer etwas hinterher sein, aber ich glaube eigentlich nicht so sehr an die Theorien. Bei mir ist es einfach nur so, dass ich sagen kann, Bernd Lange, der Drehbuchautor von "Was bleibt" und auch der Co-Autor von "Sturm", wir wollten einen anderen Film machen, nachdem wir Sturm gemacht hatten.

Da musste viel recherchiert werden, da ging es um komplexe Zusammenhänge, um internationales Völkerrecht, und wir wollten diesmal wirklich auf die Familie schauen und ins Private gucken, wobei das ja auch immer politisch ist, es ist ja nie nur privat. Und so kann einfach ich nur sagen, für mich ist "Was bleibt" eben in dieser persönlichen Linie von Filmen eher zu sehen, als dass ich mir immer denken würde, okay, wie kann ich jetzt reagieren auf die politische Situation in der Welt.

Bürger: Familie ist der Ort größter Geborgenheit und tiefster Verunsicherung, so heißt es im Trailer des neuen Films, der heute Nachmittag bei den internationalen Filmfestspielen eben dann uraufgeführt wird. "Was bleibt" der Titel des Familiendramas, hochkarätig besetzt mit hochkarätigen Schauspielern: Corinna Harfouch spielt eine psychisch angeschlagene Mutter, Lars Eidinger ihren hilflosen Sohn und Ernst Stötzner den Vater und Ehemann. An einem gemeinsamen Wochenende bricht dieses Familiengefüge völlig unvorhergesehen auseinander. Welche Konflikte kommen da an die Oberfläche?

Schmid: Na ja, das ist eine Familie, die in den letzten Jahren versucht hat, Dinge unter den Teppich zu kehren, da sollte jemand geschont werden, und jetzt an diesem Wochenende beobachten wir, dass ein Familienmitglied sagt, ich verändere das jetzt alles, ...

Bürger: Die Mutter?

Schmid: ... - die Mutter -, ab jetzt ist es nicht mehr so, ich fühle mich gesund, ich möchte zu euch gehören. Und damit können die anderen nicht oder nur sehr hilflos umgehen. Die Veränderung, glaube ich, ist einfach zu groß und zu unvorhersehbar, als dass es ihnen möglich wäre, so drauf zu reagieren, wie man sich es wahrscheinlich erwarten oder erhoffen würde. Und das führt dazu, dass innerhalb von sehr kurzer Zeit sehr viel an die Oberfläche kommt.

Bürger: Die Konflikte, die untergründig in Familienstrukturen oder auch in Gesellschaftsstrukturen lauern, die ziehen sich ja wie so ein roter Faden durch Ihre Filmografie. In "Requiem", da war es der Aspekt des Glaubens, in "Sturm", da war es das Kriegstrauma. Warum interessieren Sie sich immer dafür, oder immer wieder dafür, Verdecktes offenzulegen?

Schmid: Na ja, das sind natürlich an sich Geschichten, die man besser erzählen kann. Ich suche ja natürlich nach Drama, nach Konflikten, nach einer Entwicklung. Ich käme nicht auf die Idee, einen Film jetzt - sagen wir mal - in dem Falle über eine glückliche Familie zu machen. Es ist also fast naheliegend, dass etwas an die Oberfläche kommt, dass Dinge sozusagen erscheinen oder auftauchen, von denen man vorher nichts wusste.

Man versucht eigentlich immer, die Phase in dem Stoff zu erwischen, in dem irgendetwas, irgendein Ereignis so auf eine Krise zuläuft, und genau so ist es auch in "Was bleibt". Und ansonsten habe ich oft ganz unterschiedliche Ansätze.

In einem Film wie "Sturm", da war das gar nicht so sehr das Völkerrecht oder dieser Gerichtshof, der mich vordergründig interessiert hat, sondern dass es bei der Hauptfigur, bei dieser Anklägerin, auch um etwas geht wie Idealismus oder Integrität. Man entdeckt dann so ein Thema erst auf den zweiten Blick. Insofern ist "Sturm", auch wenn er so politisch wirkt, auch eine private Geschichte, genau so, wie man jetzt bei was bleibt, bei der Familiengeschichte sagen könnte: Nein, das ist nicht nur Familie intern, sondern das ist auch, - die Hauptfigur Marco steht für eine Generation der Mittdreißiger, die in Städten wie Berlin leben. Die Eltern stehen für Menschen, die es geschafft haben, in den 70ern, 60ern zu Wohlstand zu kommen und den Kontakt aber auch zu ihren mittlerweile längst erwachsenen Kindern langsam verlieren. Ich sehe das schon immer sehr zusammenhängend und das Private auch eingebettet im Gesellschaftlichen und Politischen.

Bürger: Ist er ihre Identifikationsfigur?

Schmid: Die Figur Marco ist natürlich so etwas wie die Identifikationsfigur von Bernd Lange, dem Autor, und mir. Es ist auch genau der Blick natürlich der Kindergeneration, also der Mitte 30-Jährigen auf die Eltern. Das merkt man auch diesem Buch an, es gibt zum Beispiel keine Szenen nur mit dem Elternpaar alleine, wir sind entweder immer bei Marco oder bei Jakob und kommen eigentlich mit Marco in dieses Elternhaus und erleben aus seiner Perspektive dieses Wochenende mit.

Bürger: Halbzeit bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin, wo im heutigen Wettbewerb der zweite deutsche Beitrag zu sehen sein wird, der Film "Was bleibt" von Hans-Christian Schmid, mit dem wir hier im Deutschlandradio Kultur vorab im Gespräch sind.

Auffällig ist ja auch, Herr Schmid, dass es ihn Ihren Filmen häufig um Frauen geht, die unterzugehen drohen in von Männern geprägten Strukturen, in "Requiem" eben die katholische Kirche, in "Sturm" sieht sich die Staatsanwältin mit dem Machismo auf dem Balkan konfrontiert, aber auch am Gericht in Den Haag ist sie eher so eine Einzelgängerin.

Und jetzt in dem neuen Film geht es letztlich um einen bürgerlichen, aber doch patriarchalisch geführten Haushalt. Woher kommt Ihr starkes Interesse für Frauenschicksale?

Schmid: Da bin ich ehrlich gesagt nicht mal ganz sicher, also vor allem weil ich auch nicht so arbeite, dass ich mir zuerst so was zurechtlegen würde, es muss also versteckte Gründe geben, und jetzt hätte ich natürlich auch gerne Bernd Lange hier sitzen, der als Autor mal was dazu sagen könnte, wieso uns Frauenfiguren möglicherweise in den letzten Jahren mehr interessiert haben als Männerfiguren.

Wobei in "Was bleibt" ist es ja schon ein männlicher Hauptdarsteller. Gitte, seine Mutter, wirkt vorübergehend wie die Hauptfigur, das stimmt, sie ist diejenige, die Mut beweist, die Dinge anstößt. Die Männer in diesem Haushalt sind eher - wie soll man sagen - so ein bisschen, die sind, ja, die haben Defizite, eigentlich fast mehr als die Mutter.

Vielleicht entspricht es im wirklichen Leben auch den Tatsachen, dass Frauen oft stärker sind, oft besser mit solchen Situationen umgehen können und gleichzeitig noch etwas öfter auch gegen Dinge zu Kämpfen haben, die für Männer scheinbar sich längst erledigt haben.

Also jetzt im Fall von "Was bleibt" glaube ich schon, dass es eher die Müttergeneration ist, die sich damit konfrontiert sieht, dass der Mann sozusagen die Brötchen verdient, der geht nach außen, der steht im Berufs- oder Geschäftsleben, und jemand wie Gitte hat die Kinder erzogen, dann war irgendwann das Haus leer und jetzt ist es sozusagen zurückgeworfen auf ein nicht gelebtes Leben.

Bürger: Es gibt ja bestimmte Szenen in dem Film, die auch stark emotional berühren. Wie geht Ihnen selbst das, wenn Sie die im Schneideraum schon x-mal gesehen haben? Funktioniert das dann immer wieder, dass Sie merken: Oh, hier ist was, das berührt mich?

Schmid: Nein, leider nicht. Das ist wirklich vielleicht der Nachteil, wenn man an seinem eigenen Film arbeitet, dass man ab einem bestimmten Punkt das überhaupt nicht mehr beurteilen kann. Und da hoffe ich dann immer sehr auf die Menschen, von denen ich umgeben bin, dass ich von denen ein ehrliches Urteil bekomme. Oder es gibt hin und wieder dann eine Vorführung, wo dann über das Technische Beurteilen des Schnitts hinaus doch so was noch mal auftaucht wie eine Emotion. Jetzt ...

Bürger: Aber Sie haben es ja angelegt in bestimmten Szenen darauf.

Schmid: Ja, ja, also das erwarte ich mir, wenn ich ins Kino gehe. Ich möchte ein emotionales Erlebnis, ich möchte lachen oder heulen, aber eines von beiden, oder beides zusammen am besten, soll es schon sein.

Bürger: Sie haben die Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Bernd Lange jetzt schon mehrfach erwähnt, eben angefangen von "Requiem" über "Sturm" bis hin zu dem neuen Film "Was bleibt". Warum funktioniert diese Zusammenarbeit anscheinend besonders gut?

Schmid: Na ja, um mit einem Autor zusammenzuarbeiten, ist wichtig, dass man eine ähnliche Wellenlänge hat, dass wir uns gut verstehen, was aber nicht bedeutet, dass wir immer ein und dieselbe Meinung haben zu bestimmten Themen, und natürlich auch, dass er eine Qualität hat beim Schreiben, die mir gefällt und die vielleicht auch in etwa der Art entsprechen würde, wie ich selber schreiben würde.

Und das ist einfach nur ein großes Glück, wenn man so jemanden kennt, vor allem, wenn es einem wie mir schwerfällt, allein zu schreiben. Das ist dann offenbar doch so eine Seelenverwandtschaft, die es da geben muss.

Bürger: Hans-Christian Schmid, herzlichen Dank für Ihren Besuch bei uns!

Schmid: Gerne!

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