"Ich klage an"

Vorgestellt von Anne Winter · 18.05.2005
Morde im Namen der Ehre, Zwangsheiraten - die Lebensumstände muslimischer Frauen in Deutschland sind Thema zahlreicher Veröffentlichungen in den letzten Monaten. Erst Anfang des Jahres sorgte das Buch "Die fremde Braut" der Hamburger Soziologin Necla Kelek (KiWi) für reichlich Diskussionsstoff.
Der Piper-Verlag greift den Boom heute gleich mit zwei Neuerscheinungen auf. Das eine Buch trägt den Titel "Erstickt an euren Lügen" von Inci Y., Pseudonym einer 35-jährigen Tochter türkischer Migranten, die das Schweigen um ihre von Zwang und Gewalt geprägte Lebensgeschichte in Deutschland lüftet.

Das andere nennt sich schlicht aber nicht weniger reißerisch "Ich klage an". Das "Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen" hält die niederländische Parlaments-Abgeordnete Ayaan Hirsi Ali, ebenfalls 35 Jahre alt, aber somalischer Herkunft. Als Co-Autorin des Films "Submission" ist sie nach dem Mord an dem Regisseur Theo van Gogh ebenfalls mit dem Tod bedroht worden und monatelang untergetaucht. Seit Januar hat sie ihre politische Arbeit unter Personenschutz wieder aufgenommen. In den Niederlanden ist ihr Buch bereits im letzten Jahr erschienen.

Eins muss man Ayaan Hirsi Ali lassen: Trotz Morddrohungen lässt sie sich nicht einschüchtern. In den Niederlanden tritt sie seit Jahren mit provozierenden Äußerungen zum Islam in Erscheinung.

Das soeben auf Deutsch erschienene Buch "Ich klage an" trägt eine Reihe von ihren Artikeln, Ansprachen und Interviews zum Thema "Frau und Islam" zusammen. Die muslimische Frau, auch im Westen, ist in der Regel zu einer Art Sklavinnendasein verdammt, und die Ursache dafür sei in der Religion zu suchen, erklärt die gebürtige Somalierin in dem Essay "Der Jungfrauenkäfig". Weil im Islam geradezu zwanghaft an der Vorstellung festgehalten werde, eine Frau müsse als Jungfrau in die Ehe gehen, hätten sich in der muslimischen Gesellschaft perfide Kontrollmethoden entwickelt:

"Die Jungfräulichkeit junger Frauen wird auf mehrere Arten geschützt. Die erste Möglichkeit ist Hausarrest ab der Pubertät. Um ihre Jungfräulichkeit zu gewährleisten, werden Millionen von muslimischen Frauen zum Verrichten häuslicher Arbeiten und zu ewiger Langeweile verurteilt. "

Die extremste Garantie der Jungfräulichkeit ist die Beschneidung und anschließende Vernähung der Frau, führt die Autorin weiter aus. Diese in afrikanischen Ländern gängige Praxis lässt sich allerdings nicht aus dem Koran ableiten. Als Thema zieht sie sich dennoch wie ein blutroter Faden auch durch andere Beiträge des Buches.

Die Textsammlung enthält sogar den Antrag für ein staatliches Kontrollverfahren. Indem sie ihre Töchter jährlich untersuchen lassen müssen, könnten Einwandererfamilien daran gehindert werden, sie so grausam zu verstümmeln, meint Ayaan Hirsi Ali. Bei diesem Beitrag wird deutlich, dass ihre Artikel sich ursprünglich an ein niederländisches Publikum wenden.

Auf die hiesigen Verhältnisse ist ihre Kritik zwar nicht eins zu eins übertragbar, aber ihre scharfzüngige Analyse des derzeitigen Zustands des Islam ist auch für deutsche Leser spannend. Muslime haben die Balance zwischen Religion und Vernunft völlig aus den Augen verloren, schreibt die Politikerin, und es kommt noch schlimmer. An ihrer Rückständigkeit seien sie letztendlich selbst schuld. Weil die Religion völlige Unterwerfung fordert, traut sich niemand, sie in Frage zu stellen oder gar zu kritisieren:

"Zweifel werden sofort bestraft, wenn nicht vom sozialen Umfeld, dann auf jeden Fall von Allah. Ohne Zweifel, ohne eine intellektuelle Einstellung kann der Mensch allerdings auch kein Wissen erwerben. Ergo: die Anhänger des Islam, die ihren Glauben ernst nehmen, stecken in der Klemme."

Dass einige Fanatiker sie wegen solcher Aussagen zum Tode verurteilen möchten, ist wohl nur der traurige Beweis, dass sie mit ihren Thesen ins Schwarze getroffen hat. Von Muslimen erhofft sich Ayaan Hirsi Ali denn auch wenig Schützenhilfe. So richtet sich ihr Aufruf "Laßt uns nicht im Stich - Gönnt uns einen Voltaire" vor allem an westliche Intellektuelle. Eindringlich schildert sie, warum der Islam dringend eine Epoche der Aufklärung bräuchte, aber von Seiten der Muslime kaum Bereitschaft zur Selbstkritik zu verzeichnen sei:

"Diese geringe Selbstreflexion wird durch die Haltung vieler westlicher Wissenschaftler und Politiker noch verstärkt. Mit größtmöglicher Behutsamkeit sprechen sie über den Fanatismus als einen Teilapekt des Islam, der Gewalt mit sich bringe. Oder sie lehnen sich bequem zurück und sagen. "Ach, das ist bei uns früher auch so gewesen; keine Bange, es regelt sich schon von allein mit dem Islam." "

Aber das tut es ganz bestimmt nicht, warnt die ehemalige Muslima, die längst vom Glauben abgefallen ist. Ihre persönliche Erfahrung lässt sie zwar immer wieder einfließen, meist stützt sie ihre Thesen über die Unterdrückung der muslimischen Frau aber auf Gespräche mit Betroffenen und auf Untersuchungen anderer Autoren. Einen spöttischen Ton kann sich die überzeugte Atheistin dabei manchmal nicht verkneifen, zum Beispiel wenn sie sich darüber belustigt, dass Muslime ihr ganzes Leben danach ausrichten, einen schönen Platz im Jenseits zu ergattern – stecken sie vielleicht deshalb ihre Energie lieber in die Entwicklung einer Atombombe als in die Modernisierung der eigenen Sexualmoral?

Wenngleich ihre Texte keine neuen Skandale hervorzaubern, aufrüttelnd sind sie allemal. Zumal sie von einer Frau geschrieben sind, die selbst aus der Gesellschaft stammt, mit der sie hier abrechnet. Und die sich nichts sehnlicher wünscht, als dass andere Betroffene den Mut finden, es ihr gleichtun. Wohl auch deshalb wird der Piper Verlag ihr Buch "Ich klage an" noch als Sonderausgabe auf Türkisch herausgeben.

Ayaan Hirsi Ali: Ich klage an. Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen
Übersetzt von Anna Berger und Jonathan Krämer
Piper Verlag 2006
213 Seiten, 13,90 Euro