"Ich kannte ja bis dahin nur Pfadfindermusik"

Wolfgang Niedecken im Gespräch mit Ute Welty · 24.05.2011
Wenn ihm als Teenager die Musik von Bob Dylan nicht begegnet wäre, dann hätte sein Leben einen völlig anderen Verlauf genommen, sagt der Sänger der Kölschrock-Gruppe "BAP", Wolfgang Niedecken. Der amerikanische Folk- und Rockmusiker sei sein musikalischer "Urknall" gewesen.
Ute Welty: Als er diesen Song das erste Mal gehört hat, das ist wie ein Urknall gewesen, "Like a Rolling Stone" natürlich von Bob Dylan, der heute seinen 70. feiert. Und deshalb bin ich jetzt mit dem Mann zur ultimativen Lobhudelei verabredet, bei dem dieser Urknall ausgelöst wurde. Guten Morgen, Wolfgang Niedecken!

Wolfgang Niedecken: Guten Morgen!

Welty: Zünden Sie heute eigentlich vor lauter Dankbarkeit ein Kerzlein an, dass Sie Bob Dylan zum Musiker gemacht hat?

Niedecken: Ein Kerzlein? Ja, ich wüsste nicht, wo ich es hinstellen sollte, der ganze Dom ist schon voll vor lauter Kerzen, die ich dahin gestellt habe, weil der FC nicht abgestiegen ist.

Welty: Na ja, gut, aber vielleicht findet sich ja noch ein Eckchen.

Niedecken: Nee, also mental stelle ich dem sehr oft auch außerhalb von runden Geburtstagsterminen Kerzlein auf. Nach wie vor ist mir immer weiter bewusst geblieben, dass ich ein ganz anderes Leben, einen ganz anderen Weg eingeschlagen hätte, wenn mir nicht Bob Dylan in die Quere gekommen wäre, und zwar genau an diesem besagten Tag, wo der Sänger unserer damaligen Schülerband, in der ich Bass spielte, "Like a Rolling Stone" vorspielte. Ich dachte, was geht jetzt ab, was ist das denn?

Welty: Wie hat sich das angefühlt, dieser musikalische Urknall? War das Gänsehaut, Atemnot, Herzklopfen oder alles auf einmal?

Niedecken: Na, das war … - etwas ganz Unvermutetes passierte. Ich hab bis dahin nie auf Texte geachtet, bis dahin war mir das ziemlich egal, das waren noch diese ganzen Boy-meets-Girl-Songs. Das war zwar auch wichtig, wir befanden uns ja immerhin in der Pubertät, dass da mehr ging, auf die Idee wären wir nicht gekommen.

Und plötzlich kommen all diese Sätze an, und dann zu diesem unglaublichen Sound, das war ja auch vom Klang her eine Meisterleistung. Bob Dylan wird ja nun ewig gelobt für seine tollen Texte, er ist aber auch ein ganz großartiger Musiker. Also mach das mal mit den paar zur Verfügung stehenden Akkorden – so ein swingendes Stück Musik. Er hat natürlich immer auch großartige Musiker dabei gehabt, gar keine Frage. Aber dieser Sound war auch prägend. Da dran haben sich Beatles und Stones im Anschluss orientiert.

Welty: Haben Sie je wieder was Ähnliches empfunden?

Niedecken: Also etwas Ähnliches an Urknall nicht mehr. Ich kann mich noch dran erinnern, dass natürlich, als die Beatles in mein Leben traten, das war auch wunderbar, das war ja paar Jahre vorher mit "From me to you" und "Thank you, Girl" auf der anderen Seite dieser Single, wo ich dachte, 'Hoppla, könnte ja doch was dran sein an Musik für mich'. Ich kannte ja bis dahin nur Pfadfindermusik, Kirchenmusik, Karnevalsmusik, Schlager – das hat mich alles nicht interessiert. Und auf einmal war das was, und mit Bob Dylan war dann klar, jetzt gibt es auch kein Zurück mehr. Das hat mich dann so weit reingezogen, dass ich – Kinder jetzt mal weghören – dass ich die Schule vernachlässigt hab'. Ich hab ja nichts anderes mehr getan.

Welty: Sie haben sich ja dann auch später intensiv mit Dylans Leben und Werk beschäftigt, seine Texte übersetzt, seine Songs interpretiert, und das klingt dann manchmal so wie hier bei "Ich will dich".

((Musikeinspielung))

Welty: Wolfgang Niedecken spielt Dylan. Kennt Bob Dylan eigentlich Ihre Version, würden Sie sich trauen, die dem vorzuspielen?

Niedecken: Ja, also er kennt sie. Bob Dylan hat dieses Album "Leopardefell" – das war, glaube ich, 95 – von Bruce Springsteen übergeben bekommen. Bruce fragte mich irgendwann: 'Hör mal, hat der das eigentlich?' Ich sagte: 'Keine Ahnung.' Und da sagt er: 'Gib mir mal für den ein Exemplar mit, der muss das jetzt mal hören.' Und eine Woche später kam eine Bestellung, dass er eine ganze Kiste haben wollte. Also er hat es gehört, definitiv.

Ich hab ihn aber nicht gefragt, ob er’s gehört hat, weil der Moment war dann auch zu heilig. Wim Wenders hat uns einander vorgestellt, das war so ein schöner Moment, weil da trafen sich zwei alte Kumpels wieder – also Wims Frau Ronee Blakley, zur Zeit der 70er-Jahre, als die Rolling Thunder Revue lief, war da als beteiligte Musikerin mit unterwegs – und Wim und Bob Dylan kennen sich. Und dann wurde ich eingeführt als Kumpel vom Kumpel. Und das war natürlich wunderbar, das war eine ganz andere Situation als irgendwo bei einem offiziellen Termin. Und diesen Moment wollte ich nicht vermasseln mit: 'Hör mal, hast du eigentlich mein Album gehört?'

Welty: Das kann ich gut verstehen, wobei, wenn er eine Kiste bestellt hat, ist es ja jetzt auch eine Aussage, und zwar nicht die schlechteste, würde ich mal meinen.

Niedecken: Würde ich auch mal sagen, es könnte allerdings, wenn wir den Ball flach halten, könnte es auch sein, dass er das aus Archivgründen halt von jedem …

Welty: Oder lieber weg vom Markt?

Niedecken: Nee, das glaub' ich nicht, eher aus Archivgründen, das könnte man noch sagen. Er will halt alles haben, was aus seinen Songs jemals gemacht worden ist. Aber ich denke, er hat es gehört. Also wenn Bruce ihm das gibt, dann wird er das auch hören.

Welty: Wenn Bruce ihm das gibt – das ist auch ein guter Satz, finde ich.

Niedecken: Auch ein guter Satz, ne? Ja.

Welty: Wären Sie sich gerne öfter begegnet oder reicht Ihnen die Begegnung mit der Musik?

Niedecken: Ich hab ihn dann noch mal getroffen, vor zwei, drei Jahren in Saarbrücken, da habe ihm eine Gitarre übergeben, die er bestellt hatte bei einer deutschen Gitarrenfirma, so eine Lapsteel-Gitarre. Er konnte sich auch noch an mich erinnern, hat schöne Grüße an den Wim bestellt und war auch wieder sehr, sehr, ja - nett ist ja ein blödes Wort mittlerweile geworden - sehr freundlich und nahbar auch. Er hat sich über diese Gitarre ungeheuer gefreut, sagte, er würde sie jetzt im Tourbus nach Paris sofort ausprobieren, also wie ein kleiner Junge, der eine neue Lok für seine Eisenbahn kriegt.

Nein, ich bin froh, wenn er sein Leben so lebt, wie er sich das wünscht, und ich hoffe, dass er das noch sehr, sehr lange tut. Und ich bin bei jedem neuen Album, das er rausbringt, mindestens so nervös wie bei einem eigenen Album, das rauskommt.

Welty: Mit einer so offenen Form der Begeisterung wie Sie für Bob Dylan holt man sich natürlich auch eine Menge Vergleiche ins Haus. Sie werden ja auch der Südstadt-Dylan genannt, es gibt da auch gewisse stimmliche Parallelen – fühlen Sie sich immer geehrt dadurch?

Niedecken: Na ja, das ist ja damals entstanden, als ich durch die Kneipen getingelt bin mit 'nem Mundharmonikaständer um den Hals und eine ähnliche Frisur – das bleibt bei meinen Haaren nicht aus, wenn man sie ein bisschen länger hat – und akustische Gitarre spielen und dann eben auch musikalisch orientiert an den frühen Talking-Blues-Liedern von Bob Dylan, die funktionierten in den Kneipen am besten. Jede Strophe irgendwie ein Witz, dann hörten die Leute mir zu und drehen sich nicht zur Theke weg. Dass diese Vergleiche nahe lagen, vor allen Dingen wenn man dann darüber in der Zeitung geschrieben hat … - der eine Begriff, Südstadt-Dylan, ersetzte natürlich fünf bis zehn weitere Zeilen, und deswegen ist die Schublade weit offen gewesen. Aber es gäbe, glaube ich, schlimmere Vergleiche, würde ich sagen.

Welty: Darf ich zum Schluss noch was fragen, was so überhaupt gar nicht in ein Geburtstagsinterview passt?

Niedecken: Gerne.

Welty: Was mögen Sie nicht an Bob Dylan?

Niedecken: Was ich nicht an dem mag, also ich mochte diese Phase nicht, wo er versucht hat, Leute zur Religion oder zu seinem Reborn-Christian-Ding da rüberzuziehen. Das mochte ich nicht gerne, das hat mich auch irgendwie sehr irritiert, aber ich hab' es dem auch zugestanden, weil es ist seine Sache. Aber wenn mich einer versucht zu missionieren, dann ist es nicht mehr nur seine Sache.

Welty: Wolfgang Niedecken über Bob Dylan, der heute 70 wird. Ein ganz besonderer Glückwunsch hier in Deutschlandradio Kultur, und dafür danke ich herzlich!

Niedecken: Ich danke auch!