"Ich kann nicht mehr" von Rene Pollesch

Viel Theater ums Theater

Rene Pollesch sammelt während der Verleihung des Theaterpreises die heruntergefallenen Blätter seines Redemanuskripts vom Boden auf.
Rene Pollesch ist ein Vielschreiber der deutschsprachigen Theaterszene - häufig für die Berliner Volksbühne, diesmal für das Schauspielhaus Hamburg. © dpa/Soeren Stache
Von Michael Laages · 25.02.2017
Für sein Stück "Ich kann nicht mehr" am Schauspielhaus Hamburg hat Rene Pollesch mit der Bühnenbildner-Legende Wilfried Minks zusammengearbeitet. Zu erleben gibt es mit Maschinengewehren bewaffnete Hühner und einen Text, der sich vor allem um die Kunst und das Theater selbst dreht.
Die chronisch delirierenden Denk—und-Sprech-Spiele des wie am Fließband schreibenden Theatermachers Rene Pollesch sind an der Berliner Volksbühne zur festen Größe im Theaterbetrieb geworden; immer öfter aber (und jetzt mit dem Ende der Castorf-Ära an diesem Theater in Sichtweite) sind die immer vom Autor selber inszenierten Gardinenpredigten auch an anderen Häusern zu erleben: in Zürich etwa, und jetzt zum wiederholten Mal am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. "Ich kann nicht mehr", das neue Kapitel der Pollesch-Saga, bekam jedoch eine zusätzliche Dimension – denn es entstand in der sehr besonderen Phantasie-Welt des gerade 87 Jahre alt gewordenen Bühnenbildners Wilfried Minks.

Hühner so hoch wie das Bühnenhaus

Der heiterste Pollesch-Abend seit langem ist so entstanden; wie finster die 80 Hamburger Minuten auch zu beginnen scheinen. Von der Wirkung der Kunst ist zunächst die Rede, ob sie "berühren" und die Menschen wie die Welt womöglich bessern kann: von wegen, lässt Pollesch sagen; und er führt zum Beweis die Opern-Liebhaber Hitler und Mussolini ins Feld – unbelehrt, berührten sie die Menschen weitaus mehr, mit Terror und Krieg. Ein Chor aus 17 jungen Frauen in militärischer Camouflage und im Drill-Takt stürmt derweil die Bühne; Maschinengewehre haben sie auch im Anschlag. Während die vier zentralen Spiel-Figuren vom Denken und Sprechen, der Kommunikation an sich und der Liebe fabulieren, quatscht und lärmt der Chor ständig dazwischen; wie ein versiebzehnfachtes Quengel-Kind von nebenan auf dem Weg ins Theater der Revolution. Gegenseitiges Verstehen wird unmöglich, wie anhaltend Kathrin Angerer und Bettina Stucky, die Japanerin Sachiko Hara und Daniel Zillmann auch darüber schwadronieren.
Und auch drei bühnenhaushohe Hühner auf Kulissen-Rollen mischen sich ein. Wer auch die Bilder des Malers Wilfried Minks kennt, weiß, woher die kommen: aus der Kindheit des Bühnenbildners auf einem böhmischen Bauernhof. Immer mal wieder hat er sie als Ikonen des Erinnerns beschworen; jetzt fahren zwei rote Tiere und ein grünes immer wieder von links nach rechts über die Bühne und zurück, ferngesteuert und zuweilen auch mit der MG unter dem Flügel. Gegen Ende klappen auch die Schnäbel mit im Rhythmus des Dialogs; und an die Rückwand der Bühne senkt sich immer wieder eine runde Weltscheibe, die aber gerade nichts von der Welt zeigt, die wir kennen, sondern den Südpol … so trickreiche Rätsel hat Minks dem Abend vorgegeben.

Erstaunlich viel Tiefe

Tatsächlich gewinnt der Text mit den Minks-Ideen erstaunlich viel Tiefe und Fremdheit; mindestens so sehr, wie das jahrelang die ebenso sinnstiftenden Raum-Behauptungen von Bert Neumann für Pollesch leisteten. Das Ensemble, Solisten und Frauen-Chor (der sich gegen Ende vom Militär-Outfit verabschiedet zugunsten jungmädchenhafter Internats-Uniformen) liefern sich derweil scharfe kleine Gefechte. Und Kathrin Angerer, erst seit kurzem erste eine von Polleschs Lieblings-Aktricen, hat gegen Ende einen herrlichen Monolog über die verzweifelt-sinnlose Sehnsucht nach dem guten alten Drama im Theater.
So ist ein leichter, kluger, entspannter Abend entstanden – in der Begegnung der Generationen, im Mit- und Nebeneinander von Rene Pollesch und Wilfried Minks.
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