"Ich hoffe, dass man wirklich mal anfängt zu kämpfen"

Esther Kinsky im Gespräch mit Katrin Heise · 24.10.2011
Das in seiner Existenz bedrohte Budapester Klubradio erhalte eine "kritische, eben nicht auf Unterhaltung bezogene Diskutierkultur aufrecht", sagt die Autorin Esther Kinsky, die zum Teil in Ungarn lebt. "Künstler, Intellektuelle, die stehen alle sehr, sehr dahinter." Alle anderen Radiosender, aber auch Fernsehstationen seien in rechter Hand.
Katrin Heise: Die ungarische Regierung unter Viktor Orbán hat mit ihrem strikten Mediengesetz die Kontrolle der Regierenden durch Journalisten stark eingeschränkt bis unmöglich gemacht. Die Restriktionen greifen immer stärker. Kaum hatte Ungarn die Ratspräsidentschaft der EU turnusgemäß abgegeben, wurden bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, da wurden Hunderte von Journalisten entlassen. Im privaten Rundfunksektor, da werden jetzt Sequenzen neu vergeben nach Kriterien, die das kritische Wort abwürgen werden. Das Budapester Klubrádió ist so ein Beispiel, es gilt als eins der letzten Medien, die sich noch trauen, auch mal gegen die Politik der Orbán-Regierung zu berichten. Nun ist der als linksliberal geltende private Sender, der ungarnweit zu empfangen ist, von der Abschaltung bedroht. Jan-Uwe Kinsky hat die Macher von Klubrádió besucht.

Beitrag von Jan-Uwe Kinsky

Deren Mitarbeiter und auch andere ungarische Journalisten äußern sich derzeit außerordentlich ungern in der Öffentlichkeit, auch uns gegenüber, weil sie nämlich den Vorwurf, Nestbeschmutzer zu sein, fürchten, und auch ihre Entlassung fürchten müssen. Über die Situation spreche ich deshalb mit der deutschen Autorin Esther Kinsky, die mehrere Monate im Jahr in Ungarn lebt und gerade jetzt auch wieder gestern zurückkam. Schön, dass Sie Zeit haben, schönen guten Tag, Frau Kinsky!

Esther Kinsky: Guten Tag!

Heise: Sie sind ja regelmäßig in Ungarn, habe ich ja gerade gesagt. Was beobachten Sie denn eigentlich so in den letzten Monaten, wie sich die Medienlandschaft entwickelt?

Kinsky: Na ja, ich meine, das ist durch diese … Einerseits durch die Umbesetzung sämtlicher Kommissionen, die entscheiden über öffentliche Kultureinrichtungen, ist eigentlich ein ganz starker Rechtsruck zu beobachten. Also, alle Fernsehstationen sind wirklich, man muss das so ausdrücken mit diesem hässlichen Ausdruck, in rechter Hand. Das äußert sich auf viele Arten und Weisen. Im Radio ist es eigentlich genauso, bis eben auf dieses Klubrádió, was eine ganz kritische, eben nicht auf Unterhaltung auch bezogene Diskutierkultur aufrechterhält, die regierungskritisch ist. Und das ist eben jetzt ganz stark durch diese Frequenzausschreibung bedroht.

Heise: Und eigentlich schon vorher bedroht, weil sie ja überhaupt gar kein Geld mehr haben?

Kinsky: Ja, ja, natürlich, vorher war es durch den Auftragsentzug, aber dem konnte man sich dann natürlich so ein bisschen durch diese Sendeminutenadoption, durch auch wirklich diese Benefizkonzerte, die gewesen sind … Also, ich muss schon sagen, Künstler, Intellektuelle, die stehen alle sehr, sehr dahinter. Es gibt auch unter denen viele, die keine Angst haben. Also, wenn man freiberuflich ist und ein bisschen auch im Draht zum Ausland, dann steht man auch anders da als ein angestellter Redakteur oder Journalist.

Heise: Erzählen Sie mal von dieser Angst der Journalisten. Also, die spüren Sie in Gesprächen, das wird tatsächlich dann auch, wird nicht weiter gesprochen?

Kinsky: Ja, ich meine, im Privaten natürlich, aber ich merke schon, dass … Es ist sehr unterschiedlich, es gibt mutige Leute, ganz, ganz komischerweise gehören zu den Mutigeren, gehört dieses Äquivalent der "BILD"-Zeitung in Ungarn, die ist eigentlich ziemlich linksgerichtet. Also, das ist jetzt nicht, kein Springer-Haus, sondern das ist ein anderes Haus, also, die sind eigentlich noch aus…, also, mutiger als viele andere. Vielleicht, weil da Finanzen hinter stehen oder was, ich weiß es nicht. Ich sehe nur, dass man im Öffentlichen weniger deutlich reden kann als im Privaten.

Heise: In der vergangenen Woche, da hat ja beispielsweise die Ernennung des rechtsextremen Autors und Politikers Istvan Csurka zum Intendanten des Neuen Theaters für Aufregung gesorgt. Wie kann denn zum Beispiel ein Medium wie Klubrádió darüber berichten, also, wie kritisch kann man da noch berichten?

Kinsky: Ja, das, da hat sich natürlich eine Riesenwelle der Kritik dran entfaltet, also, das ging ja dann sogar bis hin in … Es gibt sogar Fidesz-Leute, die sich da öffentlich gegen geäußert haben. Ich meine, das ist wirklich so, als ob man einen Nazi beruft, da werden Dinge vertreten, da wird sich einer Sprache bedient, die ganz klar sich an den Faschismus anlehnt und sich auch dieses Vokabulars bedient. Und auch, er ist ja dorthin gekommen, jetzt ist ja, er ist ja nicht dann entlassen worden von diesem Uj Szinhaz jemand, der jetzt links gewesen wäre, sondern auch ein Fidesz-Intendant und Leiter dieses Theaters. Und das geht auf diesen ganz rechtsextremen Bürgermeister von Budapest zurück.

Heise: Die Autorin Esther Kinsky über die Stimmung in Ungarn, über eventuell überhaupt noch zu hörende regierungskritische Stimmen. Würden Sie sagen, Frau Kinsky, dass dieses, also, diese Berufung dieses Theatermanns quasi das Fass hat zum Überlaufen bringen lassen?

Kinsky: Ja … Es ist sehr schwer zu sagen, weil, ich denke, was das Fass wirklich zum Überlaufen bringt, ist eigentlich die Armut und die Ratlosigkeit. Es ist so ein typischer Fall, würde ich sagen, in der Protestkultur, dass es, sagen wir mal, immer die Intellektuellenprobleme sind, an denen sich dann so ein Feuer entzündet. Aber das ist eigentlich etwas, wie soll ich sagen, etwas oberflächlich, weil das wirkliche Problem natürlich da liegt, wo die Bevölkerung ganz fürchterliche Einbußen einstecken muss und einfach auch das Recht auf Sozialversorgung und so weiter, Gesundheitsversorgung, das wird alles entzogen.

Heise: Dieses Volk, was jetzt also tatsächlich so bedroht ist, ist jetzt wieder auf die Straße gegangen. Gestern nämlich, haben wir erwähnt, der 23. Oktober ist ja immer so ein Demonstrationstag seit einigen Jahren in Budapest. Gestern waren verschiedenste Demonstrationen angekündigt, auch regierungskritische Demonstrationen. Wie groß waren die denn dann letztendlich?

Kinsky: Also, die regierungskritische Demonstration, die von dieser also übergreifenden Organisation, Nem tetszik a rendszer, also, uns gefällt dieses System nicht, die war, das war die größte Anti-Orbán-Demonstration, die es gegeben hat, das waren so 40.000, 50.000 Leute, es war wirklich viel los, es sind sehr viele Leute zusammengekommen, es gibt gleichzeitig eine riesige Internet-Facebook-Aktion, an der über eine Million Leute sich gegen die Regierung ausgesprochen haben, und es wurde zum ersten Mal wirklich so eine, für meine Begriffe zum ersten Mal sah man, da entsteht ein Protest, der sich auf das Manko bezieht in Ungarn, dass es nie eine wirklich bürgerrechtsorientierte Protest…, Grundprotestbewegung gegeben hat. Und das hat sich jetzt, glaube ich, geändert und ich glaube wirklich, gestern war ein schon irgendwie neuer Anfang.

Heise: Woran machen Sie das fest, dass Sie da einen Neuanfang oder das Hinwenden zu der Einforderung von Bürgerrechten?

Kinsky: Es geht zum einen einfach um den Diskurs, der angeschnitten wird in den öffentlichen Kundgebungen, dann sah man auch große Banner beispielsweise, auf denen Solidaritas stand, die sich dann dieses polnischen Solidarnosc-Schriftzuges bedienten, also dieser Type, graphisch, was natürlich ganz stark eben so eine Anlehnung an eine andere osteuropäische bürgerrechtsorientierte Protestbewegung vor 30 Jahren bedeutet.

Heise: Jetzt in Ungarn, was erwarten Sie in der nächsten Zeit?

Kinsky: Na ja, ich hoffe, es wird einfach, dass man wirklich mal anfängt zu kämpfen!

Heise: Die Autorin Esther Kinsky, sie lebt in Berlin und in Ungarn, Frau Kinsky, vielen Dank für die Information!

Kinsky: Ich danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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