"Ich habe nie Landschaften fotografiert"

Moderation: Frank Meyer · 11.04.2008
F. C. Gundlach gilt als bedeutendster deutscher Modefotograf der Nachkriegszeit - in Hamburg ist ab Samstag eine Ausstellung über seine Arbeiten zu sehen. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur äußerte er sich zum Schwerpunkt seiner Aufnahmen.
Frank Meyer: F. C. Gundlach, "Das fotografische Werk", diese Ausstellung wird heute Abend in Hamburg eröffnet, die bis heute größte Ausstellung mit Arbeiten aus dem Lebenswerk von F. C. Gundlach. Dieser Fotograf gilt als bedeutendster deutscher Modefotograf der Nachkriegszeit. Auch als Sammler und Ausstellungsmacher hat er sich einen großen Namen gemacht. Ich habe vor der Sendung mit F. C. Gundlach gesprochen und ihn gefragt: Ich wollte die großen Stars immer als Menschen zeigen, das haben Sie mal gesagt, was war denn Ihre Methode oder Ihr Trick, um zu den Menschen in den Stars vorzudringen?

F. C. Gundlach: Also Gegenstand meiner Fotografie ist im Wesentlichen das Bild des Menschen. Und ich habe also nie Landschaften fotografiert oder Stillleben oder ähnliche Dinge, sondern immer Menschen in unterschiedlichsten Situationen. Natürlich hat sich dann später ein Schwerpunkt in der Modefotografie ergeben. Aber ich habe zu Beginn meiner Karriere sehr viele Porträts gemacht, vor allen Dingen von Filmstars. Ich habe immer so das Gefühl, es gab damals noch Stars, heute gibt es eben weniger, die vielleicht auch diesen Kult oder die Aura haben, ich weiß es nicht. Aber wichtig ist dabei, dass man einfach doch versucht, einfach zum Menschen. Es ist vielleicht ja auch teilweise meine Interpretation einer Person, vorzudringen, und nicht, dass das Klischee, was man zunächst angeboten bekommt, das Bild wird, sondern dass das Bild versucht, mehrere Ebenen einfach dort aufzuzeichnen.

Meyer: Wehren sich die Stars nicht dagegen, wenn man diese Klischee zu durchbrechen versucht und etwas anderes, etwas Echtes herauszufinden versucht aus Ihnen? Ist Ihnen das nicht auch passiert?

Gundlach: Das ist mir schon natürlich passiert, aber merkwürdigerweise, wenn Sie, Sie können Mega-Stars haben, Weltstars haben, es sind manchmal nur zwei Minuten, in denen entscheidet sich, ob man zusammen kann oder ob sich ein Vertrauensverhältnis bildet (…), auf dem man eben dann aufbauen kann. Und jedes Porträt ist einfach ein Dialog zwischen zwei Menschen.

Meyer: In Berichten über Ihre Starfotos ist oft von einer Aufnahme die Rede, von einer Aufnahme von Romy Schneider, auf der sie ungeschminkt und ganz ungewohnt zu sehen ist. Wie ist es denn zu diesem Foto gekommen?

Gundlach: Das ist natürlich eins der wichtigsten Bilder überhaupt, und es wird natürlich im Moment sehr auch oft publiziert. Das war Romy Schneider, sie war 21 Jahre alt, und sie hatte gerade diese Riesenerfolge mit den Sissy-Filmen gehabt, und sie drehte danach einen Film mit Kortner. Und dieser Film, ich glaube, der hieß "Lysistatra", sie spielte eine dramatische Rolle, und der Film wurde gar nicht angenommen vom Publikum.

Das Publikum wollte sie sehen wie, die hatten die Sissy im Kopf sozusagen. Und das war für sie eine riesige Enttäuschung, und sie war in einer ziemlich verzweifelten Situation. Wir hatten ja öfters schon zusammengearbeitet, und dann war sie in Hamburg, und an einem nebligen oder regnerischen Novembersonntag rief sie mich dann an, und dann habe ich gesagt, dann mache ich doch den Vorschlag, treffen wir uns in meinem Studio, und wir fotografieren einfach mal einen ganzen Nachmittag. Und das haben wir gemacht. Und bei Romy Schneider war es so, sie war ein unglaubliches Mädchen, sie konnte in jeden Charakter reinschlüpfen, sie war so überzeugend da drin. Aber in dem Moment, wo sie dann für sich selbst stand, wo sie also die Person Rosemarie Albach war, das war ihr Name, also sie selbst war, dann wurde es für sie problematisch. Da wurde sie unsicher, ganz unsicher. Und in dieser Session, die wir hatten, die vielleicht drei oder vier Stunden gedauert hat, da war niemand da. Sie hat ein bisschen Make-up selbst gemacht, der Assisten war da und der Fotograf, sonst gar niemand. Und da hat sich einfach eine vertrauensvolle Atmosphäre gebildet, dass sie sich eben öffnete. Und es gibt eben einen ganzen Film mit Kleinbildfotos, fotografiert mit einer langen Brennweite, sehr nah, ganz nah, fast in das Gesicht hineingekrochen. Und da sehen Sie an jeder kleinsten, minimalsten Veränderung von ihr, ihres Ausdrucks, ihr Leben sozusagen. Und es gibt eben ein Bild dabei, wo sie sehr traurig drauf aussieht, aber sie sieht nicht traurig drauf aus, sie sieht eigentlich verzweifelt drauf aus. Und wir projizieren natürlich heute ihre Biografie da hinein, aber ich meine, dieses Foto hat eben mehr als das, es zeigt eigentlich den Kern dieses jungen Menschen, der doch ein tragisches Leben vor sich hatte.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Fotografen und Sammler F. C. Gundlach. Heute wird in Hamburg eine große Retrospektive mit seinen Fotografien eröffnet. F. C. Gundlach, Sie haben schon mehrfach in Gesprächen gesagt, dass die aufregendste Zeit in Ihrer Arbeit als Fotograf, dass das die Sechzigerjahre waren. Warum war dieses Jahrzehnt für Sie so aufregend?

Gundlach: Die Fünfzigerjahre haben wir uns ja angewöhnt, unter einem gewissen Klischee und restaurativen Situation zu sehen, aber in den Fünfzigerjahren wurde ja die Basis gelegt eigentlich für alles, was danach kam. Und die Mode reagiert immer grundsätzlich auf gesellschaftliche Veränderungen. Und das trat eben ein. Und dass eben dann Dior 1947 den New Look kreierte, war eigentlich eine Reaktion darauf, auf diese Zeit der Uniformität, die einfach vorgeschrieben war durch den Krieg und notwendig war in der Vergangenheit. Das wurde aufgelöst in einer ganz weichen femininen Linie. Da gab es Taille, da gab es voluminöse Röcke. Denken Sie an die Zeit der Petticoats. Und das hat sich darin manifestiert. Ich merkte dann zum Ende dieser Fünfzigerjahre, also ab 58, da merkte ich, dass die Zeit sich verändert. Und ich kaufte mir zum ersten Mal dann auch Kleinbildkameras, die mir eine größere Spontaneität und Nähe und auch Mobilität erlaubte dann, und fotografierte dann Mode auf der Straße. Ich fotografierte Mode dann in St. Pauli in den finstersten Ecken eigentlich dabei, aber sehr persönlich. Aber die Sechzigerjahre zeichneten sich natürlich aus durch den gewaltigen Wechsel. Also einmal politisch, habe ich gerade angesprochen schon, auf der anderen Seite aber war es natürlich auch, die Pille wurde erfunden, es gab die Emanzipation. Eine ganz wichtige Rolle spielte die Musik, die Beatles kamen, die Rolling Stones. Und das hat eben doch richtig niedergeschlagen, sowohl in den Menschen, also in der Situation dieses Jahrzehnts, aber natürlich auch in meinen Bildern, und auch die Mode hat ja darauf reagiert. Der Minirock war nur möglich, weil die Gesellschaft sich so weit verändert hat. Zehn Jahre vorher hätten sie den gar nicht machen können.

Meyer: Zurzeit wird ja ganz viel über die 68er-Revolte geredet. F.C. Gundlach, Sie waren in diesem Jahr der Revolte 42 Jahre alt. Wie haben Sie denn die 68er erlebt, unter modischen Gesichtspunkten ja wahrscheinlich als Enttäuschung, oder?

Gundlach: Nein, im Gegenteil, es war phantastisch. Die erste Kollektion, die André Courrèges machte, das war eine Sensation, eine Jahrhundertkollektion wird das sein. Und das war eben eine Kollektion, die eine völlig andere Mode zeigte, die Frauen selbstverständlich zeigte, die Röcke bis weit über das Knie, den Saum heraufsetzten, nicht wahr, und das hat diese Zeit eben mit beeinflusst dabei.

Meyer: In den Achtzigerjahren haben Sie mit der Modefotografie aufgehört und sich auf das Lehren verlegt, aufs Sammeln und Ausstellen. Sie haben viele Fotoausstellungen selbst gemacht. Aber jetzt haben andere die Retrospektive aus Ihrem Werk zusammengestellt, also Sie sind zum Objekt geworden als Fotograf. Was sagen Sie denn, die vier Kuratoren, die Ihr Werk jetzt durchgesehen und ausgestellt haben, haben die anständige Arbeit geleistet?

Gundlach: Ja, ich habe mich ein bisschen gesträubt gegen diese Retrospektive, und mir war von Anfang an klar, dass ich nicht wollte, sie selbst kuratieren wollte. Und es sind ja vier wirklich profilierte Kuratoren, das ist Klaus Honnef, dann ist Michael Koetzle, zwei Mitarbeiter von mir, beide auch Kunsthistoriker, Sebastian Lux und Ulrich Rüter, die haben sich dann mit unterschiedlichen Annäherungen an das Werk beschäftigt in den letzten anderthalb Jahren. Natürlich habe ich mich als Objekt gefühlt. Ich habe mich gelegentlich auch als Opfer gefühlt, und zwar vor allen Dingen dann, wenn ein Bild, zu dem ich nun eine besondere Verbundenheit hatte oder was ich besonders gerne in der Ausstellung gesehen hätte, dann nicht ihren Segen fand und es also dann ausgeschieden wurde.

Meyer: Und da haben Sie sich unterworfen unter die Entscheidung?

Gundlach: Ja, in den meisten Fällen. Der Prozentsatz meines Widerstandes ist eine einstellige Zahl, keine zweistellige Zahl, also in%en gerechnet.

Meyer: Etwa ein Drittel aller Bilder in dieser Retrospektive war noch nie zu sehen oder seit Langem nicht mehr zu sehen, also auch für Sie wahrscheinlich eine Wiederentdeckung. Welche dieser Wiederentdeckungen hat Sie denn besonders gefreut?

Gundlach: Es gab eben sehr, sehr viele Dinge, die ich vergessen hatte einfach. Wir reden ja hier über ein halbes Jahrhundert. Scherzhafterweise sage ich manchmal, wenn ich gefragt werde, wann das Bild gemacht ist, dann sage ich, ja, das war Mitte des letzten Jahrhunderts. Um das klar zu machen. Aber ich denke, ich habe am Anfang ja sehr viel journalistisch gearbeitet und habe sehr viele Reportagen gemacht. Und die waren ein bisschen untergegangen, oder der Modefotograf und so. Und da hat man also einen Akzent gelegt und hat die wieder herausgeholt zum Teil. Ich habe sehr viel mehr für den "Stern" gearbeitet, für "Quick" gearbeitet, für diese Blätter, kriegte aber immer Themen, die man inszenieren musste, nicht Themen, die man nur abzufotografieren hatte, sondern Themen, die man gestalten musste. Und irgendwie diese Inszenierungen von Fotografie, von Bildern, das scheint einfach meine Stärke gewesen zu sein, von Anfang an.

Und das allererste Bild, was in der Ausstellung hängt, das habe ich als Zehnjähriger gemacht, als ich eine Box geschenkt bekam mit einem Selbstauslöser, und ich stellte fest, man kann sich damit selber fotografieren. Und wir haben ein Bild gefunden, wir haben überraschend viele Dinge gefunden aus der Vergangenheit, wo drei zehnjährige Jungens sich fotografiert haben, also ich habe sie fotografiert. Die machen normale Faxen und grinsen irgendwas, und ich habe dieses Bild so gemacht, dass wir auf einer Leiter sitzen. Ganz oben sitzt mein Bruder, in der Mitte sitzt dieser gemeinsame Freund, und unten sitze ich dann. Und ich stellte nach 40 Jahren Fotos, das ist ein eingebautes Bild. (…), das erste Mal, dass das sichtbar wurde, dass das Bild vielleicht meine Spezialität wird.

Meyer: Der erste Gundlach in einer langen Reihe. F. C. Gundlach, "Das fotografische Werk", diese Retrospektive ist ab heute in Hamburg zu sehen, ab 2009 dann in Berlin. Und es gibt ein umfangreiches Bilderbuch zu dieser Ausstellung von fast 420 Seiten, das ist im Steidl-Verlag erschienen. F. C. Gundlach, vielen Dank für das Gespräch.

Gundlach: Ich danke Ihnen!