"Ich habe Didi gespielt, aber ich bin es nicht"

Moderation: Waltraud Tschirner · 06.10.2013
Dieter Hallervordern spielt in Kilian Riedhofs Spielfilm "Sein letztes Rennen" einen Marathonläufer, der im Seniorenheim lebt, sich dort entmündigt fühlt und um seine Würde läuft. Zunächst belächelt, zeigt der Rentner, dass das Älterwerden nicht den Verlust der eigenen Souveränität bedeuten muss.
Waltraud Tschirner: Er ist Theaterleiter, Komiker, Schauspieler und jetzt auch noch Marathonläufer. In Kilian Riedhofs Spielfilm "Sein letztes Rennen" spielt der 78-jährige Dieter Hallervorden einen Rentner, der sich im Seniorenheim abgeschoben und entmündigt vorkommt und um seine Würde läuft. Zunächst belächelt von den anderen Heimbewohnern und reglementiert vom Personal läuft sich der einstige Champion frei. Er beweist es allen Skeptikern und sich selbst, wozu ein starker Wille führen kann. Dieter Hallervorden hat für diese Rolle selbst hart trainiert. Im Gespräch erzählt er von den Dreharbeiten und seinen anderen aktuellen Projekten. Wie laut hat denn Ihr innerer Schweinhund geknurrt, als ihm klar wurde, dass sein Herrchen für die Filmrolle richtig hart trainieren muss?

Dieter Hallervorden: Also ich bin jemand, der Herausforderungen ja gerne annimmt und sich natürlich freut, wenn ich diese Herausforderung auch bestehe. Ich bin fünfeinhalb Monate jeden Tag gelaufen, bei jedem Wind und Wetter. Ich habe eine Art – wie man heute auf Neudeutsch sagt – Personal Trainer gehabt, ich habe zweimal die Woche im Fitnessstudio gearbeitet an Geräten, ich hab eine Magnetfeldtherapie gemacht, ich bin viel geschwommen und habe meine gesamte Ernährung umgestellt. Habe dann auch glücklicherweise neun Kilo abgenommen und war als Pflichtmensch dann auch wirklich fit für die Aufgabe.

Tschirner: Also das hört sich so an, als ob das bei so einem Pflichtmenschen tatsächlich davon abhängt, ob man einfach den Schalter umlegt und dann macht der Körper das, wie er will. Sind Sie wirklich so oder war es schon mal erst richtig die Härte?

"Ich bin jemand, der bevorzugt den Unruhestand"
Hallervorden: Nein, man muss natürlich sagen, man muss immer wissen, ob es denn ein Ziel ist, was man unbedingt erreichen will. Ich war von diesem Drehbuch dermaßen überzeugt, dass ich wusste: Diese fünfeinhalb Monate sind kein Opfer, sondern es ist die Notwendigkeit, um als Perfektionist auch wirklich das leisten zu können, was ich dem Produzenten mal versprochen habe. Und ich kann sehr konsequent sein, auch gegen mich selber.

Tschirner: Das eigentliche Thema des Films ist ja das Älterwerden, auch die Souveränität über sein eigenes Leben zum Teil zu verlieren. Sie sind gerade 78 geworden, spielen nicht nur auf der Leinwand, sondern - wie wir wissen - auch auf der Bühne, auf der eigenen Bühne. Sie übersetzen Texte, Sie müssen als Intendant des Schlosspark-Theaters die alltäglichen Kämpfe um Finanzen, Besetzungen und Rollenstücke kämpfen. Sie haben auch noch relativ junge Kinder, Ihr Sohn ist 14, und Sie haben noch verschiedene Lebensorte: Berlin und dann eine Insel im Atlantik. Haben Sie Angst vorm Stillstand?

Hallervorden: Ich bin nie jemand gewesen, der sich auf den Ruhestand gefreut hat. Ich bin jemand, der bevorzugt den Unruhestand. Mein Beruf ist ja aus einem Hobby entstanden. Ich sehe das, was ich auf der Bühne mache oder vor der Kamera, nicht als Arbeit, sondern als große Freude, und ich glaube, dass zu dem Beruf auch gehört, dass man relativ fleißig sein muss, dass man wirklich qualitätsbewusst sein muss. Und ich habe mir mit dem Schlosspark-Theater noch mal einen großen Traum erfüllt, dieses Schlosspark-Theater wieder zum Leben erweckt zu haben – das war mein absolutes Herzensprojekt –, noch mehr natürlich, es tatsächlich auch weiterhin über die Zeit zu retten.

Tschirner: Warum liegt Ihnen einen Theater so sehr am Herzen? Weil Sie da alles sein können, was Sie eigentlich immer wollten?

Hallervorden: Also erstens Mal ist es so, dass ich immer behauptet habe, eine große Liebe zum Theater zu haben, und mit der Eröffnung des Schlosspark-Theaters, das ja jahrelang leer stand, war eine Möglichkeit, diese Liebe unter Beweis zu stellen. Außerdem ist es so, die Bühne ist ja die Keimzelle unseres Berufes, alles andere ist später durch Technik dazugekommen. Auf der Bühne zu bestehen und eben nicht in kleinen Stücken, wie beim Fernsehen oder beim Film möglich, eine Geschichte zu erzählen, aber in einem großen Bogen und mit einer Spannung, die nicht nach der dritten Reihe runterfällt, sondern bis zur 32. Runde reicht - das macht den eigentlichen Schauspieler aus, das ist die eigentliche Herausforderung, und alles, was im Fernsehen zu sehen ist oder auch im Film, ist dagegen natürlich Häppchenarbeit. Und ich bin jemand, der lieber den großen Bogen spielt.

Tschirner: Und auch das Risiko dabei immer mit gerne lebt, dass eben an dem Abend mal eine Vorstellung schiefgehen kann – nicht wie beim Film, wir können alles noch mal machen, hier wird es vor Publikum heiß geprobt.

"Fernsehen ist immer Konserve, Theater ist immer live und leibhaftig"
Hallervorden: Das ist richtig. Das ist ein tolles Gefühl, wenn man weiß, in dem Moment, wo das Wort dem Mund entfleucht, gilt es. Das ist nicht zurückzunehmen. Und die Zusammensetzung des Publikums ist ja auch jeden Tag anders, das heißt, keine Vorstellung ist gleich. Und deswegen sage ich den Zuschauern auch immer: Mensch, Fernsehen ist immer Konserve, Theater ist immer live und leibhaftig. Und wer mich eben leibhaftig sehen will, der kann das in ganz Deutschland nur im Berliner Schlosspark-Theater.

Tschirner: Wie sind Sie eigentlich so umtriebig, so kreativ, so agil geworden? Also es hat ja nun nicht jeder so eine Palette an Lüsten und auch Talenten, die er sein Leben lang abarbeitet.

Hallervorden: Na, ich glaube, da muss ich in erster Linie meinen Eltern danken. Ich hab, glaube ich, sehr gute Gene mitbekommen und vor allen Dingen auch eine große Lebenslust und eine Lust an Vielseitigkeit. Das heißt, mich würde es auch als Schauspieler nicht befriedigen zu sagen, ich schaffe jetzt einen Typ, und den spiele ich mein Leben lang, auf diesem kleinen Segment. Das würde mir langweilig sein. Ich finde es auch für die Zuschauer natürlich interessanter zu sagen, ach, wir sehen uns einen Hallervorden-Film an und erkennen und erleben etwas ganz Neues. Und im Theater ist es natürlich so, dass ich mir verschiedene Rolle auch aussuche. Da ist ein Molière dabei, da sind Problemstücke dabei, aber es sind immer unterschiedliche Herausforderungen, immer eine andere Art, an eine Arbeit heranzugehen. Bei dem Film beispielsweise muss man ja auch sagen, es gibt ja unterschiedliche Spielweisen: Will ich nun wirklich nur das Zwerchfell erreichen oder will ich auch an das Gemüt, an das Herz kommen? Und da muss man eben wirklich über eine gewisse Vielseitigkeit verfügen, und die scheine ich ja zu haben.

Tschirner: Ja, richtig, also an mein Herz sind Sie zum Beispiel schon mal gekommen und auch meine Tränendrüsen wurden aktiviert. Aber weil Sie gerade sagten, man will nicht immer einen bestimmten Typus spielen: Sie wissen sehr gut, dass Sie jahrelang Didi "Palim-Palim" Hallervorden waren, der Spaßvogel, dafür haben Sie selbst die Weichen so gestellt, und für viele sind Sie immer noch der, der lustige Sketche bringt, der witzige Lieder singt und Grimassen schneidet. War das unter anderem einer der Hauptgründe, möglicherweise auch diese Rolle jetzt zu spielen, weil Sie gesagt haben, das ist jetzt zum Beispiel noch mal eine ganz tolle Chance, als Charakterdarsteller in die Geschichte einzugehen, in die Filmgeschichte?

"Wir können uns ja nicht 40.000 Komparsen leisten"
Hallervorden: Ich brauchte das nicht zu beweisen, weil ich hab ja früher gespielt den Killerboss Köhler im "Millionenspiel", ich hab gespielt den Psychopathen Springteufel, der seinen Wärter umbringt und auf dubiose Art in die Freiheit entflüchtet – also dass ich das kann, war ja vorher schon bewiesen. Nein, es ist einfach so, dass der Didi, auf den Sie mich ansprechen, den hab ich ja selbst kreiert, das hab ich selbst geschrieben, ich freu mich auch, dass die Leute das als Kultstatus bezeichnen und die DVDs da zum Teil kaufen, aber sie müssen begreifen, dass ich mich irgendwann von der Figur des Didi – denn das ist ja eine Kunstfigur, das bin ja nicht ich –, von dieser Figur trennen musste, weil ich mit Didi nicht an neue Ufer gekommen wäre. Wenn man den Film jetzt sieht, "Sein letztes Rennen", dann wird man begreifen, dass ich den als Didi nie hätte spielen können. Und wenn ich das gemacht hätte, wäre der Film kaputt gewesen. Ich habe Didi gespielt, aber ich bin es nicht. Das geht anscheinend nicht in die Köpfe der Leute rein.

Tschirner: Kommen wir doch mal wieder auf diesen Film zurück, über den wir hier sprechen: Sie sind da tatsächlich beim Berlin-Marathon mitgelaufen. Wie undercover oder inkognito konnten Sie da laufen, oder wie sehr wurden Sie plötzlich von den Leuten an der Straße – das ist ja immer eine ganz tolle Atmosphäre beim Berlin-Marathon – erkannt und bejubelt?

Hallervorden: Also das war einmal schon eine große Herausforderung an dem Tag, ungefähr 18 Kilometer zu laufen, dazu auch mehrere Strecken mehrmals laufen zu müssen, weil die Kamera mich nicht in dem Pulk erkannt hatte. Gleichzeitig musste man natürlich auch ankämpfen dagegen, dass die Leute, die neben einem rennen, mich als Hallervorden erkennen. Man musste auch dafür sorgen, dass Dinge eben noch mal gedreht werden mussten, weil Leute, die am Wegesrand standen, in die Kamera gewinkt haben. Also da waren viele Schwierigkeiten zu bewältigen. Es war eben auch besonders schwierig, weil man wusste, das Pensum muss alles an dem einen Tag geschafft werden, denn wir können uns ja nicht 40.000 Komparsen leisten. Aber es war ein Drehtag, wo ich dann wirklich nach Ende der Dreharbeiten wirklich tränenüberströmt in meinem Stuhl saß, die Achillessehne hat schon mächtig gezwickt.

Tschirner: Wir haben vorhin schon gesagt, dass dieser Film viel spricht und erzählt in Bildern über das Älterwerden und über die Probleme damit. Sie haben schon gesagt, dass Sie eigentlich sich damit überhaupt nicht beschäftigen, weil Ihr Leben so bunt, so prall und so voll neu gewählter Herausforderungen ist. Ist es trotzdem so, dass Sie manchmal auf Ihrer Insel am Wasser sitzen und den Wellen lauschen und natürlich auch Gedanken haben, wie wird es werden, wenn ich zehn Jahre älter bin?

"Generell glaube ich, dass der Tod ein Ereignis ist"
Hallervorden: Also erstens Mal hab ich für den Atlantik und auf das Rauschen der Wellen zu hören, wenig Zeit, weil ich ja zwei Theater in Berlin führe und auf der Bühne stehe und zum Teil auch drehe, außerdem noch ein bisschen Zeit haben muss für meinen 14-jährigen Sohn. Und dann muss ich dazusagen, dass ich selbst jemand bin, der zwar in die Zukunft blickt, aber optimistisch. Das heißt, ich beschäftige mich dann nicht damit, welchen körperlichen Zustand ich wohl in zehn Jahren haben werde. Generell glaube ich, dass der Tod ein Ereignis ist, und zwar das Ereignis, auf das man am liebsten mit großer Geduld möglichst lange wartet.

Tschirner: Sie haben jetzt mehrfach Ihre Theaterprojekte angesprochen, die Sie noch im Kopf haben, können Sie da schon konkret drüber sprechen, welche nächsten Planungen es gibt und worauf Sie sich speziell freuen?

Hallervorden: Ich werde zusammen mit Philipp Sonntag von Neil Simon "Sunny Boys" spielen. Das Besondere dabei ist, dass wir mit Erlaubnis des greisen Autors und mit Erlaubnis des Verlages dieses Stück weg von Amerika geholt haben, wo ja ständig von Levinson und Buster und dies und das und jenes die Rede ist, wo kein Mensch mehr eine Beziehung zu hat. Wir haben es zurückgeholt, in unsere Zeit, nach Deutschland, und es wird, glaube ich, ein großes Vergnügen, weil wir gleichzeitig als altes Komikerpaar quasi unsere Erinnerung an die Komikerszene Deutschlands zum Besten geben.

Tschirner: Herr Hallervorden, Sie hatten vorhin schon dieses Dem-Tod-fatalistisch-oder-geduldig-Entgegenblicken genannt und dabei möglichst agil sein – wenn Sie irgendwann einmal von dieser Erde weggehen müssen, abberufen werden, was möchten Sie da zusammenfassend sagen können, was Ihnen alles gelungen ist?

Hallervorden: Ich bin ja generell niemand, der nun sich ständig selbst auf die eigene Schulter klopft, aber ich denke, dass es schon der Erwähnung wert wäre, dass ich als 25-Jähriger, als absoluter Nobody, ein Kabaretttheater gegründet habe in Berlin und das in unserer schnelllebigen Zeit 52 Jahre überstanden hat, ohne jede Bezuschussung.

Tschirner: Die Wühlmäuse.

Hallervorden: Erwähnenswert ist auch vielleicht, dass ich in den letzten acht Jahren zwei Theater mit eigenen Mitteln unter Beachtung aller Denkmalschutzauflagen komplett restauriert habe und in der Kulturszene in Berlin eingegliedert habe. Und ansonsten ist mir ziemlich egal, was die Leute von mir denken, Hauptsache, ich kann vor mir selbst bestehen.

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