"Ich habe das Gefühl, dass ich wie ein Archivar bin"

Moderation: Matthias Hanselmann · 02.12.2011
Der Ethnologe Brian Shimkovitz sammelt Pop-Musik aus Afrika und macht sie über seinen Internetblog allgemein zugänglich. Er glaubt: Für die Menschen in Europa und den USA kann die Musik ein Mittel sein, um ein besseres Verständnis für die Kultur Afrikas zu entwickeln.
Matthias Hanselmann: Brian Shimkovitz ist Musikethnologe und sammelt Pop aus Afrika, der kaum eine Chance hätte, an unsere Ohren zu gelangen, wenn Brian ihn nicht über das Internet für alle zugänglich machen würde. Das läuft über seine Webadresse awesometapes.com, auf Deutsch in etwa supergute Bänder. Inzwischen besuchen an die 30.000 Interessierte diesen Blog. Vor Kurzem hat Brian Shimkovitz auch ein eigenes Plattenlabel gegründet, jetzt ist er bei uns im Studio, natürlich hat er auch Musikbeispiele mitgebracht. Herzlich willkommen, Mister Shimkovitz, welcome!

Brian Shimkovitz: Thank you!

Hanselmann: Die Zeiten, da wir noch C60-, C90-, C120-Kassetten gekauft haben, sind ja längst vorbei. Warum haben Sie vor sechs Jahren begonnen, ausgerechnet dieses altmodische Format zu sammeln, also Mix-Tapes auf Kassette?

Shimkovitz: Als ich 2002 nach Ghana fuhr, fiel mir auf, dass die eine ganz große Vielfalt von Musik haben auf den Straßen und in den Läden, und das war auf Kassette. Und da ich ein Musikjunkie bin, wollte ich so viel wie möglich sammeln. Und dann wurde es für mich sehr natürlich, so viel wie möglich zu sammeln an Kassetten, und von all diesen Musikern, die gaben mir einfach immer nur Kassetten mit. Und was so cool ist in Afrika: Sie benutzen CDs, sie haben auch MP3, auch um es über die Mobiltelefone zu schicken, aber man findet immer noch Vinyl und man findet vor allen Dingen eben Musikkassetten.

Hanselmann: Brian Shimkovitz ist bei uns im Studio. Von wem und wie werden denn diese Kassetten heutzutage in den afrikanischen Ländern, die Sie besucht haben, überhaupt verwendet? Nur für privates Hören, werden sie auf Partys aufgelegt, nach Konzerten verkauft – wie läuft das?

Shimkovitz: Das ist eine gute Frage. Weil es so viele Möglichkeiten gibt, alles so Second Hand aus Europa und Japan zu importieren, haben sehr viele einfach noch Kassettenrecorder, und da wird Musik auf Kassetten eben noch viel benutzt, und auch auf Partys oder Beerdigungen, irgendwelchen öffentlichen Aufführungen wird über Kassette noch gespielt, und das ist ganz typisch, dass junge Künstler, wenn sie zum ersten Mal was veröffentlichen, dann machen sie es erst mal auf Kassette. Natürlich werden auch CDs populärer, aber die Musikkassette hält eben sehr lange und hält sich auch sehr lange in diesem Umfeld, weil man natürlich das auch immer wieder weitergibt, und viele benutzen das eben auch. Das wird ja von Hand zu Hand weitergegeben, und bis heute ist die Musikkassette eine sehr lebendige Form, um Kultur weiterzuvermitteln.

Hanselmann: Ein Teil Ihrer Arbeit muss also darin bestehen, diese Kassetten zu digitalisieren, damit man sie überhaupt über Ihre Website kaufen kann oder downloaden kann.

Shimkovitz: Ja, einige der Dinge, die mir wirklich Spaß machen in den letzten Jahren, seit dem letzten Mal, wo ich in Ghana war, ist, das hochzuladen auf meinen Blog, und sie ganz hochzuladen, damit die Leute sie so hören können, wie man sie dort auch spielt. Und was mir sehr wichtig ist, ist Leuten zu zeigen, wie Musik "wirklich klingt" in Westafrika, die Musik, die man im Taxi hört, in Nigeria beispielsweise, weil ich finde, wir haben überhaupt keinen Zugang zu dieser Musik, jedenfalls nicht in den Staaten, auch nicht in Europa. Und das ist etwas witzig oder ironisch, dass ich diese Musikkassetten über einen Blog verbreite, was so modern und so neu ist. Aber ich habe das Gefühl, dass ich wie ein Archivar bin, weil wenn ich es nicht tun würde, bin ich mir nicht sicher, dass es irgendjemand anderes tun würde.

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Hanselmann: Brian, in den 30ern und 40ern des vergangenen Jahrhunderts zog der Musikethnologe Alan Lomax durch die Südstaaten der USA, Sie kennen ihn wahrscheinlich, und hat Folkmusik gesammelt. Seine Tonaufnahmen gelten heutzutage als Schätze der amerikanischen und internationalen Kultur. Heute sind viele davon in der Library of Congress zu finden. Ist Ihr Internetauftritt, das Blog awesometapes.com, so etwas wie die Lomax-Sammlung des 21. Jahrhunderts?

Shimkovitz: Das ist eine interessante Idee. Ich sehe da gewisse Parallelen, wenn es darum geht, dass man in diese Welt überhaupt hineinkommt. Und der normale Amerikaner hat da sonst keinen Zugang zu. Aber was anders ist, und was sehr faszinierend ist und sehr 21. Jahrhundert: Lomax hat sich ja für ganz gewisse Folk-Kulturen interessiert, die wirklich niemals aufgenommen worden waren. Das hatte ja so was Hausgemachtes. Was mich interessiert, ist eine parallele Musikindustrie, wo diese Aufnahmen schon vorhanden sind, auch für Geld, an all diesen lokalen Orten, und es ist ja eine Art, wie moderne Kultur auch von außerhalb beeinflusst wird, und durch meinen Blog und durch andere Vertriebsmöglichkeiten werden damit auch wieder im Westen Künstler inspiriert. Und diese Blues-Musiker damals aus dem Delta sind ja damals niemals gehört worden von Leuten, die da nicht wirklich gewohnt haben, und sie haben sich auch nicht die Musik aus anderen Quellen angehört.

Hanselmann: Alan Lomax wurde auch immer wieder vorgeworfen, er sei bei seinen Aufnahmen unsensibel aufgetreten, er haben die Musiker behandelt als seien sie seltene Schmetterlinge, die es einzufangen gilt, da war also ein bisschen ein Kolonialismus-Vorwurf dahinter. Wie vermeiden Sie das, wenn Sie in Afrika sind, dass sie nicht gesehen werden als der große weiße Gönner aus Amerika?

Shimkovitz: Für mich ist ein wichtiger Teil, dass ich wirklichen Enthusiasmus habe für diese Musik. Ich bin begeistert - als ich das erste Mal in Afrika war, hatte ich keine Ahnung, wie die Musik dort ist. Und ich war sehr offen und habe so viel gelernt. Und ich glaube, dass für Leute aus dem Westen die afrikanische Musik ein Fenster ist zu dem, was das Leben dort wirklich bedeutet. Und es geht nicht nur um Aids, um Krieg und um Hunger, und die Art, wie ich über Musik rede und es nicht in eine Schublade stecke als so ein kleines Stück, was afrikanisch bleiben muss. Ich versuche es zu verbinden mit den Musik-Genres in der Welt, die ja alle miteinander vernetzt sind. Und ich will es in ein großes Schema stellen, und dadurch ist es nicht dieses kleine besondere Etwas, also dieser kleine Schmetterling im Museum. Und ich hoffe, dass der Blog etwas tut, dass die Leute sich bewusst sind, dass es auch größere Fragen gibt, die über die Musik hinausgehen, die die Musiker in anderen Ländern eben auch beschäftigen, und überhaupt etwas zu erfahren über Afrika im Allgemeinen und offen zu sein, was verschiedenste Musik-Genres betrifft.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Brian Shimkovitz. Er ist studierter Ethnologe aus New York und Betreiber des Internetblogs www.awesometapesfromafrica.com, wo er Musik vor allem aus Westafrika einstellt und über 30.000 Besucher im Monat hat. Brian, seit einigen Jahren nimmt das Interesse an afrikanischer Musik generell zu. Der weltweit sehr bekannte Musiker Damon Albarn, zum Beispiel, von Blur und den Gorillaz, ist nach Mali gereist und hat dort mit Musikern zusammengespielt, Popgruppen wie Vampire Weekend verwenden afrikanische Elemente in ihrer Musik. Was würden Sie sagen? Liegt das daran, dass – wie es ein Popkritiker kürzlich sagte – in der westlichen Pop- und Rockmusik einfach schon alles erzählt ist und sich alles immer wieder im Kreise dreht?

Shimkovitz: Das ist wirklich ein wichtiger Punkt, über den man nachdenken sollte. An welchem Punkt in der Geschichte gehen uns die Ideen und Möglichkeiten aus in der Musik? Und es gibt ja nur so viele Möglichkeiten, die man so hat. Und manchmal ist man sehr negativ und sage mir: ich bin hier in Brooklyn, in New York, das soll eine der Hauptstädte der Kreativität und Musik sein. Ich habe keine wirklich neuen Bands und Musiken gehört. Aber ich möchte doch nicht glauben, dass der einzige Grund, warum die Leute sich für Musik von außerhalb ihres Hauses interessieren, ist, weil sie keine Inspiration mehr haben.

Ich denke einfach, dass die Sachen einfach größer werden, weiter verbreitet sind. Jemand, der einfach eine größere Vision hat, wie Damon Albarn, das sind einfach Musiker, die nach neuen Dingen suchen, die sie inspirieren, die sie an ihren eigenen Hintergrund und auf dieses Fundament der Beatles und von Oasis legen können. Und Vampire Weekend ist auch ein interessantes Beispiel dafür: Denen wird immer vorgeworfen, dass sie afrikanische Musik kopieren, aber das glaube ich nicht. Sie haben einfach nur ihren Horizont erweitert. Und ich glaube nicht, dass es das Ende der Kreativität der westlichen Musik bedeutet, wenn man sich moderne, klassische Musik anschaut, oder neue Formen der Musik, die altmodisch erscheinen. Aber selbst was Punkrock anbetrifft, gibt es immer wieder neue Ausdrucksformen. Und ich bin ziemlich positiv, was das betrifft, und mit der Technik heutzutage können wir einfach unseren Horizont erweitern, und man kann psychedelische Musik aus Kambodscha hören und experimentelle Musik aus Neuseeland.

Hanselmann: Wie sehen Sie denn den Musikmarkt, das Musikgeschäft in Westafrika? Gibt es überhaupt noch eines oder läuft alles über Tapes und das Internet und MP3 und CD?

Shimkovitz: Was ich in Ghana, Burkina Faso und Mali gesehen habe, diese Orte, an die ich gereist bin, da gibt es eine sehr vitale Musikindustrie als solche, die ist anders vom System, was wir aus Amerika und Europa kennen, wo die Labels alles kontrollieren. In Ghana ist es typischerweise so, dass es die Produzenten und Manager sind, die das Geld reinstecken und das Geld auch wieder rausholen, dass es einen Markt für Kassetten und für CDs gibt und eine wirklich komplette Musikindustrie, aber die funktioniert einfach anders als unsere. Aber so wie man in New York einen Musiker, seinen Song in einen Film hinein versucht zu bringen, um viel Geld zu verdienen, das passiert in Ghana auch. Die bekannteren Künstler, wenn sie es schaffen, in eine Bierwerbung von Guinness zu bekommen, dann ist es wirklich viel Geld, und heutzutage, wo die Piraterie ja immer wichtiger wird, ist es ja immer schwieriger, vom Plattenverkauf allein zu leben.

Hanselmann: Vielen herzlichen Dank, Brian Shimkovitz.

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