"Ich glaube, da muss eine Kulturänderung im Handwerk stattfinden"

Gerhard Bosch im Gespräch mit Marcus Pindur · 05.08.2011
Gerhard Bosch beklagt, dass das Handwerk zu wenige Auszubildende mit Migrationshintergrund anstellt. Er halte dies für eines der größten Probleme, sagte der Soziologe an der Universität Duisburg-Essen.
Marcus Pindur: Das deutsche Handwerk und die duale Berufsausbildung sind weltweit anerkannt. Wer schon einmal Handwerksleistungen in den USA zum Beispiel in Anspruch genommen hat, der erkennt den Unterschied zum deutschen Handwerker ziemlich genau und ziemlich schnell.

Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Otto Kentzler, hat jetzt vorgeschlagen, angesichts des doppelten Abiturjahrgangs und der Schwierigkeiten, Lehrstellen mit geeigneten Bewerbern zu besetzen, solle das Handwerk doch vermehrt um Abiturienten werben. Lehre als Alternative zum Studium. Meister oder Techniker hätten später ein klar niedrigeres Risiko, arbeitslos zu werden, als Akademiker. Professor Dr. Gerhard Bosch ist Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Uni Duisburg-Essen, guten Morgen, Herr Bosch!

Gerhard Bosch: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Ist ein Handwerksberuf tatsächlich eine gute Alternative für einen Abiturienten?

Bosch: Das kommt auf den Blickwinkel an. Nehmen wir mal die Breite der Anforderungen, da würde ich sagen, im Handwerksbereich sind die technischen Anforderungen massiv gestiegen in vielen Bereichen, nehmen Sie die ganze Gebäudesanierung, die Klimatechnik. Das sind hoch interessante Berufe mit hohen Ansprüchen und für Abiturienten sehr interessant. Das Gleiche gilt auch für Dienstleistungsberufe, Hörgeräteakustiker, auch interessante Berufe. Die andere Frage ist, wie sieht es aus mit der Beschäftigungssicherheit und der Bezahlung, die stimmt im Handwerk häufig nicht.

Pindur: Otto Kentzler sagte aber, es gäbe ein klar niedriges Risiko, arbeitslos zu werden als Handwerker?

Bosch: Na ja, er hat hinterher gesagt, für Meister und Techniker. Er hat nicht für Handwerker gesagt. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote von Akademikern ist noch niedriger als die von Personen mit einer dualen Ausbildung, aber er hat natürlich recht, unter den vielen Studierenden finden dann anschließend viele keinen adäquaten Arbeitsplatz und sind auch arbeitslos. Das heißt, die Streuung ist sehr groß. Und in der Tat, die handwerklichen Tätigkeiten werden immer gefragt, sie bieten also durchaus eine sichere Perspektive für die Leute, die gut sind in diesem Bereich.

Pindur: Was hält denn dann junge Leute davon ab, auch mit Abitur vermehrt in Handwerksberufe zu gehen?

Bosch: Also, erst mal müssen wir feststellen, dass sie vermehrt in die duale Ausbildung gehen. 20 Prozent der Abiturienten in Deutschland gehen in eine duale Ausbildung, und das ist eigentlich ein großer Unterschied nehmen Sie zu Frankreich oder zu anderen Nachbarländern, wo die Berufsausbildung bei Abiturienten ein ganz, ganz schlechtes Ansehen hat. Da würde man nie in eine Berufsausbildung gehen, wenn man schon mal Abitur hat.

Das ist in Deutschland anders, weil hier eben wirklich qualifizierte Arbeit angeboten wird. Was sie abhält, ist wahrscheinlich die Arbeitsplatzsicherheit, die Handwerksbetriebe sind kleiner geworden in den letzten Jahren und damit hängt man natürlich vom Schicksal eines Betriebes ab. Und da kann der Inhaber wechseln, die Konjunktur kann zuschlagen. Also das heißt, die Unsicherheit ist relativ groß und man muss sich einstellen, auch den Arbeitsplatz zu wechseln.

Und der zweite Punkt ist, die Mobilität, die Bezahlung ist häufig sehr schlecht. In den letzten Jahren haben wir einen großen Preisverfall gehabt auf den Handwerksmärkten, und das hat auf die Löhne durchgeschlagen. Gott sei Dank haben sich jetzt einige Handwerksbereiche darauf besonnen, Mindestlöhne einzuführen, weil sie gemerkt haben, sie gewinnen keinen Nachwuchs mehr, wenn sie so schlecht zahlen.

Pindur: Welche Handwerksbranchen sind das denn, die da besonders unter Druck stehen?

Bosch: In erster Linie die Bauwirtschaft, da sind die Preise verfallen und ohne einen Mindestlohn hätte die Bauwirtschaft überhaupt gar keinen Nachwuchs mehr. Sie zahlt auch besonders hohe Ausbildungsvergütung. Andere Bereiche sind Dachdecker, Maler, also die klassischen Bauberufe, weil diese Branche besonders unter Druck gestanden hat.

Pindur: Wenn man jetzt vermehrt aber um Abiturienten wirbt, besteht dann nicht die Gefahr, dass das Handwerk so eine Art Durchlauferhitzer dann für ein späteres Studium eben wird? Man macht erst eine Ausbildung, und dann geht man dann doch an die Fachhochschule oder an die Technische Hochschule?

Bosch: Ja, ich würde mal sagen, aus der Sicht des Handwerksbetriebs ist das nicht immer schön, aus der Sicht des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist das eigentlich sehr gut. Wir wissen, dass 50 Prozent aller Studierenden an den Fachhochschulen vorher eine duale Ausbildung gemacht haben. Das bedeutet, wir kriegen Kaufleute und Ingenieure, die auch wissen, wie es im Betrieb wirklich zugeht auf der unteren Ebene, und nicht nur Blaupausen zeichnen können.

Und das betrachte ich als einen der Gründe für unsere gute Wettbewerbsfähigkeit. Wir haben auch in dem akademischen Bereich Leute, die wirklich wissen, wie die Produktion funktioniert. Also, das sehe ich als eine Stärke an. In der Tat ist das aber für das Handwerk ein Problem. Wir haben Bereiche wie die Tischler, da sind sehr viele künftige Architekten, machen eine Tischlerlehre und dann werden sie Architekt. Also, da ist das Handwerk zum Teil ein Durchlauferhitzer.

Und daran muss das Handwerk auch arbeiten, und das tut es auch. Es bietet jetzt eigene Studiengänge an mit Fachhochschulen, und es bietet für Abiturienten besondere Aufstiegsfortbildungen an, man kann also praktisch mit der dualen Ausbildung gleich den Meister machen. Das heißt, das Handwerk sieht auch, dass es den Abiturienten eine Aufstiegschance bieten muss, und davon wird es auch abhängen, ob das Handwerk wirklich attraktiv ist für Abiturienten.

Pindur: Kommen wir zum Schluss noch mal zu der Frage, ob das Handwerk auch sein Potenzial wirklich ausschöpft: Unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund gibt es sehr wenige Lehrlinge im Handwerk. Woran liegt das?

Bosch: Ja, das halte ich für eines der größten Probleme. Ja, die Handwerker sind stark organisiert in Kammern, in Gilden. Ich würde sagen, deutscher geht’s eigentlich nicht von der ganzen Tradition und die Handwerksmeister sind stark verankert in traditionellen Strukturen der deutschen Gesellschaft und haben ganz große Schwierigkeiten, junge Ausländer anzuwerben.

Und wir wissen, dass zum Beispiel der Anteil der ausländischen Auszubildenden deutlich zurückgegangen ist in den letzten Jahren, und ich glaube, da muss eine Kulturänderung im Handwerk stattfinden. Das ist eine große Aufgabe, ich hoffe, dass da eine neue Generation heranwächst, weil die Zukunft des Handwerks, die liegt sicherlich auch bei den jungen Ausländern.

Pindur: Recht herzlichen Dank, Herr Bosch!

Bosch: Danke, Herr Pindur!

Pindur: Gerhard Bosch ist Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Uni Duisburg-Essen.


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