"Ich freue mich immer, wenn's Buhs gibt"

Von Noemi Schneider · 15.02.2010
Die Zeiten der "Skandalfilme" auf der Berlinale sind vorbei. Beinahe jeder Tabubruch findet seinen Weg auf die Leinwand. Gleichwohl gibt es nach wie vor Regisseure, die provozieren und polarisieren. Zu ihnen zählt der Österreicher Peter Kern.
"Ich bin homosexuell, ich bin Österreicher, ich bin hysterisch, ich bin bösartig, ich bin fett, viel zu schwer für dieses Leben aber dem kann ich nicht entfliehen, ich muss mich selber immer am Buckel weitertragen, aber ich weiß, dass ich so bin und so kann ich es auch beschreiben und suche es auch in den anderen. Weil die anderen sagen alle, sie sind schön, sie sind gut, sie sind erfolgreich, sie sind wunderbar und dabei betrügen sie uns. Ich betrüge niemanden."

Peter Kern sitzt in seinem Berliner Hotelzimmer im Bett und frühstückt. Das österreichische "Enfant terrible" ist gelassen, vorgestern hatte sein Film "Blutsfreundschaft" mit Helmut Berger und Harry Lampl in der Panorama Sektion der Berlinale Premiere. Empörte Publikumsreaktionen sind ausnahmsweise ausgeblieben. Obwohl sich Peter Kern mit denen bestens auskennt, z.B. als Fassbinder Schauspieler in den 70er-Jahren.

"Schon 1978 bei Fassbinder, der Fassbinder wurde fast mit jedem Film hier ausgebuht. Herbert Achternbusch, ein Münchner Filmemacher, stand dann da, völlig verloren und fragte, warum buht ihr eigentlich? Niemand hat das so richtig verstanden, weil die Berliner so eine Vorstellung haben, die gehen in einen Film und die machen den Filmemacher fertig. Die sehen nicht, was da dahinter steckt. Das ist ja auch ihr Recht. Ich freue mich immer, wenn's Buuhs gibt. Das ist jetzt ein Ausspruch von Zadek. Als ich den einmal gefragt hab, ja, was sagst Du eigentlich zu Deinen Buuhs, sagt er, die hab ich alle bestellt, das sind meine Freunde."

Peter Kern sorgte immer für Aufruhr. Ob als Wiener Sängerknabe zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn in den 50er-Jahren, als Schauspieler im jungen deutschen Film oder als Regisseur. In seinen Filmen zeigt Peter Kern gesellschaftliche und persönliche Abgründe, die unerträgliche Leichtigkeit und Verlogenheit des Seins in einer übersexualisierten turbokapitalistische Welt. Den Ausgegrenzten, den Abseitigen, den Eigenartigen und den Verlorenen gehört sein "Anderes Kino".

"Ich mache nichts, was die Massen wollen, weil ich denke, dass es meine Aufgabe ist als Künstler, meine Visionen zu zeigen vom Leben. Also gesellschaftliche Modelle zu zeigen, Haltungen zu zeigen im Leben, die uns vielleicht ein bisschen zum Nachdenken anregen. Verändern werd' I nix mit meinen Filmen, gar nix, aber ich möchte vor allem Emotionen hochschüren."

Um seine Filme und vor allem die Finanzierung muss Kern enorm kämpfen.

"Eigentlich die wirklich genialen Filme werden wir nie sehen, weil bevor wir einen Film im Kino sehen, so viele Leute haben, so viele Spießer, so viele mittelmäßige Menschen, die das Spitzen im Leben gar nicht zulassen, auch Grenzüberschreitungen nicht zulassen. Ich hab's jetzt nachgezählt, 68 Menschen haben drein gesprochen in dieses Projekt."

Doch so richtig reinreden lässt sich Peter Kern eigentlich nie wirklich, denn:

"Ein Künstler muss frei entscheiden können. Natürlich sind das öffentliche Gelder, aber man darf nicht öffentliche Gelder geben und dazu sagen, hallo, die müssen aber gut sein, oder das muss so sein, das geht nicht, die Kunst muss frei bleiben und auch Filmemachen ist einer der wenigen Kunstfreiräume, die wir noch haben."

In seinem aktuellen Film "Blutsfreundschaft" geht es, wie eigentlich in allen Filmen von Peter Kern, um österreichische Außenseiter.

"Nur sind das keine Alltagsmenschen, sondern der eine hat die Schuld, dass er seinen Freund verraten hat, in der Vergangenheit, während der Nazizeit, und der andere ist in ein Verbrechen geraten, durch die vielen Rattenfänger, die durch die Straßen schleichen und die Jugend, die gescheiterte Jugend aufsammeln, um zum Nationalsozialismus zu bringen, also die Neonazis, und der hat einen Mord begangen, an dem er eigentlich nicht schuld ist, es war mehr ein Unfall, und der flüchtet eben zu diesem Mann, und da entsteht eine sehr eigene, sehr merkwürdige Beziehung."

"Blutsfreundschaft" erzählt von dieser ungleichen Konstellation mit einem nachdenklichen Helmut Berger und einem beeindruckenden Harry Lampl. Und wie jeder Film von Peter Kern entstand auch dieser aus der Liebe zum Geschichten Erzählen, aus der Liebe zum Kino.

"Ich gehe wie ein kleines Kind ins Kino und so mache ich auch meine Filme. Ich möchte lachen, ich möchte weinen, ich möchte mich für einen Charakter einsetzen mit dem mitleben, alles durchleben, aber ich möchte trotzdem noch Distanz haben, um eine eigene Erkenntnis aus dem Ganzen zu ziehen und deshalb polarisieren meine Filme, deshalb gibt es Streit, aber das ist ja die Geschichte jedes Dramas. Ohne Konflikte kann es keine Geschichte geben, sonst würden wir einschlafen."