"Ich esse meine Suppe nicht"

Von Alexa Christ · 13.06.2009
Heinrich Hoffmann wurde durch ein kleines Büchlein mit selbst illustrierten Geschichten weltweit bekannt – dem "Struwwelpeter". Der Kinderbuchklassiker ist nach der Bibel das meistübersetzte Buch der Welt. Der Autor feiert am 13. Juni seinen 200. Geburtstag.
"Paulinchen war allein zu Haus,
Die Eltern waren beide aus.
Da sah sie plötzlich vor sich stehn
Ein Feuerzeug, nett anzusehen.
"Ei," sprach sie, "ei, wie schön und fein!
Das muss ein trefflich Spielzeug sein.
Ich zünde mir ein Hölzchen an,
Wie's oft die Mutter hat getan."

Man ahnt es schon – die Geschichte nimmt kein gutes Ende. Generationen von Kindern wurde durch das Schicksal des armen Paulinchens vor Augen geführt, wie gefährlich es ist, mit dem Feuer zu spielen. Schöpfer jener "Gar traurigen Geschichte mit dem Feuerzeug" ist der Arzt, Lyriker und Kinderbuchautor Heinrich Hoffmann – und wer kennt sie nicht, die Geschichten vom Struwwelpeter ...

"Sieh einmal hier steht er,
pfui der Struwwelpeter."

... vom bösen Friederich ...

"Der Friederich, der Friederich, das war ein arger Wüterich."

... vom Suppenkaspar ...

"Ich esse meine Suppe nicht. Nein, meine Suppe ess ich nicht,."

Heinrich Hoffmann wurde am 13. Juni 1809 als Sohn eines städtischen Baumeisters in Frankfurt am Main geboren. Der Hang zum Erzählen, Reimen und Fabulieren war dem kleinen Heinrich in die Wiege gelegt. Aber die Schriftstellerei galt im 19. Jahrhundert nicht als Brotberuf, und so studierte Hoffmann stattdessen Medizin. 1835 ließ er sich im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen als praktischer Arzt nieder und betreute eine Armenklinik. Nebenbei schrieb er ohne großen finanziellen Erfolg Gedichte. Ein Umstand, der sich an Weihnachten 1844 schlagartig ändert. Weil er für seinen dreijährigen Sohn Carl kein geeignetes Bilderbuch findet, greift Hoffmann kurzerhand selbst zu Tinte und Feder – und so entsteht der Struwwelpeter als Weihnachtsgeschenk für den eigenen Sohn. Dass das kleine Büchlein schon bald einen Siegeszug um die ganze Welt antritt, hätte sich Hoffmann da noch nicht träumen lassen.

"Der Schlingel hat sich die ganze Welt erobert, ganz friedlich, ohne Blutvergießen, und die bösen Buben sind weiter auf der Welt herumgekommen als ich; ich habe gehört, dass man ihnen in Nord- und Südamerika, ja am Kap der guten Hoffnung, in Indien und Australien begegnet ist."

Heute wirken die Geschichten didaktisch veraltet – man denke nur an den Daumenlutscher Konrad, dem der Schneider zur Strafe die Daumen abschneidet. Doch man muss den Struwwelpeter im Kontext seiner Zeit sehen.

Hoffmanns Biograph Gerhard Herzog:

"Zur Geschichte mit dem Daumenlutscher: Hoffmann schrieb sie und zeichnete sie so drastisch, weil es damals in Frankfurt keine Kanalisation gab, und die Leute schütteten den ganzen Dreck auf die Gasse, und die Kinder spielten auf der Gasse und steckten sich die Finger in den Mund und holten sich Infektionen."

Und die waren damals ohne Antibiotika schlecht zu behandeln. So sehr Hoffmann die Schriftstellerei auch liebte – er brachte weitere Kinderbücher heraus, einige satirische Schriften und Lyrikbände – seine eigentliche Berufung sah er in seinem Wirken als Arzt. Heute gilt er als einer der ersten Vertreter der Jugendpsychiatrie. Beate Zekorn von Bebenburg, die Leiterin des Frankfurter Struwwelpeter-Museums:

"Er war sehr, sehr wichtig für die Frankfurter Psychiatrie. Er hat 1851 die Leitung der Anstalt für Irre und Epileptische, wie es damals hieß, übernommen. Ohne irgendwelche Vorbildung als Psychiater. Das konnte man damals auch noch nicht studieren, die Psychiatrie. ( ... ) Und er hat sich dann mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, mit Reisen, mit Literaturstudien, eingearbeitet in diesen ganzen Themenbereich Psychiatrie, und hatte damit sein Lebenswerk gefunden."

Mit unermüdlichem Einsatz gelang es Hoffmann, genug Spenden zu sammeln, um die Stadt Frankfurt zu einem Neubau der Nervenheilanstalt zu bewegen. Er wollte einen Ort schaffen, an dem seine Patienten menschenwürdig behandelt werden können. Und er wollte die öffentliche Wahrnehmung von psychisch Kranken verbessern. 1864 wurde die Klinik auf dem Affenstein eingeweiht. Endlich konnte er die Patienten nach Geschlecht, Krankheit und nach ihren geistigen und körperlichen Bedürfnissen getrennt unterbringen. Bis zu seiner Pensionierung wirkte er als Direktor der für die damalige Zeit modellhaften psychiatrischen Klinik. Am Ende seines Lebens resümierte er lakonisch:

"Der Mensch geht in und durch das Leben wie Kolumbus auf seiner Meerfahrt. Er wollte nach Indien fahren und hat Amerika entdeckt. So ging's mir auch. Ich wollte Chirurg werden und wurde zuletzt Irrenarzt."