"Ich bin krass monogam"

09.09.2010
Der neue Film "Drei" von Regisseur Tom Tykwer spielt mit der Möglichkeit, dass sich jeder Mensch auch mal zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Der Regisseur selbst findet sich aber privat wie beruflich "krass monogam" und sei vor allem durch seine Arbeit libidinös abgedeckt.
Susanne Führer: Zehn Jahre ist es her: Damals nahm der Regisseur Tom Tykwer zum ersten Mal am Wettbewerb der Filmfestspiele in Venedig teil mit "Lola rennt", der ja bekanntlich dann zu einem großen Erfolg wurde. Jetzt ist Tykwer nach Venedig zurückgekehrt, "Drei" heißt sein neuer Film, der morgen den Wettbewerb beschließen wird. Bis dahin ist ja noch etwas Zeit, und die hat Tom Tykwer sich für uns genommen. Er ist jetzt aus einem Studio in Venedig zugeschaltet, was mich sehr freut. Hallo, Tom Tykwer!

Tom Tykwer: Guten Tag! Hallo!

Führer: 1990 "Lola rennt" im Wettbewerb, jetzt "Drei" – mit welchen Gefühlen sind Sie denn nach Venedig zurückgekehrt?

Tykwer: Gemischt insofern, als dass die Gefühle natürlich davon beeinflusst sind, dass man weiß, dass man hier den Film zum ersten Mal mit Publikum sieht, was ich so auch wirklich sehr lange nicht erlebt habe. Der Film ist sehr knapp fertig geworden, also ich habe am Samstag meine erste Kopie gesehen, und jetzt ist, glaube ich, morgen die erste Vorführung – und das ist immer was anderes.

Normalerweise hat man eigentlich eine Geschichte mit Publikum hinter sich, wenn man einen Film dann auf ein Festival bringt, insofern, als dass man schon mal ein Testscreening gemacht hat oder zumindest mit Freunden und Familie schon mal irgendwie so ein kleineres Kino voll gemacht hat, um so ein bisschen Resonanzen zu sammeln. Das haben wir alles nicht gemacht bei dem Film, wir haben überhaupt keine Ahnung, was uns hier erwartet, wir wissen überhaupt nicht, wie dieser Film auf Publikum wirkt, und entsprechend ist das eine andere Form von Aufregung.

Führer: Läuft er deswegen auch als Letztes, weil er so knapp fertig geworden ist?

Tykwer: Das kann sein – also wir waren jedenfalls einigermaßen dankbar für den Termin, weil es wirklich auf des Messers Schneide war, aber es war auch irgendwie dadurch natürlich ein bisschen spannend. Der Unterschied ist natürlich insofern auch sehr groß, weil damals, als "Lola rennt" hier lief, war der eine Woche vorher in Deutschland schon ins Kino gekommen, das heißt, wir hatten wirklich, wir waren da, wir ritten schon auf einer Welle – und die Welle soll ja jetzt hier erst gestartet werden.

Führer: Also Rückkehr nach Venedig. Es gibt ja noch eine Art von Rückkehr, nämlich zur deutschen Sprache, ist der erste deutschsprachige Film jetzt, "Drei", seit der "Lola", was ist das für ein Gefühl?

Tykwer: Nein, seit dem Film danach, der hieß "Der Krieger und die Kaiserin", der übrigens auch hier lief.

Führer: Ach so, ja, Entschuldigung!

Tykwer: Der lief auch hier.

Führer: Aber nicht im Wettbewerb?

Tykwer: Das weiß ich gar nicht mehr.

Führer: Habe ich jetzt gelesen.

Tykwer: Irgendwie außer Konkurrenz oder wie das dann nennen. Auf jeden Fall ist das ein deutscher Film, ja, aber auch nur insofern, was wirklich spezifisch anderes, als er natürlich in deutscher Sprache ist, ansonsten haben ja fast alle Filme, die ich gemacht habe, einen großen Teil, wurden zu einem größeren Teil in Deutschland gedreht. Es ist ja für mich so, wenn sich die Sprache ändert, ist das natürlich ein wichtiger Wandel, aber für mich natürlich, meine Filme immer auch ein Familienunternehmen sozusagen, es ist ja immer dieselbe Crew, egal in welcher Sprache wir drehen und in welchem Land wir uns aufhalten. Es sind immer dieselben Menschen, mit denen ich da durch diese Filme reise.

Insofern ist es jetzt nicht so, dass sich dann plötzlich, dass sich alles ändert, aber es gibt natürlich einen entscheidenden Unterschied, und das ist die Sicherheit und natürlich die Klarheit, mit der man zum Beispiel auf Schauspieler zugehen kann und sich dann gleichzeitig auch trauen kann, noch nicht ganz genau zu wissen, was man da gleich sagen wird, nachdem man irgendwas gesehen hat, weil das sozusagen in der eigenen Sprache natürlich oft ein sehr schöner Vorgang ist, so sprechzudenken oder denkzusprechen. Was im Englischen – ich spreche gut englisch, aber das ist natürlich nie das Gleiche, ich übersetze erst mal und dann sage ich einen Satz. Dadurch wird automatisch alles ein bisschen pragmatischer und ein bisschen analytischer, hat manchmal den Vorteil, dass ich schneller zum Punkt komme, aber hat auch den Nachteil, dass man dieses gemeinsame Suchen, das gerade mit den Schauspielern ein sehr schöner Vorgang ist und der vor allen Dingen sprachlich abläuft, dass der weniger stark vorkommt.

Das habe ich sehr genossen jetzt bei dem Film, da war Sophie Rois ja dabei und Devid Striesow und Sebastian Schipper, drei wirklich ganz tolle und sehr unterschiedliche Schauspieler und auch sehr unterschiedliche Arbeitsweisen, an die ich mich eben durch das Deutsche und durch dieses, ja, eben das Suchende in der Sprache wirklich, glaube ich, das hat uns sehr gut zusammengebracht.

Führer: Sie haben jetzt die drei Schauspieler genannt, die in "Drei" spielen, also den Film kennt ja, wie Sie erzählt haben, eigentlich noch niemand. Ich konnte trotzdem schon lesen, es sei ein Liebeslustspiel oder auch ein intimes Dramolett. Vielleicht können Sie mal kurz erzählen, worum es geht?

Tykwer: Passt irgendwie beides, obwohl klingt irgendwie, Liebeslustspiel klingt ein bisschen altbacken.

Führer: Aber intimes Dramolett finde ich fast noch schöner.

Tykwer: Ich glaube, was also der Versuch dieser Begriffe ist, ist ja nur, er geht in die Richtung, dass es, wie ich mir einbilde, tatsächlich etwas von einer Komödie hat, was für mich jetzt nicht unbedingt so typisch ist. Wobei, ich glaube, "Lola rennt" war auch ein Film, in dem viel gelacht wurde, aber vielleicht aus anderen Gründen. Hier geht es eigentlich, um es kurz zusammenzufassen, zumindest der Geschichte nach um ein Paar, das schon ziemlich lange miteinander lebt und liebt und die sich nach vielen Jahren gemeinschaftlichem Partnersein plötzlich gleichzeitig zufällig in denselben Mann verlieben, was also bedeutet, der Mann verliebt sich auch in diesen Mann, aber beide wissen nicht, dass sie jeweils denselben Mann lieben. Und es entsteht halt sozusagen eine Geheimaffäre zu dritt – mit kompliziertem Ausgang.

Führer: Also nach dem Motto, wir alle lieben Männer.

Tykwer: Na, es geht ja irgendwie in alle Richtungen. Ich meine, die Männer lieben ja auch die Frau, also ich meine, alle lieben ja in alle Richtungen sozusagen. Und es geht eher darum, dass diese Definiertheit, in der wir uns, glaube ich, heutzutage bewegen, eine ist, die wir intuitiv schon längst verabschiedet haben, und der Film nimmt das einfach mal ernst, die Tatsache, dass eigentlich jeder sich auf einer bestimmten Weise wahrscheinlich einsortieren würde, wenn man jetzt sagen würde, auf einer Skala zwischen hetero- und homosexuell gibt es wahrscheinlich überhaupt kaum einen Menschen, den wir kennen, den man eindeutig auf die eine oder eindeutig auf die andere Seite lagern würde. Insofern sind wir, glaube ich, je nach Lebensphase möglicherweise mehr oder weniger anfällig, immer auch mal woanders hinzuschielen. Und damit spekuliert der Film.

Führer: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Tom Tykwer über seinen neuen Film "Drei". Herr Tykwer, hat Sie das gereizt, so dieses Uneindeutige? Ich meine, "Lola rennt" ist was ganz anderes, aber ich hatte gerade so die Assoziation, da gab es ja auch verschiedene Versionen einer Geschichte, sozusagen, das Leben muss nicht immer so oder so sein, und vielleicht auch in der Liebe.

Tykwer: Ja, also auf jeden Fall ist der Film so verwandt, glaube ich schon, also weil wir haben ihn sehr, sehr spielerisch empfunden und auch darin sehr leicht. Es passieren zwar irgendwie dramatische Dinge, aber der Film bleibt, glaube ich, immer auch entspannt im Umgang damit, weil das Drama überzustrapazieren, würde sozusagen die Verspieltheit auch der Beteiligten nicht wirklich angemessen betonen. Die sind auf einer Suche, die nicht so eine verzweifelte Sinnsuche ist, sondern eher eine einigermaßen offene, die überlegen, wie kann man denn eigentlich noch lieben, und probieren es halt aus.

Führer: Sozusagen freie Liebe im Film, aber Sie selbst scheinen ja eine ganz treue Seele zu sein, also zumindest was die Arbeit angeht. Sie haben vorhin gesagt, dass Sie gerne mit derselben Crew zusammen sind, also Kamera immer Frank Griebe, Schnitt immer Mathilde Bonnefoy – warum eigentlich?

Tykwer: Ja, ich bin extrem krass monogam in jeder Hinsicht, also privat und beruflich, aber ich führe natürlich ein konstantes Doppelleben, insofern kann ich mir das ganz gut leisten, weil mein Doppelleben besteht halt darin, dass ich das Glück habe, irgendwie eine Arbeit zu machen, die mich auch, glaube ich, libidinös abdeckt in einem gewissen Ausmaß, insofern, die erfüllt sozusagen den Bereich des Fremdgehens – das mache ich ja alles mit der Arbeit.

Und natürlich auch in den intensiven Verhältnissen, die man natürlich da immer führt. Man ist extrem verstrickt mit dieser Familie, mit der man da so älter wird. Also Frank Griebe, der Kameramann zum Beispiel, der tatsächlich seit über 20 Jahren mit mir arbeitet und mir seine Gabe schenkt, ist natürlich einerseits irgendwie so was Bruderhaftes, ein bisschen auch siamesischer Zwilling, aber wir sind natürlich auch ein richtig neurotisches Pärchen auf eine Weise und sagen auch immer, na ja, wenn es mit unseren Frauen nicht klappt, dann haben wir ja immer noch uns.

Führer: Und "Drei" ist ja jetzt auch wieder eine Produktion Ihrer eigenen Firma, also X-Filme, die Sie mit Dani Levy, Wolfgang Becker und Stefan Arndt zusammen gegründet haben, schon eine Weile her. War das auch so ein bisschen so ein, na, jetzt vielleicht nicht jetzt so ein neurotisches Nachhausekommen, aber doch auch wieder so die Familie wieder um sich rum und eigener Herr im Haus zu sein, meine eigene Produktion, also die eigene Produktion zu machen?

Tykwer: Ja, ist schon schön, und das hat einen, also speziell für Filme, die so eine gewisse Intimität brauchen und auch eine, naja, so eine Art von Zuhausegefühl irgendwie auf unterschiedliche Weise auch formulieren und in sich tragen, ist das echt hilfreich, das habe ich sehr gemerkt, dieses … Auch natürlich die Sicherheit, dass man sozusagen die Arbeitsumstände, die Kontexte, in denen wir uns da sozusagen einbetten, dass man die wirklich sehr stark mit gestaltet und mit bestimmen kann. Das ist ein großer Unterschied, der natürlich so eine Produktion, in der man auch von allen eigentlich so verlangt oder sich wünscht, dass sie sich richtig einnisten und nicht nur einfach kommen, um ihre Arbeit zu machen, das ist sehr zuträglich dafür.

Führer: Morgen Abend ist also Premiere, Weltpremiere sozusagen …

Tykwer: Ja!

Führer: Was machen Sie denn bis dahin?

Tykwer: Eben habe ich tatsächlich die ersten 20 Minuten an einem Strand gesessen, aber mit einem Telefon und ein Interview gegeben – so sieht es aus. Und morgen sitze ich vielleicht den ganzen Tag in irgendwelchen Hotelzimmern und werde belagert von Menschen, die mir Fragen stellen über einen Film, den ich selber noch nicht ganz verstanden habe, und das ist dann immer auch ein bisschen … Also ich bin darüber eigentlich fast aufgeregter, über den Film was sagen zu müssen zu Menschen, die ihn dann gesehen haben, weil ich da noch überhaupt kein Training drin habe.

Führer: Gucken Sie sich denn eigentlich die anderen Wettbewerbsfilme an?

Tykwer: Wenn ich das schaffe, unbedingt, ja, weil wir sind natürlich nicht so lange hier, deswegen kommt man nicht zu viel, aber ich habe eigentlich schon auf Ankunft hin direkt einen Film gesehen, ja – den ich auch ganz interessant fand.

Führer: Welchen denn?

Tykwer: Von Vincent Gallo, den fanden alle doof und ich fand ihn interessant, weil er ein Film war, der endlich mal wieder sich richtig viel Ruhe lässt. Er heißt "Promises Written in Water".

Führer: Tom Tykwers neuer Film heißt "Drei", und der hat morgen bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere. Ich drück die Daumen, Herr Tykwer, und vielen Dank fürs Gespräch!

Tykwer: Ich danke!

Führer: "Drei" kommt übrigens in Deutschland im Winter in die Kinos, und zwar am 23. Dezember.
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