"Ich bin Historiker und kein Prophet"

Hubert Wolf im Gespräch mit Philipp Gessler · 09.03.2013
Seit Jahrhunderten kommen die Kardinäle in der Sixitinischen Kapelle zusammen, um nach dem Tod des Papstes einen Nachfolger zu wählen. Nun ist Benedikt XVI. zwar nicht gestorben, aber am Ablauf des Konklaves wird das nichts ändern. Hubert Wolf zu einer der geheimnisvollsten Wahlen der Welt.
Philipp Gessler: Auf ein Konklave schaut die Welt. Über 4.300 Journalisten aus aller Damen und Herren Länder sind nach Rom gereist, um über dieses Wahlspektakel zu berichten. Der Witz ist: Die eigentlichen Akteure, die Kardinäle, dürfen gar nichts sagen. Mit dem Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf habe ich über das Konklave gesprochen.

Wolf ist ein Star seines Fachs, gerade hat er einen Bestseller geschrieben über einen Kirchenskandal im 19. Jahrhundert, der bis zu den Recherchen Wolfs in den Archiven des Vatikan vertuscht wurde. Ein Nonnenkloster in Rom, in dem, es klingt wie ein billiges Klischee, Sex and Crime herrschten. Dieses Buch, "Die Nonnen von Sant'Ambrogio", haben wir in "Religionen" schon vorgestellt. Wolf ist spezialisiert auf die schwierigen Fälle in der neueren Kirchengeschichte. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, warum die Welt, obwohl nichts rauszufinden ist, so fasziniert ist vom Konklave?

Hubert Wolf: Wahrscheinlich ist es in einer Mediengesellschaft, die auf Öffentlichkeit, auf totale Durchsichtigkeit getrimmt ist, einfach die Inszenierung des Geheimen. Es wird im Geheimen gewählt, es gibt keinen Kontakt zwischen den Wählern und dem Volk Gottes außerhalb. Die einzige Kommunikationsmöglichkeit ist der weiße oder schwarze Rauch, der aus dem am häufigsten abgefilmten Schornstein der Welt, diesem Kupferrohr, das aus dem Kanonenofen der Sixtinischen Kapelle emporragt. Das ist wahrscheinlich – diese Inszenierung des Geheimen ist das, was die Menschen fasziniert.

Gessler: Das fasziniert Sie auch?

Wolf: Das fasziniert mich auch, ja, wobei ich natürlich sehr viele Akten von Konklaven aus der Geschichte kenne und insofern vielleicht nicht so ganz dem Zauber erliege.

Gessler: Was ist denn Ihre schönste Konklave-Geschichte in den vergangenen 800 Jahren?

Wolf: Die schönste Konklave-Geschichte – es gibt sehr viele schöne Konklave-Geschichten. Also, wir müssen uns ja immer klar machen, wir haben immer alle im Kopf, es wird immer in der Sixtinischen Kapelle gewählt, und es wird immer mit Stimmzetteln gewählt. Aber das war vor 1621, vor der großen Konklavereform nicht so. Sondern da wurde meistens offen gewählt, und es war eine sehr überschaubare Zahl von Kardinälen, also so 30, 40. Und da ging die Wahl so, ich erinnere mich jetzt nicht genau, welche das war, es ist eine Wahl im 16. Jahrhundert, da sitzen sozusagen die Kandidaten in drei unterschiedlichen Kapellen des apostolischen Palasts, und in der Nacht fängt man dann plötzlich an, eine Verehrung zu inszenieren. Also es rennen Leute dann auf einen zu, der auf einem Thron sitzt und werfen sich vor dem nieder, und sobald der zwei Drittel hätte, wäre der dann gewählt. Und ein älterer Kardinal schreibt dann später in seinen Memoiren, er wachte nachts auf, hatte überhaupt gar keine Ahnung, was los ist und rennt einfach nur mit, und so wird derjenige dann mit zwei Dritteln gewählt.

Gessler: Irgendwann war ja das Konklave ein relativ modernes Verfahren, um einen mächtigen Führer zu wählen, oder?

Wolf: Ja, das Konklave ist ja eigentlich aus der Not geboren, ich meine, man will ja vermeiden, dass eben Pressionen von außen ausgeübt werden. Wir haben häufig in der Geschichte der Kirche gehabt, gerade in schwierigen Zeiten, dass einfach entweder das römische Volk die Wahlversammlung gestürmt hat oder irgendwelche anderen politischen Gruppen versucht haben, Einfluss zu nehmen. Konklave heißt erst mal, man schirmt sich ab und schafft einen Raum, in dem die Wähler unter sich sind. Das ist das Erste.

Das Zweite ist dann natürlich die Einführung der Zweidrittelmehrheit, um zu sagen, wir haben ja die Erfahrung gerade im Konklave, wenn dann mit einer Stimme Mehrheit einer gewählt wird, dann sagt der Zweite, vielleicht ist eine von den anderen Stimmen ungültig, dann haben wir zwei Päpste. Das haben wir relativ häufig in der Geschichte der Kirche gehabt. Deshalb diese Zweidrittelmehrheit, ein sehr hohes Quorum, was es sonst eigentlich nirgendwo für die Wahl eines hohen Stellvertreters gibt. Und ich finde eigentlich nach wie vor dieses hohe Quorum für sehr wichtig, wobei ja Joha nnes Paul II. in seiner Wahlordnung nach dem 34. Wahlgang die einfache oder die absolute Mehrheit eingeführt hat, was ich aus historischer Sicht für einen Fehler halte.

Gessler: Und Benedikt hat das ja dann auch wieder abgeschafft.

Wolf: Er hat es wieder relativiert, jedenfalls nach 34 Wahlgängen müssen jetzt die Kardinäle noch mal drüber nachdenken. Aber ich hätte da überhaupt keine Zäsur gemacht nach dem 34. Wahlgang, sondern ich hätte so lange weiter gewählt, bis jemand mit zwei Dritteln gewählt wird. Denn der Zwang zum Kompromiss, zu sagen, wir müssen am Schluss jemand finden, der wirklich die große qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln hinter sich hat, ist, glaube ich, auch ein ganz entscheidender Ausgangspunkt für ein Konklave, und natürlich nachher auch für die Amtsführung eines Papstes – stellen Sie sich vor, ein Papst würde wirklich mit absoluter Mehrheit, mit einer oder zwei Stimmen Mehrheit gewählt, er hätte doch nie die Power, nie die Autorität wie jemand, der sagen kann, ich habe aber mehr als zwei Drittel hinter mir gehabt.

Gessler: Sie sind ja in den Archiven des Vatikans zuhause als Historiker – wie gut kann man eigentlich den Ablauf der Konklave der früheren Jahrhunderte rekonstruieren? Oder ist das gar nicht möglich, weil alle Wahlzettel am Ende immer verbrannt werden?

Wolf: Es ist ganz unterschiedlich, in welcher Zeit man ist. Also es gibt natürlich, von einzelnen Wahlen gibt es, obwohl es verboten war, haben Sie Tagebuchaufzeichnungen von Teilnehmern. Also nehmen Sie mal an, zwei, drei Kardinäle, die bei dem Konklave dabei waren, notieren ganz genau, was im ersten Wahlgang passiert ist, was im zweiten passiert ist – und wenn Sie natürlich dann zwei, drei, vier Berichte haben, die Sie miteinander vergleichen können, dann kommen Sie sehr genau dahin und können das Geheime dann entzaubern, weil Sie genau sehen, im ersten Wahlgang hat der und der die und die Stimmen, dann gibt es die und die Absprachen, dann führt der seine Gruppe zu dem unter der Bedingung, dass der nachher Kardinalstaatssekretär wird und so weiter.

Das können Sie bei unterschiedlichen Konklaven ganz schön nachhalten. Und vor allem müssen Sie ja bedenken, bis zum Konklave von 1903 haben wir ja die sogenannten Kronkardinäle. Das Vetorecht der katholischen Könige und Kaiser, also: 1903 hat der ehemalige Kardinalstaatssekretär Rampolla fast schon eine Zweidrittelmehrheit, er gilt aber als Frankreich-freundlich. Dann steht der österreichische Kronkardinal auf und sagt "Veto". Damit kann der nicht mehr gewählt werden. Und das sind natürlich dann schon hochdramatische Geschichten von Konklaven, die man dann aufgrund der Materialien in den Archiven rekonstruieren kann.

Gessler: Wurden denn in den vergangenen Jahrhunderten in der Regel die Kompromisskandidaten gewählt wegen dieser Zweidrittelmehrheit?

Wolf: In dem Moment, wo Sie die Zweidrittelmehrheit brauchen, gibt es häufiger tatsächlich Kompromisskandidaten oder aber es drängt sich in einer bestimmten Situation eben nur einer auf. Also wie gesagt, bei der Wahl von Pius XII. 1939 war eigentlich allen schon klar, als man ins Konklave hineinging, der Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli – angesichts der schwierigen Weltsituation brauchen wir einen Politiker, erfahren auch gerade in Deutschland, der war ja zwölf Jahr Nuntius in Deutschland. Ja, der ging als Papst ins Konklave hinein und kam auch als Papst heraus.

Gessler: Das heißt, der alte Spruch galt da nicht ?

Wolf: Der galt da nicht.

Gessler: Welches Ritual im Konklave finden Sie eigentlich am faszinierendsten?

Wolf: Welches Ritual? Ich finde am faszinierendsten die Stimmabgabe. Und zwar deshalb, weil es ja so ist – Sie müssen sich die Sixtinische Kapelle vor Augen führen. Also an der Stirnseite das Jüngste Gericht von Michelangelo. Darunter der Altar mit der Urne, also mit dem Kelch. Und dann läuft der Kardinal, jeder Kardinal muss einzeln, wird einzeln aufgerufen. Er hat seinen Stimmzettel in der Hand, wo er den Namen drauf geschrieben hat. Den muss er hochhalten, die Hand muss er hochhalten. Dann läuft der die 50 Meter auf das Jüngste Gericht zu und muss dabei sagen: "Ich wähle den, den Gott für den würdigsten hält." Und dann geht er aufs Jüngste Gericht zu. Das ist schon sehr eindrucksvoll.

Also, wenn ich einen wähle nur aus politischen Gründen, aus Machtpolitik, aus Partei- und Seilschaftsdenken, ja, dann könnte ich ja möglicherweise, wenn ich das Jüngste Gericht angucke, eben auf der einen Seite runterfallen in die Hölle. Und ich finde, das ist schon, also, von der Symbolik her, ungeheuer stark. Also ich stelle mir mal vor, ich würde da jetzt vorlaufen als Kardinal und das Jüngste Gericht angucken und sagen, ich wähle den, den Gott für den würdigsten hält.

Gessler: Es wird viel gebetet während des Konklaves. Glauben Sie eigentlich, dass der Heilige Geist da wirklich wirkt?

Wolf: Wie wirkt der Heilige Geist? Nach katholischer Überzeugung wirkt der Geist Gottes durch die Menschen. Und ich meine, tatsächlich beginnt ja das Ganze mit "Veni creator spiritus", also "Komm, Schöpfergeist". Natürlich geht es da auch um Politik. Natürlich geht es da auch um strategische Überlegungen. Aber ich sag mal, gerade die neue Form des Konklaves, wie wir seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben, inszeniert das gesamte Konklave als einen einzigen Gottesdienst mit den Gebetszeiten des Stundengebets, mit den entsprechenden Messen und so weiter.

Also, ich meine, das Wirken des Geistes kann der Historiker nicht nachweisen, ja, weil wir können uns nur auf die äußeren Fakten beziehen. Aber die Inszenierung als Inszenierung, die Anlage des Ganzen ist eigentlich ein großer Gottesdienst, was den Kardinälen immer auch eine deutliche Rote Karte vor die Augen halten soll – was Ihr hier macht, hier geht es nicht um euch und es geht nicht um Macht, sondern es geht erst mal um das Wohl der Kirche beziehungsweise um das Wohl der Menschen. Denn die Kirche ist für die Menschen da, und den, den ihr jetzt wählt, der hat eigentlich die Aufgabe, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi den Menschen glaubwürdig zu verkünden. Das ist eigentlich der eigentliche Zweck des Petrus.

Und ich denke, wenn das klar wird, dass es hier um eine eminent religiöse Aufgabe geht und um eine Stärkung des Glaubens vom Menschen, ich denk, dann ist die Liturgie und die Beschwörung des Geistes durchaus eine angemessene Form.

Gessler: Ist das Konklave überhaupt noch eine zeitgemäße Form der Auswahl eines Papstes?

Wolf: Also, ich finde das Konklave für die richtige Form. "Konklave" heißt ja "abgeschlossen" - das heißt nicht, dass wir jetzt da 'ne öffentliche Wahl und mit die Medien.. Ich mein', wir haben ja zum Glück auch ... Handys und Anderes sind ja für die Kardinäle verboten, also, dass es uns nicht so wie bei der Bundespräsidentenwahl per Twitter erreichen wird, wer gewählt ist.

Ich hätte mir allerdings gewünscht, das war ja auch im Zweiten Vatikanischen Konzil eine Diskussion, ob nicht tatsächlich die Ortskirchen noch stärker einbezogen worden wären, indem man sagt, das Kardinalskollegium plus eine möglichst gleichgroße Zahl von Bischöfen, in einem bestimmten Proporz zur Zahl der Katholiken aus den unterschiedlichen Ländern beziehungsweise Erdteilen.

Das hätte ich mir gewünscht, da wäre sozusagen die Kollegialität, die Breite stärker gewesen, aber das hat sich nicht durchgesetzt, weil man gesagt hat, wir haben seit dem 11. Jahrhundert das Wahlrecht auf die Kardinäle konzentriert, das hat sich bewährt, und deshalb soll man dabei bleiben, das war dieses historische Argument.

Gessler: Vielleicht zum Abschluss: Was ist Ihr Tipp, wer wird der nächste Papst?

Wolf: Ich bin Historiker und kein Prophet.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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