"Ich bin ein überzeugter Linearitätsbefreier"

Tom Tykwer im Gespräch mit Susanne Burg · 11.11.2012
Die Grundidee seinen Film "Cloud Atlas", den er mit den Wachowski-Geschwistern realisiert hat, stamme aus dem zugrunde liegenden Roman von David Mitchell, sagt Regisseur Tom Tykwer - "dass die Menschheit selbst zwei gegenläufige Triebe hat".
Susanne Burg: Der Film beruht ja auf der Vorlage von David Mitchell. Im Film heißt es immer wieder, dass alles mit allem zusammenhängt, dass alles über die Epochen hinweg miteinander verbunden ist. Was hat Sie, Tom Tykwer, an dieser Idee gereizt?

Tom Tykwer: Na ja, es gibt zwei Antworten darauf. Zum einen interessiert mich der Grundgedanke natürlich, der in dem Buch auf so eine wundersame Weise einerseits spirituell angelegt zu sein scheint, aber dann doch irgendwie auch gleichzeitig ganz säkular erzählt bleibt, nämlich dass es so ein Verbundenheitsmoment zwischen allen Wesen dieser Welt gibt.

Ich habe gerade einen Text von Epikur gelesen, diesem alten Griechen, der schon 300 Jahre vor Christus sozusagen ein Weltkonzept entwickelt hat, in dem steht, dass alles Atome sind, und dass sozusagen eigentlich alle Wesen, alle Dinge, alle Ideen, alle Gedanken, alles besteht aus Atomen, aus einer riesigen Menge Atome, die sich mal konfigurieren und dann wieder vergehen, zu was Neuem zusammenfügen, dann wieder verschwinden.

Und das Schöne an dem Modell ist natürlich diese grundegalitäre Idee, die dahinter steht, dass wir keine höheren Wesen sind, wir Menschen, sondern dass wir alle aus den selben Teilen gebaut sind, aus denen der Rest der Welt besteht, und dass natürlich sozusagen wir im Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft immer gleichzeitig vorhanden sind und wieder auftauchen.

Und das hat ja was sehr Befriedendes, auch was Befreiendes, setzt uns nicht so unter Stress, was dieses eine Leben betrifft, das wir so leben. Das hat mich angesprochen, das aber eher als Modell, das wie gesagt nicht besonders religiös geprägt ist, das aber eben spirituell aufladbar ist.

Burg: Im Film sieht es dann so aus, dass wesentliche Rollen auch von den selben Schauspielern gespielt werden, also Halle Berry beispielsweise ist eine investigative Journalistin im Jahre 1973, tritt in einer Art koreanischem McDonalds dann auf und ist dann auch eine der letzten Überlebenden der Apokalypse. Sie haben gesagt, sie fanden es interessant, dass es säkular war, aber auch irgendwie spirituell aufgeladen. Ist das, was Sie im Film anlegen, dann auch ein Bekenntnis zur Reinkarnation?

Tykwer: Das ist das Schöne, der Film hat, glaube ich, lässt dem Zuschauer die Wahl, wie er es lesen möchte. Es ist kein festgelegtes Modell, das der Film darstellt. Ich bin auch eigentlich bevorzugt zu den Schauspielern hingegangen und habe gesagt: Du spielst eigentlich einen genetischen Strang. Das ist am ehesten vorstellbar gewesen, glaube ich, und eine einfachere Variante, sich drauf einzustellen, der genetische Strang, der halt in unterschiedliche Charaktere schlüpft und bestimmte Neigungen oder Vorzüge entwickelt, weiterentwickelt, also eine bestimmte Evolution durchmacht.

Darum ging es natürlich auch, und man sagte, okay, und deine Evolution ist eben die, du lernst von deinen vorherigen Leben für das zukünftige. Manche lernen aber auch nichts, manche bleiben immer gleich böse oder gleich ignorant der Welt gegenüber. Natürlich war es auch für manche einfacher zu sagen, ich bin eine Seele, die wandert halt von Inkarnation zu Inkarnation.

Burg: Aber egal, wie man es sieht, die Frage bleibt, ja eigentlich, nach welchen Regeln funktionieren diese möglichen Entwicklungen? Einige der Charaktere oder der Seelen oder wie man es nennt, die wandeln sich von gut zu böse, andere bleiben gleich – nach welchen Regeln funktioniert das, was bestimmt das?

Tykwer: Die Grundidee, die auch im Roman, glaube ich, mit formuliert ist, ist, dass die Menschheit selbst zwei gegenläufige Triebe hat: Der eine ist die Sehnsucht nach Fortschritt. Und der Fortschritt ist natürlich einerseits einer, der sich irgendwie in der Wissenschaft ausdrückt und der vielleicht auch technologisch gesehen ist. Und zugleich können wir nicht anders, als diesen Fortschritt auch so zu formulieren, dass er destruktiv ist. Und das triviale Beispiel, wir können Kernschmelze erfinden und eine Atombombe bauen, und weil wir sie gebaut haben, können wir auch nicht anders, als die dann auch irgendwann abzuwerfen.

Das sind die zwei widersprüchlichen Naturen, die uns antreiben, und von diesen beiden Energien handelt der Roman und auch der Film. Nur dass es irgendeine Grundtendenz zum Prinzip Hoffnung hin gibt, die einfach damit zu tun hat, dass man ganz schön viel Problematisches über unsere Spezies sagen kann, aber dass es auch ganz schön viel wunderbare Eigenschaften gibt, die wir haben, und dass in einem gewissen Prozentsatz das Positive überwiegt und wir deswegen auch ganz langsam, schleppend, weil wir uns ja ständig zurückbomben, aber trotzdem irgendwie nicht auf den Anfang wieder zurück, sondern ein kleines bisschen weiter vorne wieder anfangen, uns im Schneckentempo vorwärts bewegen auf eine vielleicht etwas – wie soll ich sagen? – moralisch fähigere Lebensform hin.

Burg: "Cloud Atlas" ist ja irgendwie ein Spiel in gewisser Weise mit Konsequenzen von Handlungen. Welche Konsequenzen hat es, wenn ich jetzt was tue, was hat das für Konsequenzen für eine andre Generation. Und man denkt natürlich unweigerlich auch so ein bisschen an "Lola rennt", der Film, der schon ein paar Jahre zurückliegt, von 1998, aber da spielen Sie ja verschiedene Optionen einer Geschichte durch, drei mal. Also jedes kleine Ereignis auf Lolas Weg kann alles ändern. Was interessiert Sie als Filmemacher an diesen Gedankenspielen?

Tykwer: Na gut, erst mal ist es ein unheimlich filmischer Ansatz. Das hat mit Kausalität – ist für Filme unheimlich relevant, also Schnitt ist sozusagen Kausalitätsforschung, wenn man so will. Und zugleich ist sozusagen der Trieb, diese Art von Kausalitäten auf den Kopf zu stellen oder infrage zu stellen oder umzudrehen, wenn man so will, ein utopischer Zugang aufs Leben.

Und so, wie wir im Schnitt, im Film in der Lage sind, Zeit zu manipulieren und auf den Kopf zu stellen oder das Ende an den Anfang und den Anfang ans Ende zu stellen, in der Vergangenheit eine Geschichte, die in der Zukunft spielt, zu Ende zu erzählen und umgekehrt, so sehr entledigt uns das ein bisschen von diesem zwanghaft Linearen, das dem Leben und auch dem Erzählen oft übergestülpt wird. Ich bin ein überzeugter Linearitätsbefreier.

Burg: Der Regisseur Tom Tykwer ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über den neuen Film, den er zusammen mit den Wachowski-Geschwistern gedreht hat, "Cloud Atlas", basierend auf dem gleichnamigen Erfolgsroman von David Mitchell. Ich habe gelesen, sich diese Struktur zu überlegen, war für Sie auch viel Arbeit, also Sie sind mit Karteikarten vorgegangen, haben das alles im Raum ausgelegt und sich überlegt. Ist das dann denn genau so aufgegangen, wie Sie sich das überlegt haben, oder anders herum, zu wie vielen Teilen ist die Struktur dann auch am Schneidetisch entstanden?

Tykwer: Das würde ich so ungefähr fifty-fifty sehen, oder vielleicht ein bisschen. Also das Buch war schon sehr, sehr genau darauf ausgelegt, von welcher Szene man in welche Szene gehen sollte. Prinzipiell war es aber eben oft so, dass uns im Schnitt noch einige Überraschungen deshalb bevorstanden, weil was man nicht wirklich früher kalkulieren kann, ist Tonalität – also ich meine damit eine bestimmte Art von Stimmung, die durch eine Szene geschaffen wird. Und Stimmung wird natürlich durch eine Szene auch dann geschaffen, wenn erst die Schauspieler wirklich da sind, wenn sie sie kreieren, wenn mit ihrer physischen Präsenz auch ein bestimmter Tonfall eben sich durchsetzt in dem Film.

Und das Ziel, das wir hatten bei meinetwegen jetzt der Episode mit Jim Broadbent, der spielt diesen Verleger, diesen sehr sarkastischen Verleger Timothy Cavendish, und dass das so eine aberwitzige Komödie geworden ist, das war zwar immer so ein bisschen der Wunsch, aber in welcher Form und was für eine Tonlage dadurch entsteht, das kann man vorher kaum sich wirklich vorstellen, das kommt so stark auch auf den Schauspieler an und wie der das dann entfaltet. Und weil das eben teilweise so wirklich aberwitzig war, konnte man bestimmte Schnitte so nicht mehr machen, das ging gar nicht von einer Szene mit Cavendish zu irgendeiner sehr ernsten und dramatischen Situation meinetwegen jetzt bei der Zukunftsgeschichte mit Tom Hanks und Zachary in der wilden Welt der späten Zukunft zu schneiden. Man konnte gar nicht dahin schneiden, man musste dann gucken, wie man andere Übergänge findet.

Im Schnitt hat es dann eben sehr oft auch unheimlich geholfen, dass wir dann gesagt haben, dann schneiden wir es nicht dahin, sondern wir bleiben bei Tom Hanks. Wir schneiden von Tom Hanks in den 20er-Jahren zum Tom Hanks im Jahr 2140, das hilft, obwohl es ein Riesensprung ist, und obwohl der Mann völlig anders aussieht. Aber man weiß unterbewusst, das ist zumindest derselbe Mensch irgendwie auf der Leinwand. Das war ein ganz unerwarteter Clou, an den wir gar nicht gedacht hatten.

Burg: Sie haben ja auch beim Drehen schon die einzelnen Handlungsstränge sich aufgeteilt mit den Wachowskis. Es wurde gleichzeitig gedreht, das heißt natürlich auch unterschiedliche Crews, Kamerateams, Produktionsdesigner et cetera – wie haben Sie denn alleine sichergestellt, dass der Look der Episoden dann doch auch zusammenpasst?

Tykwer: Das ist halt eigentlich das Resultat von dieser aufwendigen Vorbereitung, und der Tatsache, dass es halt ein Film ist, der halt eigentlich wie alle Filme so sehr auf Diskurs und Kommunikation beruht, wir haben einfach irre viel vorher geredet miteinander – also wir drei, aber dann natürlich vor allen Dingen auch mit Ausstattern und Kameraleuten, und ich habe ja auch die Musik im Voraus mit Johnny und Reinhold gemacht, den beiden anderen Komponisten.

Wir sind halt einfach in so vielen Bereichen so gut vorbereitet gewesen, dass es eigentlich eher so ist, dass für einen Dreh man primär die Bühne bereitstellt für die Schauspieler. Und die kommen dann rein und bringen halt ganz viele unerwartete und auch vielleicht irrationale und verrückte Momente mit, aber alle anderen wissen eigentlich schon, wie es sein soll und wie es aussehen soll, sodass halt möglichst viel Raum auch und auch Freiheit bleibt für die Schauspieler.

Burg: Das war ja eine sehr aufwendige, teure Produktion – 100 Millionen Dollar –, das Geld muss jetzt nun auch erst mal wieder eingespielt werden. In den USA lief das erste Wochenende nicht so gut an, wie es hätte anlaufen können. Wie aufmerksam verfolgen Sie das? Wie auch ein bisschen nervös sind Sie, was den Erfolg des Filmes angeht?

Tykwer: Ich bin da ganz entspannt, weil ich weiß, das ist so ein Film, der wird auf der ganzen Welt laufen, und es wird auch in jedem Land dann ganz anders sein, weil man weiß, da gibt es einfach mehr Offenheit gegenüber bestimmten Themen, oder weniger. Das ist dann auch immer, wie so eine Kampagne irgendwie funktioniert, aber wir wissen zum Beispiel, dass in Asien, da gibt es eine riesige Erwartung dem Film gegenüber, weil Asien auch generell sich dem Thematischen überhaupt nicht verschließt.

Ich habe das Gefühl, in Deutschland ist auch schon wirklich ganz schön viel Druck drauf, also im positiven Sinne. Es gibt einfach eine unheimliche Neugier auf den Film, ich spüre das ganz stark, dass der Film wahnsinnig präsent ist, und Russland macht den größten Start, glaube ich, in der Geschichte. Insofern, das wird überall anders sein, und ich glaube ja vor allen Dingen daran, dass diese Art von Film ein langes Leben haben, und dass die nicht so schnell verglühen wie diese ganzen Blockbuster, die halt irgendwie zwei, drei Wochen da sind, und dann hat sie schon fast jeder wieder vergessen.

Burg: Tom Tykwer über seinen neuen Film "Cloud Atlas". Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Tykwer!

Tykwer: Ich danke auch!

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