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Frankreich vor der Wahl
Alles ist möglich - und nichts mehr sicher

Bei den Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl in Frankreich schieden die Favoriten der großen Parteien aus und es fanden sich Überraschungssieger. Kurz vor dem ersten Wahlgang liegen die vier führenden Kandidaten laut Umfrage nur wenige Prozentpunkte auseinander. Eine Präsidentschaftswahl wie diese hat Frankreich seit seiner Verfassung von 1958 noch nicht erlebt.

Von Jürgen König | 21.04.2017
    Man sieht Wahlkampfplakate der elf französischen Präsidentschaftskantidaten im elsässischen Mulhouse.
    Wahlkampfplakate von franzöischen Präsidentschaftskantidaten sind plakatiert im elsässischen Mul. (imago/Winfried Rothermel)
    "On va gagner!" - "Wir werden gewinnen!" Solche Schlachtrufe hört man auf den Wahlkampfveranstaltungen aller Kandidaten. So war es immer und so ist es auch in diesem Jahr. Und doch: Eine Präsidentschaftswahl wie diese hat Frankreichs Fünfte Republik noch nie erlebt. Nicht nur wegen der enormen gesellschaftlichen Spannungen, nicht nur wegen wiederholter Terrorattacken wie der gestrigen von den Champs-Elysées – bei dieser Wahl war wirklich alles anders. Der amtierende Präsident trat gar nicht erst wieder an, und: Nichts scheint mehr sicher zu sein.
    François Fillon war mit einem harten Reformprogramm angetreten
    Die großen Parteien sind wie in Auflösung begriffen; bei ihren Vorwahlen schieden die monatelangen Favoriten Nicolas Sarkozy und Alain Juppé aus, stattdessen gab es strahlende Überraschungssieger. Zunächst François Fillon von den konservativen "Republikanern": Er war mit einem harten Reformprogramm angetreten. 500.000 Stellen im Öffentlichen Dienst will Fillon streichen - im Beamtenstaat Frankreich ist das eine unglaubliche Forderung.
    "Dieser Sieg steht mir zu, weil er auf Überzeugungen beruht. Seit drei Jahren werbe ich für mein Projekt und für meine Werte, und ich habe immer deutlicher diese Welle der Zustimmung gespürt, die alle Vorhersagen über den Haufen geworfen hat. Mein Vorhaben wurde verstanden: Frankreich will die Wahrheit wissen und Taten sehen."
    François Fillon
    François Fillon (dpa / picture-alliance / Thomas Padilla / MAXPPP)
    Sofort galt François Fillon als neuer Favorit. Inzwischen läuft ein offizielles Untersuchungsverfahren gegen ihn wegen des Verdachts der Scheinbeschäftigung seiner Ehefrau Penelope - auch gegen sie wird ermittelt. Skandale gab es immer im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen, doch gerichtliche Ermittlungen gegen einen Kandidaten noch nie. Entsprechend schwindet Fillons Rückhalt in der Partei: Wahlkampfauftritte mit Nicolas Sarkozy und Alain Juppé wird es nicht geben - nicht einmal zu gemeinsamer Plakatwerbung fand man sich bereit. François Fillon führt einen einsamen Kampf: Er bitte nicht darum, geliebt zu werden, sondern um Unterstützung, sagte er kürzlich vor rund 20.000 Menschen in Marseille. Es klang wie ein Appell an Mitglieder und Anhänger der eigenen Partei.
    "Es geht nicht darum, einen Freund auszusuchen, sondern darum, einen Präsidenten zu wählen. Und abgesehen von ihm, geht es um das Schicksal, das wir für Frankreich im Sinn haben."
    Benoît Hamon vom linken Flügel der Sozialistischen Partei
    Benoît Hamon vom linken Flügel der Sozialistischen Partei hatte bei den Vorwahlen im Januar gegen den Favoriten Manuel Valls gewonnen und bedankte sich überglücklich bei Wählern und Parteifreunden.
    "Euer Einsatz, euer Zuspruch ist das Zeichen einer lebendigen, einer mitreißenden Linken. Er gibt mir eine enorme Kraft, euch zu repräsentieren und die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen."
    Der französische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon
    Der französische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon nach einem Treffen mit SPD-Chef Martin Schulz (picture alliance / dpa / Sophia Kembowski)
    Auch von dieser Euphorie ist nichts geblieben. Mit seinem zentralen Projekt eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle hat der Parteilinke Benoît Hamon den eher sozialdemokratisch geprägten Mehrheitsflügel seiner Partei verprellt. Unversöhnlich stehen sich beide Seiten inzwischen gegenüber. Prominente Parteimitglieder wandten sich wortreich von ihrem eigenen Kandidaten ab und, schlimmer noch, ausdrücklich einem anderen zu. So sagte im Sender BFM der frühere Premierminister Manuel Valls:
    "Wir dürfen für die Republik kein Risiko eingehen. Und deshalb werde ich für Emmanuel Macron stimmen, angesichts der Krise der Linken und angesichts der Marginalisierung unseres Kandidaten. Dass auch die Regierungslinke marginalisiert wird, die reformerische, fortschrittliche Linke, das kann ich nicht akzeptieren. Ich will, dass die fortschrittliche Linke stark bleibt, weil es ein Risiko gibt, und das ist es doch, was mich jetzt zum Handeln treibt, nämlich das Risiko, dass der Front National die Wahl gewinnt."
    Parteiensystem hat sich während der letzten Jahrzehnte immer wieder verändert
    Anders als in Deutschland hat sich das Parteiensystem in Frankreich während der letzten Jahrzehnte immer wieder verändert, haben sich Parteien umbenannt, gingen neue Bündnisse ein. Die grundsätzlichen Lager indes haben sich dabei nie verändert: Die Linke, das Zentrum, die Rechte bildeten Grundkoordinaten der französischen Gesellschaft, extreme Parteien kamen auf beiden Seiten des politischen Spektrums hinzu. Doch diese Ordnung scheint sich aufzulösen. "Links", "rechts" – diese Klassifizierungen werden für viele Franzosen, namentlich für die Jüngeren, allmählich bedeutungslos, andere Identifikationsmuster treten an ihre Stelle: "für Europa", "gegen Europa", "für das ‚System‘", gegen das ‚System‘". Und die Wahlkämpfer greifen diese Muster auf und intensivieren sie dadurch. Die erste, die sich als "candidate anti-système" bezeichnete, als "Kandidatin gegen das System", war Marine Le Pen vom Front National.
    Marine Le Pen, Vorsitzende des rechtsextremen Front National, steht bei einem Kongress der Partei im südfranzösischen Frejus mit ausgebreiteten Armen auf der Bühne.
    Die Vorsitzende des rechtsextremen Front National Marine Le Pen wird bei einem Kongress der Partei im südfranzösischen Frejus von ihren Anhängern bejubelt. (AFP / Franck Pennant)
    "Was ist 'das System'? Das System ist eine Form von Oligarchie, die sich nicht für das Volk interessiert, sondern sich über das Volk lustig macht und die gegen das Volk und gegen dessen Ansichten regiert. Das ist das System."
    Die Politikverdrossenheit ist groß in Frankreich. Und das, obwohl etwa zwei Drittel der Franzosen in festen, praktisch unkündbaren Arbeitsverhältnissen leben. Es geht ihnen vergleichsweise gut, und sie tun alles dafür, damit sich daran nichts ändert. Dadurch aber wurden - in Zeiten der Wirtschaftskrise – Festanstellungen immer seltener, was wiederum für viele junge Leute, die vor allem die Festanstellung anstreben, zum existenziellen Problem wurde. Viele von ihnen sehen keine Aussichten mehr, einen Lebensstandard zu erreichen, der auch nur dem der eigenen Eltern entspricht. Fast jeder Vierte unter 25 ist arbeitslos; die Zahl der Hochschulabsolventen, die ein Jahr nach ihrem Studium noch keine Arbeit haben, liegt ebenfalls bei rund 25 Prozent. Und wer Arbeit findet, bekommt meist nur befristete Verträge, was zu enormer Verunsicherung führt, zu Frustration und Wut, zu Demonstrationen mit enormen Gewaltexzessen.
    Das Vertrauen in die Politik ist gering, das Interesse an ihr – auch. Die Studentin Marua, 28 Jahre alt:
    "Was den politischen Wechsel, das Interesse an Politik überhaupt angeht, so herrscht unter jungen Franzosen ein großer Fatalismus. Viele wollen nicht zur Wahl gehen, interessieren sich auch nicht für die Programme der Kandidaten. Dabei sollte man doch zumindest erklären können, warum man nicht wählen geht und sollte überhaupt die Herausforderungen von morgen kennen und wichtige Fragen auch vertiefen."
    Vor allem junge Franzosen verweigern sich
    Umfragen zufolge könnte nahezu ein Drittel der Bevölkerung die Wahl boykottieren – auch das gab es noch nie. Wiederum sind es vor allem junge Franzosen, die sich verweigern, weil sie sich politisch nicht repräsentiert fühlen. Tatsächlich haben die großen Parteien die Interessen der Jüngeren nur selten wahrgenommen. Wie auch die Gewerkschaften sind die Parteien überaltert, Plätze für Nachrücker in den Parlamenten waren stets rar. Der Bruch der Jungen mit den Parteien der politischen Mitte vollzog sich kontinuierlich, die extremen Parteien wurden umso anziehender. Um dazu eine politische Alternative anzubieten, hat sich vor gut einem Jahr Emmanuel Macron "en marche", "auf den Weg" gemacht.
    "Ich komme aus der Linken, ich bin ein Linker. Aber ich habe Lust mit den Frauen und Männern der Rechten zu arbeiten. Wir können in einer gemeinsamen Anstrengung die Gutwilligen der Linken und der Rechten zusammenbringen. All jene, die sich eine Weiterentwicklung der Arbeit vorstellen können, Arbeiter, Unternehmer, die Investoren, all jene, die sich eine Aussöhnung von Freiheit und Gerechtigkeit vorstellen können. All jene, die an Europa glauben. Ist die Linke bei diesen drei wichtigen Themen mit sich im Reinen? Nein! Ist die Rechte dabei mit sich im Reinen? Nein!"
    Der Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron hält auf einer Wahlkampfveranstaltung in Reims am 17.3.2017 eine Rede.
    Der Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron hält auf einer Wahlkampfveranstaltung in Reims am 17.3.2017 eine Rede. (AFP / François Nascimbeni)
    Von Anfang an schlugen Emmanuel Macron von allen Seiten enorme Sympathien entgegen.
    "Er hat die Unterschiede von links und rechts zur Seite geschoben. Das finde ich sehr gut."
    "Ich bin eine Konservative, gehöre den "Republikanern" an, aber wie er es sagt: Das stört ja nicht. Ich bin absolut bereit ihm zu helfen. Eine sehr schöne Überraschung!"
    Mit seiner Bewegung "En marche!" will Macron sehr viel: Den alten Gegensatz von "links" und "rechts" aufbrechen und die "Leere des politischen Systems" durch eine "demokratische Revolution" überwinden. Jedes zweite Ministeramt will Macron mit Bewerbern aus dem Volk besetzen. Mit seinen 39 Jahren wäre er der jüngste Präsident, den Frankreich je hatte. Wie ein Heiliger wird er mancherorts verehrt. In einem verunsicherten Frankreich, das wie seit Jahrzehnten nicht mehr nur noch mit sich selbst beschäftigt ist, hat Macron die um sich greifende "Angst" zu einem zentralen Begriff seines Wahlkampfs gemacht, manchmal tritt er auf wie ein Hypnotiseur.
    "Das ist es, was ich Euch sagen möchte: Wir – wir haben keine Angst! Wir – wir spielen nicht mit der Angst! Wir – wir wollen erfolgreich sein, unser Land lieben – alle zusammen!"
    Lebenswirklichkeiten von Stadt und Land driften immer mehr auseinander
    Macron gibt sich volksnah, und weil er mit seinem Charme gut ankommt, weisen die politischen Gegner umso intensiver darauf hin, dass er - der frühere Banker, Präsidentenberater und Wirtschaftsminister - jahrelang ein herausragendes Mitglied der Pariser Elite war. Und das ist in den Augen vieler ein Problem: Die früher engen Beziehungen zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten Frankreich sind porös geworden. Auch der Stolz der Landbevölkerung auf ihre Weltmetropole Paris – er schwindet dahin. Denn die Lebenswirklichkeiten von Stadt und Land driften immer mehr auseinander. Während die "Bobos", die "bohémiens bourgeois", die bürgerlichen Bohemiens von Paris, Lyon oder Bordeaux - während sie sich mit gut bezahlten Jobs Wohnungen für Tausende Euro monatlich leisten können, veröden schon die kleinen und mittleren Städte, von ländlichen Gegenden ganz zu schweigen. So hat der Gegensatz von Stadt und Land grundsätzliche, auch kämpferische Züge bekommen – und Emmanuel Macron ist für viele der Inbegriff jener "Bohémiens bourgeois".
    Als das ziemlich genaue Gegenteil eines "Bobo" gilt der Radikallinke Jean-Luc Mélenchon, 65 Jahre alt, im Wahlkampf bekannt geworden auch wegen der Zimmermannsjacke, die er stets trägt. 70.000 Menschen erlebten seinen Auftritt am Alten Hafen von Marseille.
    "Es ist nicht das erste Mal, dass wir sehr viele sind, aber dieser neue Enthusiasmus heizt unsere Leidenschaft erst richtig an."
    Der französische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Melenchon
    Der französische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Melenchon (dpa / picture alliance / Kristina Afanasyeva)
    Jean-Luc Mélenchon sieht sich - mit seiner Bewegung "La France insoumise" - "Das widerspenstige, das unbeugsame Frankreich", in einer Traditionslinie, die mit der Französischen Revolution begann. Die "präsidiale Monarchie" der Fünften Französischen Republik will Jean-Luc Mélenchon abschaffen. In einer Sechsten Republik müsse das Volk durch Abstimmungen verschiedenster Art seine Macht zurückbekommen; sogar den Präsidenten soll das Volk abwählen können, wenn es mehrheitlich mit ihm unzufrieden ist. Damit positioniert sich auch Mélenchon außerhalb des "Systems". Immer mehr Franzosen schätzen ihn dafür. In den Umfragen lag er zeitweilig an dritter Stelle – noch vor dem einstigen Favoriten Francois Fillon.
    "Jeder von uns spricht irgendwie täglich darüber, es sind immer mehr, die sagen, Mélenchon – ja, warum nicht?"
    "Es gibt so viele junge Leute, die überhaupt keine Lust hatten, wählen zu gehen, aber jetzt wählen sie Mélenchon. Sie sind empfänglich – glaube ich jedenfalls."
    Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Jean-Luc Mélenchon und Benoît Hamon
    Inhaltlich gibt es viele Entsprechungen zwischen den Kandidaten – und wesentliche Unterschiede. Jean-Luc Mélenchons sozialpolitische Ziele ähneln denen von Benoît Hamon: Den Sozialstaat ausbauen und öffentliche Investitionsprogramme auflegen. Mélenchon will dafür 100 Milliarden Euro ausgeben. Bei Benoît Hamons bedingungslosem Grundeinkommen war zunächst von bis zu 400 Milliarden Euro die Rede – jährlich. In der Europapolitik gehen beide verschiedene Wege. Jean-Luc Mélenchon sieht die Sparpolitik der EU wie auch die EU-Mitgliedschaft Frankreichs sehr kritisch.
    "Man muss die Verträge verlassen. Das ist die Voraussetzung für den Wechsel. Und das muss natürlich nach den Bedingungen unseres Landes geschehen, durch richtige Verhandlungen und nicht so wie bisher, wo wir am Katzentisch saßen. Und wenn die Proteste des französischen Volkes, dessen Industrie man ruiniert hat, wenn die nicht gehört werden, dann heißt es: Entweder die Dinge werden geändert oder wir gehen!"
    Der Sozialist Benoît Hamon ist anderer Meinung.
    "Was passiert danach, nach dem EU-Austritt? In Bezug auf die Franzosen und die dann steigende Inflation, die Beschäftigung, die Staatsschulden? Wird Frankreich ohne Europa wirklich damit fertig werden? Ich ziehe es vor, die Austeritätspolitik zwar zu hinterfragen, weil sie Europa wirklich zerteilt – aber die Kooperation mit Europa müssen wir beibehalten und ausbauen, denn ein Morgen ohne Europa, das bedeutet Wettbewerb um jeden Preis!"
    Den Sozialstaat durch umfangreiche Staatsprogramme ausbauen zu können, ist auch für Marine Le Pen von zentraler Bedeutung. Während Mélenchon ein planwirtschaftlich organisiertes Frankreich anstrebt, will Marine Le Pen das Land mit einem "intelligenten Protektionismus" nach außen hin abschotten: Importe sollen höher versteuert werden, für ausländische Arbeitskräfte sollen Betriebe höhere Abgaben zahlen. Ein "unabhängiges Frankreich" steht im Mittelpunkt ihrer Kampagne.
    "Gleich nach meiner Wahl werde ich die nationalen Grenzen wieder herstellen. Ich bin die einzige Kandidatin, der einzige Kandidat, der das vorschlägt."
    Unterschiede von François Fillon und Emmanuel Macron
    Die Programme von François Fillon und Emmanuel Macron unterscheiden sich zentral von denen der Linken wie der extremen Rechten. Beide geben sich als überzeugte Europäer, wenn auch der Enthusiasmus für Europa bei Macron deutlich größer ausfällt. Beide stehen für eine Liberalisierung der französischen Wirtschaft, für weniger Fürsorglichkeit des Staates. Hier ist Macron wiederum zurückhaltender als Fillon. Der gibt sich konservativ, betont klassische Werte wie Ehe und Familie. Mit seinen Reformen hat auch er eine "Revolution" im Sinn, aber eine ohne Abschottung, Protektionismus und Ausländerfeindlichkeit - und er weiß dafür ein ländliches, katholisches Frankreich hinter sich.
    "An den Sieg zu glauben, ist vielleicht schwer, aber vor den Vorwahlen hat man auch gesagt: Er schafft es nie!"
    "Er ist der Einzige, der ein Programm hat, das wirklich zeigt, wie es nun weiter geht, und es ist das einzige Programm, das wirklich ausgeglichen ist. Er wird damit fertig werden, er wird es schaffen. Voilà!"
    Für François Fillon müssen "alle etwas mehr" arbeiten. Die 35-Stunden-Woche will er abschaffen, stattdessen die Arbeitszeit im Öffentlichen Dienst auf 39 Stunden anheben. Die volle Rente soll es, statt wie jetzt mit 62, erst mit 65 Jahren geben. Das Arbeitsrecht und den Kündigungsschutz will Fillon lockern, Steuererleichterungen von Unternehmen und Privathaushalten will er durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 20 auf 22 Prozent finanzieren - und durch Stellenabbau im Öffentlichen Dienst.
    Harte Einschnitte und gefordertes Umdenken im Land
    In seinem Wahlkampf betont Fillon hartnäckig die Notwendigkeit solch harter Einschnitte – und hat doch Mühe, gehört zu werden. Die Öffentlichkeit interessiert sich viel mehr für die Vorwürfe gegen ihn und seine Frau, sich persönlich aus der Staatskasse bereichert zu haben. Sie seien beide völlig unschuldig, hat Fillon immer wieder betont, und seinerseits Vorwürfe erhoben: "Linke Medien" und "linke Richter" hätten sich gegen ihn zusammengetan, damit beauftragt von "höchster Stelle". François Fillon im Gespräch mit Patrick Cohen im Sender France Inter:
    "Seit zweieinhalb Monaten hindert man mich an meiner Kampagne. Und ich habe genügend Hinweise auf die, die dafür an höchster Stelle verantwortlich sind, um sie zu gegebener Zeit zu verfolgen. Soll niemand glauben, ich lasse diese Anschuldigungen alle einfach so auf mir sitzen."
    "Sie meinen tatsächlich, es gibt ein 'schwarzes Kabinett' im Élysée?"
    "Ich habe die Daten, die Tage, die Personen, die die Dokumente weitergegeben haben."
    "Sie wollen damit sagen, dass François Hollande diese Affäre losgetreten hat?"
    "Natürlich."
    "Glauben Sie das wirklich?"
    "Zweifellos."
    Auch Emmanuel Macron beschwört hartnäckig ein Umdenken im Land.
    "Ich akzeptiere nicht, wenn einer nicht sehen will, dass es eine Moderne gibt und Reformen vorschlägt, die für eine Gesellschaft von gestern sind. Aber ich akzeptiere auch nicht, wenn einer in der Zukunft nichts als Risiken und Bedrohungen sieht und sagt, man müsste etwa Roboterarbeit besteuern, weil es so etwas bei uns kaum gibt. Und sagt, alles was auf uns zukommt, ist schlecht. Ja, es wird schlechte Neuigkeiten geben. Es wird nötig sein, dass Arbeitsplätze verschwinden, so wie es keine Lampenanzünder, Kutscher oder Wasserträger mehr gibt."
    Macrons Programm sieht ebenfalls marktliberale Reformen vor: steuerliche Entlastung der Unternehmen, mehr Wettbewerb. Auch er will die 35-Stunden-Woche abschaffen. Um die Neuverschuldung des Staates unter die Drei-Prozent-Marke zu bringen, will Macron 60 Milliarden Euro an Staatsausgaben sparen, will dazu unter anderem 120.000 Stellen im Öffentlichen Dienst streichen. In den Ausbau erneuerbarer Energien will Macron investieren, ein von Grund auf erneuertes Bildungssystem ist ihm wichtig. 10.000 neue Polizistenstellen soll es geben, 15.000 neue Gefängnisplätze. Bei Sicherheitsfragen zeigt sich Macron genauso kompromisslos wie alle anderen Kandidaten auch.
    3 junge Leute spazieren unterhalb einer riesigen Plakatwand mit den Kandidaten der französischen Präsidentschaftswahlen am 10.04.2017, in Straßburg.
    Wahlwerbung in Straßburg: 66 Prozent der Wählerinnen und Wähler wissen heute noch nicht, für wen sie stimmen werden. (AFP/Frederick Florin)
    "On va gagner!"- "Wir werden gewinnen!" Alle Kandidaten und ihre Anhänger sind zuversichtlich. Emmanuel Macron und Marine Le Pen führen in den Umfragen zur Wahlentscheidung im ersten Durchgang mit jeweils 22 Prozent. François Fillon liegt bei 21, Jean-Luc Mélenchon bei 18, Benoît Hamon bei 8 Prozent. Sechs weitere Kandidaten verschiedener Splitterparteien gelten als chancenlos. Vermutet wird, dass Marine Le Pen, Emmanuel Macron und François Fillon den Einzug in die Stichwahl am 7. Mai unter sich ausmachen werden. Und vermutet wird auch, dass bei diesem zweiten Wahlgang Marine Le Pen, wenn sie in die Stichwahl kommt, auf jeden Fall geschlagen wird. Doch sollte tatsächlich jeder dritte Franzose nicht wählen gehen, sind auch ganz andere Konstellationen möglich.