Humor in der Politik

Ironie macht Politiker menschlich

Bekannt für seinen Humor: Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag
Der frühere Linke-Fraktionschef Gregor Gysi ist besonders ironiebegabt, meint der Humorforscher Thomas Holtbernd. © dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Thomas Holtbernd im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.09.2016
Politik gilt als ernstes Geschäft, doch Ironie müsse in ihr einen Platz haben, findet der Humorforscher Thomas Holtbernd. Als positive Beispiele nannte er Gregor Gysi und Wolfgang Bosbach. Diese Politiker seien in der Lage, sich selbst zu karikieren.
Liane von Billerbeck: Ich bin Moderatorin, steht außer Frage, ModeratorIN, weiblich also, klar. Aber bei mir im Studio stehen, hängen oder liegen allerlei Gegenstände, die männliche Bezeichnungen tragen, der Papierkorb zum Beispiel, der Bleistift, der Bildschirm. Wenn es aber nach der Linksfraktion im Rathaus von Flensburg geht, dann gehören derlei männliche Bezeichnungen für Arbeitsgeräte so schnell es geht abgeschafft.
Der dortige Gleichstellungsausschuss im Flensburger Rathaus, der berät über einen entsprechenden Antrag. Nun ist ja so was eine ernste Sache. Also Anlass für uns, über Humor in der Politik zu reden mit dem Humorforscher Thomas Holtbernd. Schönen guten Morgen!
Thomas Holtbernd: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Für ihren Antrag hat die Linksfraktion in Flensburg reichlich Prügel bezogen, vom Gender-Irrsinn ist ja da die Rede.
Holtbernd: Ja.
von Billerbeck: Obwohl der Antrag ja nicht so ganz ernst gemeint war, sondern seinerseits einen anderen Antrag persiflieren sollte, nämlich von der Fraktion Wir in Flensburg, die statt Ratsfrau das Wort Ratsdame eingesetzt wissen wollte.
Holtbernd: Ja.

Die Absurdität im System vor Augen führen

von Billerbeck: Jetzt die Frage an Sie, hat Ironie in der Politik schlicht keinen Platz?
Holtbernd: Ich glaube, Ironie muss in der Politik einen Platz haben. Mir kommt diese Aktion der Linken vor wie das, was früher die Hofnarren gemacht haben, nämlich die Absurdität, die in diesem System herrscht, einfach mal ein bisschen aufs Korn zu nehmen. Und ich finde, das ist denen hervorragend gelungen, ich habe mich also köstlich amüsiert über diesen Ergänzungsantrag!
von Billerbeck: In welchem Verhältnis stehen denn überhaupt Politik, Humor, Ironie und Satire? Auf der einen Seite will Politik ja immer und überall ernst genommen werden und auf der anderen Seite gehen dann aber Bundestagsabgeordnete wie Wolfgang Bosbach oder Gregor Gysi mal eben in die "heute-show".
Holtbernd: Ja, ich glaube, dass gerade diese beiden Figuren, die rhetorisch sehr gut sind, sich das erlauben können. Das kann sich nicht jeder erlauben, weil, Ironie hat ja immer eine sehr feinsinnige und intelligente Variante und das kann nicht jeder. Und ich glaube, dass gerade deshalb Ironie eine hohe Bedeutung hat, weil, Bosbach als auch Gysi, glaube ich, nehmen die Politik auch in dem Sinne gar nicht so ernst. Die können sich selber karikieren. Die können selber sehen, dass das, was sie machen, natürlich immer menschlich ist. Und insofern ist die Ironie immer auch ein Ausdruck dafür: Wir haben verstanden, dass das, was wir tun, auch menschlich ist. Und das finde ich das Schöne an Ironie.
von Billerbeck: Hat man bessere Chancen in der Politik, wenn man die Fähigkeit zur Ironie und vor allem zur Selbstironie besitzt? Also, ich denke jetzt leider an zwei Frauen, …
Holtbernd: Ja.

Die Verbissenheit von Petry und Wagenknecht

von Billerbeck: … wo ich die sehr vermisse. Einerseits Frauke Petry, andererseits Sahra Wagenknecht.
Holtbernd: Ja, das finde ich auch, die beiden Figuren fallen mir auch ein, ja. Also, ich glaube, dass beide Personen etwas von Verbissenheit zeigen und … was nichts über deren Qualifikation aussagt, aber was über die Haltung etwas aussagt. Und ich denke mal … Nicht jeder kann ironisch sein, es ist nun mal so. Und ich denke mal, wenn ein Politiker wie Gysi beispielsweise oder Bosbach, die ironisch sind, die erscheinen uns ja viel menschlicher, da können wir uns mit … Da können wir sagen, da können wir ein Bier mit trinken.
Das ist mit Sahra Wagenknecht wahrscheinlich schwierig. Da wird es dann immer ein ernstes Gespräch. Und das fährt die Politik so ein bisschen auf das normale Niveau zurück. Das ist dann nicht so was Abgehobenes. Und das scheint mir gerade in Flensburg dieser Fall gewesen zu sein, wo deutlich ist: Wir machen mal nicht dieses Abgehobene, sondern wir sind einfach mal ganz menschlich und machen einfach mal Blödsinn!
von Billerbeck: Und finden, dass es besser Papierkörbin heißen soll statt Papierkorb.
Holtbernd: Genau. Das ist ja … Ich meine, ich wusste am Anfang nicht, was ist jetzt das Absurde, der Antrag der Gruppe Wir in Flensburg oder der Ergänzungsantrag? Und das haben die Linken eben geschafft, die Absurdität des ganzen Systems etwas mal ein bisschen geradezustellen.
von Billerbeck: Früher war es ja so, da gab es eine Schnittstelle zwischen Humor und Politik, das war das Kabarett.
Holtbernd: Ja.

Das politische Kabarett ist verflacht

von Billerbeck: Wie hat sich denn das verändert? Jetzt reden wir ja nicht mehr von Kabarettisten, sondern fast nur noch von Comedians.
Holtbernd: Comedians. Ich glaube, dass sich das verändert hat, ja. Es gibt sicherlich einige gute politische Kabarettisten, die sind aber nicht so en vogue. Wir haben das sehr verflacht. Und ich glaube, das ist auch etwas, was mir so aufgefallen ist, dass die geistige Elite in Deutschland sich nicht mehr dadurch abgrenzt, dass sie Abitur hat oder dass sie studiert hat oder einen Doktortitel oder habilitiert ist, sondern dass sie diese Ironie pflegt. Weil, damit kann man sich gegen andere abgrenzen, gegen die Dummheit abgrenzen.
Das ist auch für mich so die Frage gewesen bei diesem Antrag der Linken: Hätte das Sinn gemacht, mit dieser Fraktion zu diskutieren, oder ist das der Weg, wie man Auseinandersetzungen führt, damit man sich auch selber schützt? Ich will da jetzt keine Wertung einführen, aber manchmal denke ich, wenn ich mit so dummen Menschen zu tun habe, da lohnt sich doch ein Diskurs gar nicht! Da schütze ich mich selber mit dieser Ironie und freue mich, wenn andere in meine Fallen tappen.
von Billerbeck: Der Humorforscher Thomas Holtbernd über Humor in der Politik nach dem offenbar nicht ganz ernst gemeinten Antrag der Flensburger Linksfraktion, die männlichen Bezeichnungen für Arbeitsgeräte abzuschaffen. Ich danke Ihnen!
Holtbernd: Bitte schön, Frau von Billerbeck, einen schönen Tag!
von Billerbeck: Den wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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