Humboldtforum im Stadtschloss

Es barockt in Berlin

Fortschreitende Arbeiten auf der Baustelle "Berliner Schloß - Humboldtforum", Schloßplatz 5 in Berlin-Mitte.
Langsam entsteht die Barockfassade des Berliner Schlosses (Humboldtforum). © dpa / Manfred Krause
Von Christiane Habermalz und Claudia van Laak · 15.07.2016
In drei Jahren soll das Humboldtforum im neuen Berliner Stadtschloss eröffnet werden: Die Barockfassade des Gebäudes wächst, drinnen gleicht das Gebäude aber noch einem gigantischen Betonlabyrinth. Auch beim Ausstellungskonzept sind noch viele Fragen offen.
12. Juni 2016: Tag der offenen Baustelle im Humboldtforum. Die Berliner strömen in ihr künftiges Schloss, zu Luftballons, Würstchen und Waffeln. Im Eingangsbereich wird die Zuchtrose "Berliner Stadtschloss" zum Kauf angeboten.
Doch von innen ist das Gebäude vor allem eins: ein gigantisches Betonlabyrinth über vier Etagen. Der Geruch nach feuchtem Zement liegt in der Luft. Ein erstes Schlossgefühl kommt erst auf, wenn man durch die Fenster in die Innenhöfe schaut. Dort an den Fassaden kann man sehen, wie der Barock langsam die Betonwände hochwächst. Peu à peu werden Fensterstürze, Säulchen und Figurenschmuck an die Wände geklebt - von unten nach oben.
"Es ist einfach sehr schön, wie weit das Ganze schon gediehen ist, und wie gut es vorangeht. Und ich bin begeistert, dass dieses Schloss nun wirklich ersteht!"
Gabriele Schulz gehört dem Hamburger Freundeskreis im Förderverein Berliner Schloss an. Noch immer fehlt Spendengeld für die historische Rekonstruktion, doch der Förderverein ist erfinderisch. Gipskopien von Putten und Adlern liegen ausgebreitet wie in einer Warenhalle. Wer mehr als 30 Euro für die historische Fassade spendet, der bekommt eine "wunderbare Schloss-Tüte" mit "einmaligen Schlossandenken" geschenkt.

Platz für "Wünsch-dir-was"

Darin: Das Fragment eines Original Schloss-Ziegels, ein Stück Fußboden aus dem Schlosskeller, ein Span Holz aus dem Schloss-Fundament und ein Stück der Plane von der Schloss-Attrappe aus dem Jahr 1993. Der Hamburger Freundeskreis sammelt seit 2009 für die Wiederherstellung der überlebensgroßen Statue der Flora im ehemaligen Schlüterhof: die antike Göttin der Blüte. Man wollte eben etwas Eigenes haben, erklärt Roderich Müller-Grundmann aus Hamburg-Blankenese.
"Von daher haben wir uns in Hamburg einfach entschlossen, im kleinen Kreis, wir nehmen uns einfach irgendetwas, was sich mit Händen greifen lässt, was anschaulich genug ist, das nehmen wir als unser Spendenziel. Und dabei ist herausgekommen, aus dem umfangreichen Figurenprogramm des Berliner Schlosses: die Flora. Weil uns die Flora einfach mit ihrem historischen Vorbild der Flora Farnese derart überzeugt hat, dass wir uns gesagt haben, eine solche Schönheit, die möchten wir auch in Berlin auf dem Portal fünf stehen haben."
Die Flora, die im Schlüterhof stand, bis das Schloss 1950 gesprengt wurde, war zwar nicht die Flora Farnese, sondern eine eher plumpe wilhelminische Figur aus dem 19. Jahrhundert. Doch die wollte man nicht zurück haben, wählte stattdessen eine Flora aus dem Nationalmuseum in Neapel als Vorbild.
Die Hamburger Barockfreunde unternahmen sogar eine eigene Bildungsreise nach Italien, um "ihre" Flora Farnese dort zu besichtigen. Die lange Baugeschichte des Schlosses bietet durchaus Raum für ein bisschen "Wünsch-dir-was". 250.000 Euro kostet die Replik, die der Bildhauer Kai Rötger aus Sandstein hauen wird. Aber Schönheit hat eben ihren Preis, findet Müller-Grundmann, und das mit der Originaltreue sieht er eher pragmatisch.
"Kein Künstler baut die Flora Farnese nach oder schafft sie nach, sondern er baut einfach die allegorische Figur der Flora, und es ist am Ende immer sein Werk. Und so geht es auch unserer neuen Berliner Flora. Es ist nicht die Farnese, es ist die allegorische Figur der Flora, und es ist die Rötgersche Flora!"
Bei anderen Baustellenbesuchern hält sich die Schlossbegeisterung eher in Grenzen.
"Oh puh, ist nicht mein Fall. Also, so wie es jetzt gemacht ist, ist schon ok. Aber ich halte da nicht viel davon. Ist viel zu teuer. Also ich hätte den Palast stehenlassen und schön begrünt, das wär meine Idee gewesen."

Was im Schloss zu sehen sein wird, ist noch teilweise unklar

Das Schloss wächst, aber die Meinungen zum Humboldtforum gehen noch immer auseinander. Was genau hier hinter der Barockfassade entsteht, ist vielen der zahlreichen Gäste nicht wirklich klar. Und manche Programmpunkte, die den Besuchern einen Eindruck vom künftigen Inhalt vermitteln sollen, sorgen eher zusätzlich für Verwirrung.
In einem "Speakers-Corner" in der ersten Etage halten Fachleute der Dahlemer Museen vor spärlichen Zuhörern kaum beachtete Dauervorträge über einzelne ethnologische Objekte. Eine Soundinstallation mit einem Gewirr aus Stimmen will auf den künftigen Berliner Beitrag zum Humboldtforum einstimmen. Titel: "Hashtag Welt in Berlin".
"Verstehst du was?", fragt eine Mutter ihre Tochter, und meint vielleicht die Akustik. – "Nö." Die meisten Besucher zieht es ohnehin aufs Dach. Die Aussicht ist grandios, die Sonne spiegelt sich auf den Kuppeldächern, unten der Dom, der Lustgarten und die Museumsinsel. Wo man jetzt noch viele Betonstufen laufen muss, wird man später auf Rolltreppen zu einem Dachcafé hochfahren können.
Das Humboldtforum, so steht es in den Prospekten, werde ein "einzigartiges Zentrum für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Bildung mit internationaler Ausstrahlung - ein Ort, an dem sich Museen, Bibliothek, Universität und verschiedene Veranstaltungsbereiche zu einem Treffpunkt von Menschen aus aller Welt verbinden". Ob das funktioniert?
"Ich halte es für möglich. Ob das nun absolut sinnvoll ist, aber es wird so viel Mist gebaut, überall und wieder abgerissen, da kann man ja auch so ein Schloss mal hinbauen."
"Ich hoffe, dass es auch genutzt wird als Begegnungsstätte und dass Austausch stattfindet und nicht nur für einen Menschen wie früher, sondern dass es eben fürs Volk zugänglich ist. Und nicht zu teuer."
"Dass die Stadt wieder eine Mitte kriegt, darauf freue ich mich, sagen wir mal so."

590 Millionen Euro Baukosten

Das Humboldtforum ist das ambitionierteste Kulturprojekt der Bundesrepublik - und momentan auch das teuerste. Für 590 Millionen Euro wird das ehemalige Hohenzollernschloss in der historischen Mitte Berlins wiedererbaut.
Hinein soll nicht weniger als ein Weltkulturmuseum. Kein anderer Ort dafür sei besser geeignet als Berlin, mit seinen herausragenden Sammlungen aus aller Welt und der Tradition der Gebrüder Humboldt, erklärte Gründungsintendant Neil MacGregor bei seinem ersten Auftritt in Berlin.
"Es gibt ja in der ganzen Welt vielleicht nur fünf Sammlungen, wo man die ganze Geschichte der Menschheit erforschen und erzählen kann: Petersburg, New York, Paris, London und Berlin. Aber: Nur in Berlin, und nur im Schloss Humboldtforum gibt es jetzt die Gelegenheit, diese Geschichte neu zu erzählen - und neu zu erforschen. Hier sollen die Objekte, die aus aller Welt kommen einer Besuchergruppe, die aus aller Welt stammen, ausgestellt werden. Und das mit Hilfe internationaler Kollegen."
Ab 2019 sollen hier die außereuropäischen Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst gezeigt werden, die bislang in Dahlem eher einen Dornröschenschlaf führten. Im Humboldtforum in der Mitte der Stadt, so Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, könnten sie "in einen Dialog treten mit der europäischen Kultur auf der Museumsinsel".

Zurück zur kolonialen Sammelwut?

Mit dem Umzug werde sich ein Kreis schließen, zu den Kunst- und Wunderkammern, die ab dem 16. Jahrhundert im Schloss eröffnet wurden, und in denen dem staunenden Berliner Publikum Kuriositäten aus der Neuen Welt gezeigt wurden - quasi der Urform der modernen Museen. Zurück zu den Wurzeln des deutschen Kolonialismus, sagen Kritiker. Denn von hier ging die koloniale Sammelwut aus, ohne die es die einzigartigen Sammlungen aus Afrika, Asien und der Südsee in Berlin nicht geben würde.
"So, wie einst die preußischen Herrscher ihre geraubten, ihre angeeigneten Objekte als Trophäen gezeigt haben, so tut das Deutschland jetzt wieder. Man wird wieder in den Kaiserpalast gehen. Der Kaiser ist verantwortlich für den Genozid in Namibia und die Kolonialverbrechen, als Hauptverantwortlicher, und man wird drinnen die Objekte sehen, die er bestellt hat. Und das soll jetzt ein Geschenk an die Welt sein?",…
… kritisiert der Historiker Christian Kopp vom Verein "Berlin Postkolonial".
Hermann Parzinger sieht das anders. Das Humboldtforum biete gerade die Möglichkeit, zusammen mit den Objekten auch die Kolonialgeschichte kritisch zu erzählen und eurozentristische Denkweisen zu überwinden. Das Stichwort heißt Multiperspektivität - dafür arbeite man eng mit den Herkunftskulturen zusammen. Und auch Leihgaben für Sonderausstellungen in den jeweiligen Ländern seien vorstellbar.
"Wir haben zum Beispiel eine Kooperation mit der indigenen Universität von Tauca in Venezuela am Orinoco, die jetzt schon ein paar Mal in Berlin waren, die uns eben Körbe und alles, Flechtereien, auf den ersten Blick gar nicht so spektakulär… aber die für die - aufgrund der Ornamentik - eine ganz besondere Bedeutung haben. Die sind beseelt, das ist fast so ein Art Lebewesen. Und diese Perspektive deutlich zu machen, auch für einen europäischen Museumsbesucher, sagt ja unglaublich viel über die Struktur und das Denken einer völlig anderen Welt."
Die beiden Dahlemer Museen werden mit ihren Sammlungen in die beiden Obergeschosse des Humboldtforums einziehen. Doch was in den beiden unteren Etagen passieren wird, bleibt noch immer zu großen Teilen nebulös. Im Erdgeschoss werden wechselnden Veranstaltungen, Cafés, Restaurants, Buchläden sein, eine Art Event- und Flaniermeile mit Kulturanspruch. In der ersten Etage sind zwei Fachbibliotheken untergebracht, will die Humboldtuniversität auf 1000 Quadratmetern zeigen, woran Wissenschaftler aus aller Welt so forschen.

Land Berlin hat Planung mehrfach umgeworfen

Der Rest der Fläche soll vom Land Berlin bespielt werden. Das hatte seine Planungen mehrfach umgeworfen. Zuerst sollte die Landesbibliothek einziehen, sowie eine Ausstellung zur "Welt der Sprachen" - dann präsentierte das Land vergangenes Jahr überraschend einen Alternativplan. Präsentiert werden solle nun Berliner Stadtgeschichte mit dem Namen "Welt.Stadt.Berlin". Das klinge nach billiger Provinzreklame im Humboldtforum, unkten die Zeitungen.
Am kommenden Montag will die Stiftung Stadtmuseum Berlin unter ihrem neuen Leiter Paul Spies nun seine Ideen vorstellen. Es werde kein Heimatmuseum werden, versichert Moritz van Dülmen, Geschäftsführer der "Kulturprojekte GmbH", die vom Land Berlin mit der Realisierung der Ausstellung beauftragt ist.
"Nein, ich glaub nicht zu einem Stadtmuseum oder Heimatmuseum, sondern zu einer spannenden Neuerzählung der Berliner Geschichte im Kontext der Weltgeschichte, also sozusagen, was kann man erzählen über Berlin, was hat das Humboldtforum mit Berlin zu tun, was haben die anderen Ausstellungen auch mit Berlin zu tun, das ist eine Kontextualisierung, die dort in der ersten Etage präsentiert wird."
Derjenige, der das ganze Ganze verbinden soll, Neil MacGregor, schweigt sich aus. Erst im Oktober will er sein Konzept vorstellen. Zusammen mit Hermann Parzinger und dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp war der Schotte vergangenen April von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zum Chef der Gründungsintendanz des Humboldtforums ernannt worden.
Ein spektakulärer Coup. Der ehemalige Direktor des British Museum in London wurde wie ein Retter gefeiert. Doch er brauchte Monate, bis er sein Amt in Berlin tatsächlich antrat. In der Zwischenzeit war der Innenausbau weit fortgeschritten, die Dahlemer Museen hatten ihre Pläne längst gemacht. Umbauten sind nicht mehr möglich - viele Spielräume für eine eigene Handschrift bleiben nicht mehr. Parzinger sieht dennoch die Gründungsintendanz auf einem guten Weg.

Erst die Form - und dann der Inhalt

"Es geht weniger darum, in all den Bereichen nun auch bis in die einzelnen Vitrinen hinein Dinge noch einmal zu verändern oder so, aber einfach das Potenzial dessen zusammenzubinden. Da gehört natürlich schon auch dazu, dass man Dinge noch mal infrage stellen kann, dass man Dinge noch mal weiter optimiert, dass man bestimmte rote Fäden zum Beispiel jetzt in die Präsentation der Dahlemer Museen zu legen versucht, die Frage des Gegenwartsbezugs."
Doch ist es das, wofür die Kulturstaatsministerin MacGregor, einen der klügsten und profiliertesten Museumsmanager der Welt, geholt hat? Unklar ist auch noch, wo die Gebrüder Humboldt, Namensgeber und Quell der Inspiration, im Humboldtforum ihren Ort finden werden: ein Bezugspunkt, der MacGregor sehr wichtig ist.
Der Erwartungsdruck an den Schotten ist groß. Es ist wie der Wettlauf zwischen Hase und Igel. Beim Humboldtforum lag das Problem von Anfang an darin, dass erst das Schloss da war, und dann überlegt wurde, was denn eigentlich rein sollte. Erst die Form - und dann der Inhalt.
Vor 14 Jahren entschied sich der Bundestag für den Wiederaufbau des 1950 in der DDR gesprengten Hohenzollernschlosses. Mit der Entscheidung für das Schloss war auch das Abrissurteil gefällt über den asbestbelasteten Palast der Republik, den Honecker in den 7Oer-Jahren an seiner Stelle errichten ließ. Ein Geschichtsrevanchismus folge auf den anderen, so der Vorwurf vor allem vieler Ostberliner, die mit dem Palast auch positive Erinnerungen verbunden hatten. Hier hatte nicht nur die Volkskammer der DDR getagt, es fanden auch Parteitage, Fernsehshows und Jugendweihen statt.
"Also, ich kenne den Palast von Anfang an, also um 1976. Es war für mich nicht nur eine freudige Stätte, weil wir hier mit meinen Kindern Pittiplatsch-Eisbecher gegessen haben. Es war auch ein leuchtendes, strahlendes und duftendes Haus. Im Winter war das hier eine grüne Oase, schon deshalb ging man gerne her."
Auch gegen die Sprengung des Stadtschlosses durch Walter Ulbricht, Generalsekretär des ZK der SED, hatte es seinerzeit massive Bürgerproteste gegeben. Der mittlerweile verstorbene Schriftsteller und Verleger Wolf-Jobst Siedler erinnert sich:
"Das Schloss war ein so markanter Bau, dass alle Parteien, alle Zeitungen dagegen protestierten, und zwar zonenübergreifend. Es gab Stimmen aus Leipzig, aus Dresden für den Erhalt des Stadtschlosses. Und Stimmen aus Westdeutschland. Es war also eine allgemeine Übereinstimmung: Diese Architektur müsste gerettet werden."
Jahrhundertelang war das barocke Stadtschloss das größte Bauwerk im Berliner Stadtzentrum. Es bildete den Endpunkt der Prachtstraße "Unter den Linden" - gegenüber: der Dom und die Museumsinsel, nebenan: das Kronprinzenpalais und die Staatsoper. Entworfen wurde es von Andreas Schlüter und seinem Nachfolger im Amt des Schlossbaumeisters Johann Eosander. Bauherr ist Kurfürst Friedrich III., der spätere König Friedrich I..

"Diese alten Kästen brauchen wir nicht mehr"

Im Februar 1945 brannte das Schloss aus. Das Feuer vernichtete fast alle Prunkräume. Das Gebäude war allerdings nicht komplett zerstört, in einem der Flügel fanden sogar noch Kunstausstellungen statt, anfangs gab es Wiederaufbaupläne. Doch der Zeitgeist war ein anderer. Wolf Jobst Siedler:
"Ich erinnere mich, dass Scharoun, der legendäre Erbauer der Philharmonie und Präsident der Akademie der Künste, der sagte eines Tages, als ich protestierte gegen die Abrisswut im Osten wie im Westen. Er sagte: Wir bauen hier eine neue Gesellschaft auf, warum sollen wir in die alten Gemäuer gehen. Es war ein weitgehender Konsens nach dem Motto: Diese alten Kästen brauchen wir nicht mehr."
Zehn Jahre nach der Wende hatte sich der Zeitgeist erneut gewendet. Eine von Bund und Ländern eingesetzte Expertenkommission entschied sich 2002 mit knapper Mehrheit für die historische Rekonstruktion des Stadtschlosses. Für 590 Millionen Euro wird der "alte Kasten" wieder erbaut - drei Seiten barock, eine Seite modern, so sieht es der Siegerentwurf des italienischen Architekten Franco Stella vor.
Aber wie auch immer man zum historisierendem Wiederaufbau stehen mag - städtebaulich, das wird bereits jetzt klar, wird sich durch das Humboldtforum im Zentrum der Hauptstadt viel verändern. Der Weg durch die beiden Innenhöfe wird Tag und Nacht geöffnet sein - neue Verbindungen und neue öffentliche Räume entstehen. Moritz van Dülmen ist sich sicher:
"Es wird die Leute in den Bann nehmen. Es wird den Leuten gefallen, es wird plötzlich eben die verschiedensten Ecken vom Alexanderplatz bis ‚Unter den Linden‘ verbinden. Ich glaube, der jetzige Haupteingang wird nur einer der vielen Eingänge sein, weil es ist die Öffnung zur Museumsinsel, des Lustgartens auf der einen Seite… Auf der anderen Seite zur Breiten Straße hin entstehen grade Hotels, entstehen ganz neue Stadträume, plus den großen Gastronomieflächen hin zur Spree. Ich glaube, wenn man die Augen ein bisschen zumacht und ein bisschen sich das vorstellt, kann man schon erkennen, dass das eine riesige, gewaltige Veränderung unserer Innenstadt darstellen wird."

Bleiben einige Etagen verwaist?

Doch wird es gelingen, die Menschen von der Event-und Gastronomie-Ebene hoch in die oberen Etagen zu den Ausstellungen zu schleusen? Über dieses Problem werde bereits intensiv nachgedacht, räumt Parzinger ein. Ob die Besucherinnen und Besucher mit den Rolltreppen bis ganz nach oben fahren werden, das werde auch stark von der Berliner Ausstellung in der Beletage abhängen.
"Und da werden sicher viele noch hochkommen, da gibt es auch schon das erste Café mit Blick auf den verkleinerten Eosanderhof, und da beginnt es eben jetzt mit einer Ausstellung. Insofern ist die Veränderung des Berliner Konzepts, wie auch immer die Ausstellung dann von Paul Spies gestaltet werden wird - nicht zu vergessen, vorher sollte da eine Bibliothek sein! Und das ist ja fast wie eine Trennschicht gegenüber den Gestaltungen der Museen darüber - also das ist schon mal eine wichtige Veränderung. Aber es wird die Herausforderung sein, den Leuten klar zu machen, wenn die auch im ersten Obergeschoss sind, hier ist es noch nicht zu Ende, oben kommen noch mal hochspannende, interessante Dinge."
Doch da ist auch noch die ethnologische Fachbibliothek und die Kunstbibliothek sowie das Tonarchiv der Humboldt-Universität - auch sie kommen eher sperrig und unsexy daher, sind in der ersten Etage als Planungsrelikte zurückgeblieben, nachdem die Berliner Landesbibliothek aus dem Konzept gestrichen wurde. Glücklich ist die Gründungsintendanz damit nicht. Doch es ist zu spät, um die Pläne noch zu korrigieren. Denn die Zeit wird knapp.

Die Zeit für den Umzug wird knapp

Der Umzug der ethnologischen Sammlungen mit ihren Großobjekten wie den historischen Südseebooten und zahlreichen fest installierten Einbauten braucht einen langen Vorlauf, seit Anfang des Jahres sind die beiden Museen geschlossen. Insgesamt werden 13.000 Exponate von dort ins Humboldtforum ziehen. Dafür haben die Museumsmitarbeiter noch dreieinhalb Jahre Zeit. Für einen Laien wahnsinnig viel, für den Direktor des Asiatischen Museums Klaas Ruitenbeek zu wenig.
"Teileröffnung, vielleicht Totaleröffnung Dezember 2019. Wie viele Jahre sind das noch? 19, 18, 17, dreieinhalb Jahre von jetzt. Das ist kurz, das kann ich Ihnen sagen."
Ethnologisches Museum, Abteilung Südsee.
Peter Jakob hockt in einer Glasvitrine, den Kopf eingezogen. Der Museumsmitarbeiter versucht vergeblich, Schrauben aus einem Metallständer zu entfernen, an dem eine furchteinflößende dunkle Maske hängt. Gemeinsam mit seiner Kollegin Leonie Gärtner - einer Restauratorin - hat Depotverwalter Jakob die Aufgabe, die Vitrinen zu leeren und die Südseemasken für den Umzug ins Humboldtforum vorzubereiten.
"Die Maske selber ist aus Holz, sie hat dann noch ein Kopfteil aus menschlichem Haar. Und das ist sehr empfindlich, weil die Fasern natürlich gealtert sind und bei jeder Berührung abbrechen können, wenn man das nicht richtig tut."
Peter Jakob greift zu Handfeger und Schaufel, fegt den weißen Sand auf dem Boden der Glasvitrine zusammen, der bislang den Museumsbesuchern ein Südsee-Gefühl vermitteln sollte. Dann wuchtet er gemeinsam mit seiner Kollegin die eineinhalb Meter hohe Maske auf ein Rollbrett und schiebt es zum Fotografieren in eine Ecke des Ausstellungsraums. Depotverwalter Jakob greift zu einem Ordner, vermerkt die Maske auf einer Liste. "Objektlisten Abrissvitrinen" steht auf dem Deckblatt.
"Und dann muss man ja alles dokumentieren, wo es ist. Weil, bei uns gilt die Regel nicht: Dreimal umgezogen ist wie einmal abgebrannt. Darf natürlich nicht sein."
Als nächstes begutachtet Restauratorin Leonie Gärtner den Zustand der Maske, dann wird das Ausstellungsstück entweder tiefgefroren oder in Stickstoff getaucht - das tötet die möglicherweise vorhandenen Schädlinge – anschließend restauriert und verpackt.
Ein Kraftakt für alle Beteiligten - und ein spektakuläres Event - wird der Umzug der bis zu 15 Meter langen Südseeboote. 200 Jahre alt ist das älteste der sechs, das Samoaboot. Kuratorin Dorothea Deterts legt schon jetzt die Stirn in Falten.
"Sie werden ja nicht in ganz kleine Teile auseinandergenommen. Das Segel wird abgenommen, je nachdem, wenn es möglich ist, der Ausleger. Und dann müssen sie alle durch das kleine Tor da. Es ist groß, aber im Verhältnis zu den Booten wieder klein, und dann kommen sie auf einen Tieflader und werden ins Humboldtforum transportiert und müssen dort wieder in einer großen Aktion auch wieder durch ein eigenes Fenster, was extra offengelassen wird, hochgekrant werden und dann alle im Bootskubus Platz finden."
Vor diesem Boots-Umzugstag graut es Kuratorin Deterts bereits jetzt. Das Wetter muss stimmen - kein Regen, kein Sturm - und die Umzugsstrecke muss vermutlich für den Tieflader abgesperrt werden. Alles in allem eine logistische Meisterleistung.
"Ich glaube, wenn das dann passiert ist, dann sind wir alle ganz froh."
Auch nebenan, im Museum für Asiatische Kunst, hat der geplante Umzug die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voll im Griff. An diesem Tag steht eine heikle Mission an für Restaurator Roland Enge und seine Kollegen - sie sägen ein Bild aus einer Gips-Wand heraus.
"Geh mal ein Stück drum herum, zum anderen Bild zu."
Das Gemälde in blassen Gelb- und Rottönen zeigt zwei galante chinesische Damen - feine helle Gesichter, die schwarzen Haare nach oben gesteckt, die Hände in den weiten Ärmeln der bodenlangen Kleider verborgen.
Mehr als 1000 Jahre alt ist dieses Wandbild, das ursprünglich aus einer Höhle an der Seidenstraße stammt und im Zuge der sogenannten Turfan-Expedition Anfang des 20. Jahrhunderts nach Berlin gelangt ist. Im Humboldtforum werden nicht nur einzelne Wandgemälde zu sehen sein, sondern - wie bereits jetzt in Dahlem - die Rekonstruktion einer kompletten Höhle. Chef-Umzugsplaner Toralf Gabsch winkt hinein in den abgedunkelten, rundlichen Raum.
"Sie ist die weltweit einzige buddhistische Kulthöhle, die Sie in einem Museum sehen können. Es gibt also kein vergleichbares Objekt auf dieser Welt. Und wir müssen das abbauen und dann in das Schloss bringen. Ich habe die Baupläne hier, wir gucken uns das nochmal an. Und am Schluss müssen wir die große Kuppel aus der Fassade herausbringen. Das heißt, wir müssen die Fassade öffnen, um rauszukommen. Weil: Es gibt hier keine Tür, durch die das Objekt passt."

Schwieriger Umgang mit kolonialer Vergangenheit

Bei all dem Umzugsstress - es geht nicht einfach darum, zwei Museen aus einem abgelegenen Berliner Stadtteil in die Mitte der Hauptstadt zu versetzen. Auch hier bemüht man sich um einen neuen Umgang mit der Vergangenheit. Die einzigartigen buddhistischen Malereien von Turfan sind auf dem Höhepunkt des Wettlaufs europäischer Kolonialmächte um die Schätze des Orients mit brachialer Gewalt aus den Höhlen gesägt worden - von deutschen Wissenschaftlern im Auftrag des Kaisers. In China klaffen bis heute riesige Löcher in den Höhlen-Anlagen. Auf Rückforderungen hätten die chinesischen Denkmalbehörden verzichtet, erzählt Direktor Ruitenbeek.
"Aber sie haben ganz klar gesagt, was wir erwarten ist, dass diese Sammlungen in Berlin publiziert werden, dass chinesische Gelehrte freien Zugang haben, und wir haben auch ganz konkrete Zusammenarbeitsprojekte vereinbart, Verträge unterschrieben, zum Beispiel ist eine ausgezeichnete Wissenschaftlerin aus Tisil, wo eben viele dieser buddhistischen Höhlen sind, ist anderthalb Jahre bei uns in Dahlem im Museum gewesen, hat alles, was wir haben, fotografiert, recherchiert, und das wird jetzt in China veröffentlicht."
So reibungslos wird das nicht immer laufen. Aber vielleicht liegt am Ende die Bedeutung des Humboldtforums darin, dass es so umstritten ist - und damit eine längst fällige Debatte ausgelöst hat, über den Umgang mit der deutschen Kolonialvergangenheit in den Museen, aber auch in der Gesellschaft insgesamt. Das Humboldtforum, sagt Parzinger, will aber nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern vor allem auch in die Gegenwart, die Menschen mit überraschenden Dingen konfrontieren, die sie in ihrem Alltag etwas angehen und ihre Perspektive ändern.
"Entscheidend ist für uns, dass wir wirklich nicht nur den Bildungsbürger aus Westberlin, aus Charlottenburg, sondern auch den Automechaniker mit türkischen Wurzeln aus Neukölln, dass der auch weiß, da, in diesem Schloss, in diesem Humboldtforum, da gibt es ziemlich spannende Themen. Nehmen wir das Beispiel IS, Kulturzerstörung im Nahen Osten. Dass man erklärt bekommt, das ist nicht etwas, was typisch ist für den Islam, sondern auch wir haben mit Bilderstürmen eine ganz lange Geschichte. Orientierungswissen, was auf aktuelle Ereignisse auch Bezug nimmt, was die Menschen einfach bewegt."
Die selbstgesetzten Ansprüche sind hoch. "Ein Berliner Schloss für die Welt" steht auf den Broschüren. Manchmal denkt man, bei so viel deutscher Weltbeglückung, hätte es eine Nummer kleiner vielleicht auch getan. Gut, dass mit Neil MacGregor und Paul Spies wenigstens ein Schotte und ein Niederländer mit von der Partie sind.
Mehr zum Thema