Humanität ist unteilbar

Von Arnd Brummer, Chefredakteur Chrismon · 05.10.2013
Viele tausend Menschen sind inzwischen im Mittelmeer ertrunken, als sie sich - aus Afrika kommend - nach Europa flüchten wollten. Mittel- und Nordeuropa können sich nicht mehr bräsig zurückzulehnen und etwa Italien mit diesem Problem allein lassen, kommentiert Arnd Brummer.
Die neue Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa mit wahrscheinlich mehr als 300 Toten ist "eine Schande", eine Schande für Europa. So hat es Papst Franziskus klar und deutlich genannt. Und auch Bundespräsident Joachim Gauck sprach unmissverständlich aus, dass die jüngste Todesnachricht aus dem Mittelmeer kein Randthema für Europa sein kann. "Wegzuschauen und die Flüchtlinge hineinsegeln zu lassen in einen vorhersehbaren Tod, missachtet unsere europäischen Werte", sagte er. Das sollten sich all die Selber-schuld-Achselzucker auf diesem Kontinent hinter die Ohren schreiben.

Die Menschen, die aus Afrika nach Europa kommen wollen, handeln nicht aus Lust und Übermut. Es sind Ärmste und Arme aus dem Sudan oder aus Eritrea, politisch Verfolgte aus den Ländern, in denen sich der sogenannte Arabische Frühling in Chaos und Anarchie verwandelt hat. Sich in Mittel- und Nordeuropa bräsig zurückzulehnen und Italien mit dem Hinweis auf die sogenannte Drittstaaten-Regelung allein zu lassen, ist nicht nur bürokratisch seltsam. Es ist unmenschlich. Die Drittstaatenregelung, die besagt, dass Asylbewerber dort einen Asylantrag zu stellen haben, wo sie europäischen Boden erstmals betreten, ist der Rest nationalstaatlicher Enge. Weg damit!

Europa sollte sich daran erinnern, welche Flüchtlingsgeschichte es selbst hat. Wie viele Millionen Europäer – Iren, Italiener, Deutsche, Polen – flohen in den vergangenen drei Jahrhunderten vor Hunger, religiöser und weltlicher Tyrannis beispielsweise nach Nordamerika? Das sollten sich jene fragen, die kategorisch die Mauern gegenüber den Flüchtlingen erhalten wollen. Diese Öko-Nationalisten argumentieren mit der Devise: Unser Geld darf nur für uns ausgegeben werden. Dann reden sie gerne von europäischer Kultur und Wertegemeinschaft. Das ist nicht komisch, das ist zynisch und hat mit Abendland, zumal mit christlichem Abendland, nichts, aber rein gar nichts zu tun. Und gerade die Deutschen dürfen es nicht sein, die in besonders radikaler Weise die Abschottung Europas gegenüber Hungernden und Verzweifelten betreiben.

Humanität ist unteilbar. So lautet der Grundsatz. Dass die Lösung der Frage politisch nicht einfach ist, darf man unter "Binsenweisheiten" abbuchen. Neben einer gesamteuropäisch solidarischen Flüchtlingspolitik, an der sich wohlhabende Länder wie Deutschland tunlichst zu beteiligen haben, ist es selbstverständlich ebenso erforderlich, auf die afrikanischen Staaten massiv einzuwirken, damit sich dort Freiheit und humane Lebensbedingungen zu stabilen Faktoren entwickeln können.

Die Probleme, das belegt der inzwischen mehrtausendfache Tod von Menschen vor den Küsten der Mittelmeerinseln, lassen sich nicht durch Wegschauen und Paragrafenliebe lösen. Menschenliebe ist gefordert, Großzügigkeit, Offenheit. Und das nicht nur in Sonntagsreden, sondern in einer pragmatischen, zielorientierten Art, Politik zu machen.

Ja, die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat Recht, wenn sie sagt, dass es um mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten geht und um eine Bekämpfung des Bandenwesens im Menschenschmuggel. Und wenn im Dezember "Eurosur" in Betrieb geht, ein Europäisches Grenzüberwachungssystem, das kleine, mit Migranten besetzte Boote besser entdecken und aus Seenot retten hilft, dann ist das nicht mehr als ein erster Schritt. Was im Luftraum längst möglich ist, sollte an den Küsten des Kontinents technologisch alltäglich werden.

Aber noch einmal: Es geht nicht um Technologie und Regeln. Es geht zu allererst um praktizierte Menschlichkeit. Runter vom hohen Ross der Selbstzufriedenheit, wie es Papst, Bundespräsident und EU-Kommissarin gottseidank deutlich gefordert haben.