Humanist im Medienbetrieb

Von Jens Brüning · 15.03.2010
Harry Pross habe einen unschätzbaren Beitrag zur Humanisierung der Gesellschaft geleistet, lobte ihn die Kurt-Tucholsky-Gesellschaft im Jahr 2001. Jetzt ist der Publizist im Alter von 86 Jahren gestorben. Pross setzte sich mit Totalitarismus, symbolischer Gewalt und mit Formen sozialen Widerstands auseinander.
Harry Pross war ein überaus produktiver Publizist und ein geduldiger Lehrer. Er wurde 1968 auf den Lehrstuhl für Publizistikwissenschaft an der Freien Universität Berlin berufen, zu einer Zeit, als die politisierten Studenten mit einem wie ihm nicht viel anzufangen wussten. Aber er blieb bis 1983.

"Dann hab ich mich mit diesen Neodogmatikern herumgeschlagen, so gut ich konnte, hab mich dann auch in meinem als Chefredakteur mitgebrachten Maßanzügchen mit Weste hingestellt und ihnen eine Vorlesung über Protest gehalten, was niemand getan hat, die Studentenbewegung wurde von den Professoren, wenn man einen ganz, ganz kleinen Haufen wegnimmt, im Grunde im Stich gelassen. Die meisten gingen auf Distanz, besonders, als sie merkten, dass sich das radikalisierte."

Harry Pross sei mutig, besonnen und sprachmächtig für Menschenrechte in einer Zivilgesellschaft eingetreten. Das hob 2001 die Jury des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik hervor. Mit diesem Engagement hatte der schwer verwundet aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrte Fabrikantensohn unmittelbar nach der Heimkehr begonnen.

"1945 hab ich auch angefangen, mich politisch zu betätigen, oder politisch mich mausig zu machen, mit einem Vortrag 'Wir fordern die Beteiligung der Jugend am demokratischen Aufbau'. Dahinter steckte die tiefe Unzufriedenheit mit der Generation unserer Väter. Weil 1945 schon zu sehen war, dass es dieselben Leute sein würden, die tätig werden würden oder tätig waren, wie die, die uns die ganze Geschichte eingebrockt hatten in den dreißiger Jahren."

"Wer ganz zufrieden ist, schreibt keine Bücher. Er forscht nicht, er sucht nicht, den Menschen und den Sachen auf den Grund zu kommen."

Das schrieb Harry Pross in seinem Buch "Söhne der Kassandra – Versuch über deutsche Intellektuelle", das 1971 erschien. Harry Pross legte 1959 eine noch heute erhellende kommentierte Dokumentensammlung mit dem Titel "Die Zerstörung der deutschen Politik 1870 – 1933" vor. Dem folgte 1962 der Essayband "Vor und nach Hitler", in dem Aufsätze und Reden versammelt sind, die Gruppenbildungen und soziale Prozesse beschreiben. Das waren keine parteigeschichtlichen Untersuchungen, sondern der Versuch, die Realität mit ihrem "ungeheuren Durcheinander" und ihren zum Teil unauflöslichen Widersprüchen darzustellen.

Auch im Alter blieb er unermüdlich tätig. Zehn Jahre lang organisierte er in dem kleinen Allgäuer Ort Weiler die "Internationalen Kornhaus Seminare", Symposien zu Themen wie "Heimat und Heimatlosigkeit", "Mundart und Mündigkeit", "Jubilieren und Memorieren". Zu diesen Veranstaltungen kamen Wissenschaftler aus aller Welt angereist, und der kleine verträumte Ort im Dreieck zwischen München, Stuttgart und Zürich wurde für einige Tage eine intellektuelle Metropole.

Und immer wieder beschäftigte er sich mit den Kommunikationsapparaten, für die er sein ganzes Berufsleben und weit darüber hinaus tätig war. Seinen Unwillen erregte die zunehmende Verflachung der elektronischen Medien.

"Unterhaltung ist eine Einrichtung, die emotionale Defizite des Menschen beseitigen soll für eine Weile. Die Medien als Unterhaltungsmedien, einschließlich des Unterhaltungswertes des Berufssportes, entziehen sich somit der kritischen Position. Dadurch wirken sie stabilisierend. Denn es geht dann nicht mehr um Fragen, die die Gesellschaft wirklich bewegen können, sondern es geht bloß um die bewegte Gesellschaft. Der österreichische Dichter Hermann Broch hat 1950 in einem Fragment von der Spannungsindustrie geschrieben, die Spannungsindustrie stelle sich überall dort ein, wo Intensivwirtschaftsformen sich breitmachen, weil die Leute durch die innere Anspannung im Produktionsprozess auch in ihrer Freizeit nicht mehr wirklich entspannen können, sondern weiter gespannt werden müssen. Also Krimis, Fortsetzungsromane, Film, Fernsehen."

Harry Pross war in einem internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern und Publizisten ein gefragter Lehrer, Redner und Gesprächspartner. Seine Kenntnisse gab er großzügig weiter. Was ihn ärgerte, waren aufgeblasene Nichtigkeiten, die über die Medien verbreitet werden:

"Wir sind alle gleich drin, dass wir unsere Lebenszeit nicht beliebig verlängern können, sondern die läuft ab. Und ich finde, dass der Journalist, der nur auf seine Einschaltquoten oder auf seine Auflagen schielt, ein Unrecht tut, wenn er sich nicht fragt, ist das, was ich zu sagen habe, die Lebenszeit der vielen Menschen wert, die das zur Kenntnis nehmen."