Hugo Wolfs Italienisches Liederbuch

Lebensextrakte im Sehnsuchtsland

Die Sopranistin Carolina Ullrich und der Bariton Christoph Pohl
Die Sopranistin Carolina Ullrich und der Bariton Christoph Pohl © Reiner Pfisterer/IHWA
21.05.2015
Sie und Er vor dem Klavier - 46 Lieder und 80 Minuten Musik: Aus diesen scheinbar einfachen Zutaten formte der vor allem als Liederkomponist bekannt gewordene Komponist Hugo Wolf sein zugegebenermaßen bezauberndes „Italienisches Liederbuch".
Hugo Wolf war ein glühender Wagnerianer, aber das hört man seiner Musik nicht direkt an. Die klangliche und weltanschauliche Monumentalität seines Idols brachte Wolf – nach einigen heftig überladenen Jugendwerken – geradewegs zum Gegenteil: Er wurde als genialer Liedkomponist ein Meister der kleinen Form. „Auch kleine Dinge können uns entzücken": Dieser erste Vers des „Italienischen Liederbuchs" könnte als Motto über dem Lebenswerk des Komponisten stehen.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, schrieb der 1860 im heutigen Slowenien geborene Wahl-Wiener Hugo Wolf Klavierlieder. Das „Italienische Liederbuch" (1890-91/96) ist wohl sein bekanntester Zyklus. Es ist eine Sammlung italienischer Liebeslieder, die der spätere Literaturnobelpreisträger Paul Heyse behutsam ins Deutsche übersetzt hatte. Wolf wählte 46 Gedichte aus und verteilte sie auf eine männliche und eine weibliche Stimme, die er im Wechsel von Liebesfreud und Liebesleid singen lässt. Auf den ersten Blick könnte man manche dieser Texte für betuliches Geplänkel halten, aber was der literarisch hochsensible Wolf daraus machte, ist einzigartig: Wie seinem Wiener Zeitgenossen, dem exzentrischen Literaten Peter Altenberg, gelangen Hugo Wolf in seinen minutenkurzen Stücken „Extracte des Lebens" von größter Prägnanz. Von hier aus ist es bis zur aphoristischen Musik Anton Weberns oder Alban Bergs (der ja Altenberg-Lieder schrieb) nur noch ein kleiner Schritt.
Das „Italienische Liederbuch" bringt ein Liebespaar auf die Bühne, das in Einzelliedern von der Unmöglichkeit der direkten Kommunikation berichtet; verräterisch sind allein die Textanfänge: „Mir ward gesagt" / „Wir haben beide lange Zeit geschwiegen" / „Man sagt mir" / „Ich ließ mir sagen..." Wolf folgt den Texten instinktiv, jedes Lied gewinnt seine Form ganz aus dem vertonten Gedicht heraus, so dass von Nummer zu Nummer eher beiläufig ein tragikomisches Dramolett in 46 Akten entsteht.
Wolfs Zyklus hat sich schon in der Frühzeit der Tonaufzeichnung als ideale Herausforderung für das Studio erwiesen. So findet man vergleichsweise viele, prominent besetzte Plattenaufnahmen, aber im Konzert ist das distinguierte Werk nicht sehr häufig zu hören. Ehrensache für die Internationale Liedakademie in Stuttgart, eine Gesamtaufführung des Zyklus ihres Namensgebers aufs Programm zu setzen.
Staatsgalerie Stuttgart, Vortragssaal
Aufzeichnung vom 10. Mai 2015
Hugo Wolf
Italienisches Liederbuch
Carolina Ullrich, Sopran
Christoph Pohl, Bariton
Marcelo Amaral, Klavier