Hüppe: Vielen geht es um "Nachwuchs nach Qualitätskriterien"

12.04.2011
Zwei Tage vor der Abstimmung im Bundestag hat der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), seine ablehnende Haltung gegenüber der Präimplantationsdiagnostik (PID) bekräftigt. "Ich glaube, Vielen, die jetzt die PID einführen wollen, geht es weniger um Menschen mit Behinderung als um das Thema: Wie schaffe ich Nachwuchs nach Qualitätskritierien?"
Gabi Wuttke: Ein Kind ohne geerbte Schäden oder ein Kind, an das seine Eltern ihre Krankheiten und Behinderungen vererbt haben? – Am Donnerstag, so ist geplant, wird der Bundestag in erster Lesung über das Für und Wider der Präimplantationsdiagnostik beraten. Hubert Hüppe lehnt die PID ab. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung ist jetzt am Telefon, bevor er heute Nachmittag bei seinem Jahresempfang nicht nur seine Chefin Ursula von der Leyen, sondern auch seine Parteichefin Angela Merkel begrüßen wird. Jetzt einen guten Morgen, Herr Hüppe!

Hubert Hüppe: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Im letzten Sommer hat der Bundesgerichtshof der PID Straffreiheit bescheinigt. Spätestens seitdem wird nicht nur in der Politik heftig darüber gestritten. Wie viel Raum nimmt das Thema bei Ihrer Arbeit inzwischen ganz praktisch ein?

Hüppe: Mehr als es wert ist, weil ich immer denke, es wird da um eine sehr umstrittene Methode gekämpft, wo selbst die Befürworter sagen, dass es nur ein paar hundert Paare betrifft, und von diesen Paaren werden nur ganz wenige überhaupt ein Kind bekommen. Die Erfolgsquote – wenn man das überhaupt als Erfolg benennen darf – der PID ist ja sehr gering. Ich würde mich freuen, wenn genau so viel Aufmerksamkeit auf die behinderten Menschen gerichtet würde, die heute Probleme haben. Also ich glaube, vielen, die jetzt die PID einführen wollen, geht es weniger um Menschen mit Behinderung als um das Thema, wie schaffe ich Nachwuchs nach Qualitätsmaßstäben. Vielleicht geht es auch ein paar darum, dass sie einfach die Forschung nach vorne bringen wollen, und zwar nicht durch die PID selbst, sondern durch das Abfallprodukt, nämlich die Embryonen, die ausgesondert werden.

Wuttke: Sie haben gerade gesagt 800 Paare möglicherweise, die von einer PID Nutzen haben könnten. Aber in Deutschland gibt es derzeit knapp sieben Millionen Menschen mit schweren Behinderungen. Was liegt Ihnen besonders auf der Seele, was hinten runterfällt?

Hüppe: Mir fällt hinten runter, wie man eigentlich denen, die jetzt zum Beispiel behinderte Kinder haben, wie denen geholfen werden kann, sich zum Beispiel durch den Paragrafendschungel zu wälzen. Oder wie wir erreichen können, dass Kinder mit Behinderungen dann auch auf die gemeinsame Schule gehen können mit den nicht behinderten Kameraden und Freunden, die man in der Nachbarschaft hat. Und ich wünschte mir, dass die, die jetzt so sehr für die PID kämpfen und sagen, sie wollten betroffenen Paaren helfen, sich vielleicht um die ein bisschen mehr kümmern könnten, die jetzt schon betroffen sind und solche Kinder haben. Ich glaube, vieles, was mit diesen Planbarkeitsfantasien verbunden ist, hängt auch damit zusammen, dass man falsche Vorstellungen von Menschen mit Behinderungen hat. Also es wird immer gesagt, es wird Leid produziert, aber manchmal sagt man das auch im Zusammenhang zum Beispiel mit Menschen mit Downsyndrom. – Die meisten Menschen, die ich kenne mit Downsyndrom, leiden nicht, zumindest nicht unter dem Downsyndrom. Sie leiden vielleicht unter den Reaktionen, die sie durch die Außenwelt haben. Also ich wünschte mir, dass die Menschen mit Behinderungen wieder mehr in den Mittelpunkt kommen. Sie sagen ja schon zu Recht, sieben Millionen, das ist eine große Anzahl, plus derjenigen, die in Partnerschaft leben, die in der Ehe mit diesen Personen leben, oder die Eltern beziehungsweise die Kinder von diesen Menschen.

Wuttke: Menschen mit Downsyndrom sind ja auch Menschen, die von sich sagen, sie haben keine Behinderung, sondern sie seien eben anders als andere Menschen. Wäre es schön, wenn wir in unserer Gesellschaft dieses Anderssein denken könnten, statt das Wort behindert? Also läge es auch daran zum Beispiel zu sagen, es gibt keinen Behindertenbeauftragten der Bundesregierung mehr, sondern einen Beauftragten für Menschen, die anders sind als die Mehrheit?

Hüppe: Ja, also wenn man die Inklusion – so heißt ja dieses nicht ganz barrierefreie neue Wort – ernst nimmt, wo jeder Mensch so angenommen wird, wie er ist, ob mit oder ohne Behinderung, dann wäre das letztendlich der Idealzustand. Aber so weit sind wir nicht. Weil im Moment werden Menschen noch behindert, die zum Beispiel Downsyndrom haben, die werden noch ferngehalten oft von den Regelschulen, sie werden noch ferngehalten oft von den Kindergärten, sie werden noch ferngehalten von dem Wohnen im Kiez, in der Nachbarschaft, in der Stadt, im Dorf. Da gibt es noch ganz viel zu tun. Wir haben ganz tolle Einrichtungen, zum Teil auch sehr teure Einrichtungen, aber das Ideale wäre ja schon, dass Menschen mit Behinderungen da leben, arbeiten, spielen, wo alle anderen Menschen auch sind, das ist das Ideal.

Wuttke: Um bei den Benachteiligungen zu bleiben: Behinderte Menschen und ihre Familien sind bei der Hartz-IV-Novelle schlechter gestellt als Menschen ohne Behinderung, die noch bei ihren Eltern wohnen. – Das ist ein doppelter Nachteil. Werden Sie heute bei Ihrem Jahresempfang die Gelegenheit haben, Ihrer direkten Chefin, nämlich Ursula von der Leyen, auch noch mal zu sagen, dass auch Sie nicht finden, dass das fair ist?

Hüppe: Also Frau von der Leyen habe ich das schon mehrfach gesagt und auch geschrieben und ich habe es ja auch überall gesagt. Ich glaube auch, dass es jetzt nicht ...

Wuttke: ... der stete Tropfen höhlt den Stein ...

Hüppe: ... ja ... Also da ich meine Rede noch gar nicht zu Ende geschrieben habe – es sind noch ein paar Stunden –, weiß ich noch nicht, ob ich es mit anbringen kann. Also jeder weiß meinen Standpunkt, ich habe es öffentlich mehrfach gesagt, und ich glaube, wenn ich nicht protestiert hätte, wäre es auch gar nicht mehr in den Prüfungsauftrag gekommen. Das klingt zwar jetzt etwas eingebildet, aber das Thema war eigentlich schon vom Tisch. Aber in der Tat: Wenn es denn so ist, dass gesagt wird, es wird danach gegangen, was er für einen Bedarf hat, dann dürfte eigentlich ein Mensch mit Behinderung nicht 20 Prozent weniger Bedarf haben als ein nicht behinderter. Das geht nicht, da muss aus meiner Sicht eine Gleichbehandlung vorgesehen werden und das habe ich an jeder Stelle deutlich gemacht. Vielleicht mache ich es auch heute, aber lassen Sie sich überraschen.

Wuttke: Sie haben gerade von Ihren Möglichkeiten gesprochen. Wo liegen denn die Grenzen des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung?

Hüppe: Na ja gut, ich kann keine Gesetze machen, ich bin kein Gesetzgeber. Aber ich habe zum Beispiel erreichen können, dass Euthanasieopfer jetzt auch entschädigt werden, dass es dazu auch ein Denkmal gibt. Wir haben erreicht, dass bei dem runden Tisch über sexuelle Gewalt eben nicht nur über Menschen gesprochen worden ist, die in Einrichtungen der Jugendhilfe waren, sondern auch in Behinderteneinrichtungen waren. Also was ich dann immer merke, ist, dass die Menschen ohne Behinderung – ich habe mal den Begriff schwerstmehrfachnormal gehört – plötzlich sich konfrontiert sehen mit so einem Menschen und dann gar nicht wissen, wie sie ihn begrüßen oder ansprechen sollen, und dann gehen sie dem Menschen aus dem Weg. Das ist so das, was ich am schlimmsten finde, weil auch die, die nicht behindert sind, verpassen unheimlich viel, wenn sie den Begegnungen aus dem Weg gehen.

Wuttke: Der Christdemokrat Hubert Hüppe im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur, der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Herr Hüppe, ich danke Ihnen sehr, wünsche Ihnen einen schönen Tag!
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