Homunkulus, Golem, Cyborg

Moderation: Klaus Pokatzky · 16.05.2013
Das literarische Motiv des Klons setzt sich aus verschiedenen Traditionslinien zusammen, erläutert Stefan Halft. Parallel zu den Fortschritten der Wissenschaft sei seine Darstellung weniger negativ und immer menschlicher geworden, so der Literaturwissenschaftler.
Klaus Pokatzky: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild. Das steht schon in der Bibel, und daran müssen wir jetzt natürlich denken, wenn wir aus den USA hören, dass dort die Wissenschaft möglicherweise einen weiteren Schritt dahingehend gemacht hat, dass eines Tages Menschen geklont werden könnten. Auf Mischung kommt es an, so heißt es in Goethes Faust zum Homunkulus, dem Menschlein, das der Mensch nach seinem Abbild schuf: "Was man an der Natur Geheimnisvolles pries, das wagen wir verständig zu probieren, und was sie sonst organisieren ließ, das lassen wir kristallisieren."

Und wir lassen uns jetzt aufklären über die Rolle des Klons in der Literatur und im Film, und dazu begrüße ich Stefan Halft, Literaturwissenschaftler an der Universität Passau. Guten Tag!

Stefan Halft: Guten Tag, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Herr Halft, welches ist denn Ihr Lieblingsklon in der Literatur oder im Film?

Halft: Mein Lieblingsklon ist, glaube ich, oder sind die Klone aus dem Film "Multiplicity". Da lässt sich Michael Keaton klonen, weil er denkt, dass er dadurch seine Beziehung wieder in den Griff bekommt und ihm die Klone ein bisschen im Haushalt helfen können. Aber das geht natürlich, wie zu erwarten, sehr schön nach hinten los und ist gut für einige Lacher im Film.

Pokatzky: Also Klonerei als Lebenshilfe im Alltag sozusagen. Gibt es denn – jetzt mal anders flapsig gesagt – Meilensteine der Klonbücher und Klonfilme?

Halft: Es gibt sicherlich eine Entwicklung innerhalb des Klondiskurses, des literarischen zum Beispiel. Im deutschen Raum gibt es einen Text aus den 1920er-Jahren von Konrad Loele. Der heißt da "Züllinger und seine Zucht", und der spielt natürlich vor dem Hintergrund unter anderem eugenischer Überlegungen in der damaligen Zeit. Und da wird ähnlich wie bei Goethe aus dem Reagenzglas zusammengebraucht, und dabei kommen dann schleimige, klumpenartige Menschlein heraus, die natürlich zu der Zeit auch als Arbeiter gleich missbraucht werden. Wir alle kennen "Brave New World" von Huxley, wo es im Grunde auch ums Klonen geht. Und der diesen Diskurs ein bisschen aktualisiert, und man merkt da auch schon, dass es sehr stark auf die Individualität abhebt. Also die Frage: Was für eine Position haben denn diese Klone in unserer Gesellschaft? Und gerade vor dem Hintergrund, Sie hatten es eben auch schon genannt, der neuesten Entwicklung in der Forschung und in der Wissenschaft gibt es einige Texte aus den 90er-Jahren, wo der Klon natürlich eine zentrale Rolle spielt.

Pokatzky: Aber alles in 20. Jahrhundert, wo die Technik ja nun wirklich schon enorm fortgeschritten war. Wann fängt das denn an, dass der Klon im Buch, in Texten auftaucht, wie früh findet sich dieses Motiv des reproduzierten, vom Menschen geschaffenen Menschen in der Literatur.

Halft: Sie sagen es ganz genau, der Klon ist im Grunde ein Motiv, das jetzt nicht nur als solches allein da steht, sondern das sich aus verschiedenen anderen Motiven zusammensetzt. Beispielsweise wird die Schöpfung in der Bibel ja auch in anderen Texten, beispielsweise bei "Frankenstein", aufgegriffen. Der wiederum zurückgeht auf den Mythos von Prometheus, der ebenfalls aus Lehm sich seine Menschen schafft und ihnen dann das Feuer bringt. Wir haben also insgesamt mehrere Traditionslinien, die, können wir sagen, im Klon zusammenkommen. Das ist der Homunkulus, den Sie eben schon erwähnt hatten, also so eine biochemische oder vielleicht auch alchemistische Tradition, das sind dann diese magisch-mythischen Gestalten wie beispielsweise der Golem auch, den wir aus Literatur und Film kennen, und das sind im Zuge des 19. und 20. Jahrhunderts natürlich auch Vorstellungen vom Roboter, vom Cyborg, die alle irgendwo in diesem Klon teilweise wiederzufinden sind.

Pokatzky: Das heißt, der Klon als Arbeitssklave, der findet sich dann im Grunde überspitzt gesagt, ja schon von Prometheus dann bis Orwell wieder. Gibt es denn auch so eine Art Vermenschlichung dabei?

Halft: Die gibt es in der Tat. Wenn man sich die Texte heute anschaut, so finden diese Klonprozesse meistens in einem Raum statt, der so ein bisschen als außerhalb des Rechts stehend klassifiziert wird. Und dort haben diese Klone zunächst mal gar keine Rechte. Und in so stereotypen Abläufen in solchen Texten kommt es dann dazu, dass die Klone sich ihrer Situation bewusst werden, sich dagegen auflehnen. Dass sie quasi eine Information darüber bekommen, wer sie sind, oder was sie sind zunächst einmal, sich befreien und dann eben auch nach Individualität streben. Also nach einer ganz eigenen Identität und als solche dann später eben auch als Menschen wahrgenommen werden. Und nicht mehr so sehr als Sachen oder als Klone.

Pokatzky: Welche Rolle spielte dabei dann die Entwicklung der jeweiligen Wissenschaftsszene? Ist es aufgegriffen worden oder aber, weil ja – also von 150 Menschen hat ja keiner wirklich realistisch gedacht, wir könnten so was eines Tages mal kreieren oder schaffen –, war das vielleicht dann doch so wieder was in ganz alte archaische Zeiten zurückgehend, wo die Literaten gedacht haben, das klappt ja sowieso nicht? Oder war da doch so traum-/albtraumhaft so eine Vorstellung, es könnte eines Tages gelingen?

Halft: Sie finden eigentlich mehrere Linien in der Literatur. Das heißt, es gibt sowohl sehr negative Darstellungen, die zurückgehen vielleicht auf "Frankenstein". Also das Monster, das spielt gerne mal eine Rolle, und das knüpft natürlich an Frankenstein an. Also an diesen Wissenschaftler, an diesen vielleicht auch verrückten Wissenschaftler, der sein Geschöpf aus Eigennutz, aus Narzissmus erschafft und es dann vernachlässigt, anders als der mythologische Prometheus. Und es gibt aber auch zeitgenössische Texte, wo der Klon und der Wissenschaftler selbst dann auch nicht unbedingt so negativ gesehen werden.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur der Passauer Literaturwissenschaftler Stefan Halft – das Motiv des Klonens in Literatur und Film ist unser Thema. Herr Halft, woran liegt diese Faszination für das Klonen, wo der Mensch dann ja sich göttliche Befugnisse anmaßt? Ist es das, was das Faszinierende ist?

Halft: Ich denke, das ist sicherlich eine Facette, dass man auslotet, was der Mensch wohl schaffen und können wird, wie weit der Mensch wohl gehen wird und was er für Fähigkeiten hat. Aber ich denke, ein Reiz der Literatur besteht vor allem darin, dass sie die offenen Fragen, die die Wissenschaft just eben nicht beantworten kann, dass sie die in sich durchspielt und uns zumindest in Aussicht stellt, wie es vielleicht sein könnte, also quasi ein Gedankenexperiment durchführt.

Pokatzky: Die Klonschöpfer, also die Literaten oder später dann die Filmemacher, wie weit waren die denn beschaffen, was waren das für Leute?

Halft: Wenn wir uns das in der Literatur anschauen oder im Film, das hatte ich eben schon einigermaßen angedeutet, da haben sie gerne mal den verrückten Wissenschaftler, der das aus Eigennutz tut. Das können aber auch Leute sozusagen wie Sie oder ich sein, ich weiß nicht, ob Sie zum Beispiel eine neue Haushaltshilfe bräuchten ...

Pokatzky: Dringend, dringend, nicht nur eine!

Halft: Dringend? Das ist im Text von Charlotte Kerner, "Blueprint" heißt der, etwa so: Da haben Sie eine sehr berühmte Pianistin, die ist leider tödlich erkrankt, und in diesem Text ist es dann möglich, sich klonen zu lassen, und das nutzt die Dame dann auch, lässt sich klonen, bekommt eine Tochter, trägt die selber aus, und die soll ihre Karriere fortführen, nur das funktioniert dann auch dort nicht so, wie sie das gerne hätte, weil die Tochter irgendwann eben auch eigene Ziele natürlich entwickelt, autonom leben möchte und sich von ihrer Mutter emanzipiert und eben ihr eigenes Leben in die Hand nimmt und sich ein Leben so schafft und gestaltet, wie sie das gerne hätte, und nicht dieser Vorherbestimmung folgt, die die Mutter für sie auf Lager hatte.

Pokatzky: Gibt es denn irgendwann auch mal was, wo das mit dem Klonen geklappt hat. Und wo am Ende ja, so die Bilanz, die literarische Bilanz ist, ja, das ist was Gutes, und ja, wir haben eine positive Zukunft, die uns da winkt?

Halft: Da sind sich die Texte teilweise gar nicht so einig. Ich glaube nicht, dass wir pauschal sagen können, dass die Texte das einfach nur positiv oder negativ sehen. Es geht vielmehr darum, dass die Texte und Filme danach fragen, was denn jetzt genau die Position des Klonens in der Gesellschaft sein soll. Wenn sie beispielsweise sich wieder "Blueprint" von Charlotte Kerner anschauen, so überlebt der Klon zum Schluss. Das haben Sie auch nicht in allen Texten. Aber wirklich gut geht es ihr weder psychisch noch in ihrer Position in ihrer Gesellschaft zum Schluss nicht.

Aber im Text wird es so dargestellt, als ob es dann wohl zukünftig zumindest ein Teil der Gesellschaft sein wird. Die Frage ist also an der Stelle, was macht die Gesellschaft mit dem Klon? Akzeptiert sie ihn und behandelt sie ihn wie einen Menschen, oder behandelt sie ihn quasi wie ein Objekt oder wie eine Sache?

Pokatzky: Das heißt also, es ist keineswegs so, wie ich jetzt denken könnte, dass immer im Hintergrund steht die Bekämpfung eines Monsters durch den Menschen oder die Gesellschaft?

Halft: Das haben Sie auch. Es gibt Texte, wo zum Schluss alle Klone vernichtet werden und mit ihnen die ganzen Einrichtungen, aus denen die Klone hervorgegangen sind und auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Es gibt aber auch Texte, die das weniger rigide tun. Und die von der Position ausgehen, dass, wenn die Klone nun einmal da sind, wir mit ihnen leben müssen und wir sie nicht behandeln können wie Dinge, wie Sachen. Sondern dass wir sie so behandeln müssen, normativ gesagt, wie wir vielleicht auch behandelt werden wollen, nämlich als Individuen mit Rechten.

Pokatzky: Nun wissen wir beide nicht, ob wir es noch erleben werden, dass Menschen tatsächlich geklont werden, aber können wir eigentlich bisher aus der Literatur, aus dem Film, für die Debatte in der realen Welt etwas lernen?

Halft: Die Literatur dient sicherlich als Reflexionsmedium der Gesellschaft, das heißt, sie werden in der Literatur sehr viele Positionen nennen, sowohl Pro als auch Kontra als auch vollkommen offene Positionen. In der Literatur fließen, das hatten sie eben schon gesagt, viele Traditionslinien zusammen. Und die Leistung der Literatur ist es, an der Stelle diese Linien zusammenzubringen. Vielleicht eine neue Konstellation zu bringen und dadurch Impulse zu geben, vielleicht Ideen zu generieren, die wir so in der Gesellschaft noch nicht unbedingt gehabt haben. Gleichzeitig fungiert die Literatur an der Stelle natürlich auch ein bisschen als Archiv sozusagen. Als Spiegel der Gesellschaft, was deren Normen und Werte angeht. Und wir können auch vor diesem Hintergrund sicherlich sagen, dass die Literatur uns immer wieder neue Fragen selber auch aufgibt, die wir dann reflektieren müssen.

Pokatzky: Wenn Sie selber einen Roman schreiben sollten, wen oder was würden Sie gerne klonen?

Halft: Wen oder was würde ich im Roman gerne klonen? Ich denke, ich würde es so machen wie Sie und würde mir erst mal eine neue Haushaltshilfe zulegen, aber ich denke, dazu muss ich niemanden klonen, Gott sei Dank nicht.

Pokatzky: Ja, klonen Sie für mich bitte eine mit! Danke, Stefan Halft, Literaturwissenschaftler an der Uni Passau – das Motiv des Klons in Literatur und Film war unser Thema!

Halft: Sehr gerne, auf Wiederhören!

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