Homosexuelle im Sport

"Ein Coming-out befreit"

Jörg Litwinschuh im Gespräch mit Susanne Führer · 09.01.2014
Der Sport und die Wirtschaft seien die letzten Bastionen, in denen Homosexualität tabuisiert werde. Das sagt Jörg Litwinschuh von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Die Fußballfans seien aber insgesamt toleranter als die Funktionäre.
Susanne Führer: Ein Sportler spricht über sein Privatleben und provoziert damit Reaktionen von Regierungssprecher und Premierminister, und das nicht in einer, ja, wie soll man sagen, sogenannten gelenkten Demokratie, in der der Sport Staatsangelegenheit ist, sondern in unserer so freien westlichen Welt. Der Ex-Profifußballer Thomas Hitzlsperger ist schwul, und der deutsche Regierungssprecher Seibert und der britische Premierminister Cameron sagen: Toll, dass das mal einer sagt! Von allen Seiten hieß es: Mut und Respekt für Hitzlsperger!
Was bedeutet dieses Coming-out für den Fußball und den Sport? Und was kann man gegen die Homophobie im Fußball und im Sport tun? Darüber will ich nun mit Jörg Litwinschuh sprechen, er ist der Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und heute Morgen zu uns ins Funkhaus gekommen. Guten Morgen, Herr Litwinschuh!
Jörg Litwinschuh: Guten Morgen!
Führer: Wie war denn Ihre Reaktion gestern? War das auch so, Mensch, Hitzlsperger – Mut, Respekt, toll?
Litwinschuh: Also ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Homosexuellenfeindlichkeit im Sport und habe mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern vor einigen Jahren das Projekt „Fußball gegen Homophobie – Fußball für Vielfalt“ gegründet, und in diesem Zusammenhang haben wir uns natürlich auch mit Profispielerinnen und Ex-Profispielern beschäftigt, und deshalb kam das Outing, das Coming-out für mich schon … - es war schon eine Überraschung, aber es war jetzt nicht etwas, was wir nicht vorausgesehen hätten, es war eine Frage der Zeit. Aber ich begrüße es außerordentlich, dass Herr Hitzlsperger diesen mutigen Schritt gewagt hat, denn bisher war einfach Homosexualität im Profifußball nicht sichtbar.
Führer: Ja, das sieht man ja auch an diesen positiven Reaktionen. Ich meine, ist ja schön, dass alle so positiv reagieren und keiner … Also öffentlich traut sich eben keiner, zu sagen, na ja, das finden wir jetzt aber irgendwie doof, dass der schwul ist. Aber man sieht ja an diesen Reaktionen, also wie viel Mut es offenbar immer noch erfordert, das zu sagen, selbst, wenn man nicht mehr aktiver Fußballer ist.
Litwinschuh: Es erfordert einfach deshalb viel Mut, weil natürlich die Spielerinnen und Spieler Angst haben vor den Reaktionen. Das können sein die Reaktionen der Fans, das können die Reaktionen sein des Trainers oder der Verbandsfunktionäre, aber auch die Reaktionen der Sponsoren, und viele Spielerinnen und Spieler, so glauben wir, haben bisher als aktive Profis ein Coming-out nicht gewagt, weil sie einfach glaubten, dann geht die Karriere zu Ende und dann können wir nicht mehr erfolgreich Sport betreiben. Und diese Haltung aber, glaube ich, bricht gerade auf, auch mit so einem mutigen Coming-out, denn ich glaube, die Zeit ist wirklich reif, dass sich auch aktive Spielerinnen und Spieler zu einem Coming-out durchringen können.
Führer: Apropos Mut, wo Sie das sagen, Thomas Hitzlsperger hat in der vergangenen Nacht eine Videobotschaft veröffentlicht und genau das ist auch sein Ziel, den jungen Spielern Mut zu machen. Hören wir es mal.
Thomas Hitzlsperger: Bei mir hat die Bewusstwerdung eben länger gedauert. Ich denke aber, dass junge Spieler heute, die sich viel früher vielleicht im Klaren sind über ihre Neigungen, die es eben tun können, sie können darüber sprechen, sie können offen damit umgehen, weil sie auch sehen an meinem Beispiel, an wenigen anderen, dass man sowohl homosexuell sein kann auf der einen Seite, und auf der anderen Seite auch ein erfolgreicher Profifußballer, und das soll auch jungen Spielern Mut machen.
Führer: Das sagt Thomas Hitzlsperger, der nun eben öffentlich bekannt gemacht hat, dass er homosexuell ist und zu Gast im Studio ist Jörg Litwinschuh von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Herr Litwinschuh, ist es eigentlich so, dass wirklich speziell der Fußball so homophob ist, so schwulenfeindlich, oder fällt es da nur besonders auf, weil der Fußball einfach die Sportart Nummer eins in Deutschland ist?
Litwinschuh: Da gebe ich Ihnen recht, der Fußball ist hier keine Ausnahmeerscheinung. Homosexuellenfeindlichkeit gibt es, so glaube ich, im gesamten Sport. Der Fußball hat nur eine so große Wirkmächtigkeit und schon fast kulturelle Bedeutung in Deutschland, dass natürlich Veränderungen im Fußballsport sich sicherlich auf den gesamten Sport, auf die gesamte Gesellschaft übertragen. Und daher sind wir so froh, wenn Menschen auch den Mut fassen, ein Coming-out zu begehen, und da will ich hier auch mal den Hörerinnen und Hörern sagen, es wird immer Coming-out und Outing verwechselt. Coming-out ist ein selbstgewählter Prozess, dass man sich findet, was für eine sexuelle Identität habe ich oder eine Geschlechtsidentität? Es gibt ja auch intersexuelle oder transsexuelle Menschen.
Führer: Und outen tue ich andere Menschen?
Viele Reaktionen in den Medien sind bloß "political correct"
Litwinschuh: Und Outing heißt, etwas Fremdbestimmtes, was ich gar nicht will, was vielleicht über Medien, über Konkurrenten oder andere passiert, und ein Outing lehnen wir vollkommen ab, aber ein Coming-out-Prozess ist etwas Positives, das befreit, das gibt sehr viel Energie frei. Und gerade deshalb ist dieses Coming-out von Herrn Hitzlsperger ein fast historischer Schritt im deutschen Sport.
Führer: Bleiben wir dann trotzdem mal beim Fußball, weil er eben so prägend ist. Ich meine, es ist ja verrückt, also es gibt offen schwule Bundespolitiker, wir haben die eingetragene Lebenspartnerschaft, es wird diskutiert über Adoptionsrecht für homosexuelle Paare, und der Fußball scheint, oder der Sport, eine der letzten Bastionen dieses alten Männerbildes zu sein.
Litwinschuh: Also der Sport und die Wirtschaft, das sind eigentlich die letzten Bastionen, wo man glaubte, man kann als Homosexueller, als Homosexuelle keine Karriere machen, dass irgendwann eine gläserne Decke kommt. Erst letzte Woche sagte ein bekannter Journalist zu mir: Es gibt gar keine Profifußballer, die schwul sind, und deshalb braucht man sich auch mit diesem Thema nicht zu beschäftigen. Und jetzt zeigt es ja, dass da viele falsch lagen. Und genau dieses Tabu müssen wir aufbrechen, denn wenn man nicht über Homosexualität spricht, dann kann man ja nicht Klischees abbauen, dann kann es nicht zur Begegnung kommen und dann kommen wir nicht zu der Akzeptanz, die wir alle brauchen und wünschen.
Führer: Und wie wollen Sie dieses Tabu aufbrechen? Sie haben ja eine Bildungsinitiative mit der Universität Vechta gestartet, wo es auch darum geht. Was machen Sie da genau als Bundesstiftung Magnus Hirschfeld?
Litwinschuh: Also anders, als es vielleicht heute in den Medien erscheint, sind die Reaktionen nicht so positiv, wie es jetzt vielleicht political correct von vielen kommt, was mich ja auch sehr freut, dass es viele positive Reaktionen gibt, aber wenn Sie heute und gestern mal in den sozialen Netzwerken unterwegs waren, gibt es schon sehr, sehr viele homophobe Äußerungen von Bürgerinnen und Bürgern.
Und andererseits bin ich froh, dass durch dieses Coming-out jetzt auch Menschen Ihre Meinung äußern, und über Meinungen muss man eben streiten, und über verbesserte Information können ja vielleicht auch Vorurteile abgebaut werden. Und deshalb haben wir gemeinsam mit dem Institut für Sportpsychologie, Herr Prof. Speer von der Universität Vechta, ein Modellprojekt entwickelt, dass wir aktuell dem Deutschen Fußballbund und auch der Deutschen Fußballliga und vielen weiteren Akteurinnen und Akteuren vorstellen, wo wir sagen: Es braucht Bildung in allen Bereichen des Fußballsports.
Das heißt, Sie müssen die Trainer fit machen, wenn es zum Thema Homosexualität kommt, auch zu diesem Thema Stellung zu nehmen, auch Sanktionen durchführen zu können, wenn es homophobe Äußerungen in der Kabine gibt und so weiter. Das heißt, erst mal müssen Trainer fitgemacht werden. Das ist für uns eine ganz, ganz wichtige Schaltstelle, weil Trainer mit so vielen Menschen zu tun haben, mit den Spielern, mit den Eltern, mit den Vereinen. Da braucht es sehr viel Bildung, denn oft haben auch Eltern Angst, ihre Kinder in Vereine zu geben, die offen mit dem Thema Homosexualität umgehen, weil sie auch dort wieder Klischees und Vorurteile haben und gar nicht wissen, wie Homosexualität entsteht und anderes mehr.
Aber wir müssen eben über dieses Thema sprechen, nur dann werden auch Ängste abgebaut. Und deshalb entwickeln wir ein Modellprojekt, das mit Bildung und Aufklärung an verschiedenen Stellen im Sport ansetzt, um damit ein Klima zu schaffen für Vielfalt, denn sowohl die Fans als auch die Sportler sollen den Wert der Vielfalt erkennen als eine große Chance. Das kriegen wir ja auch im Fußball mit, was vor einigen Jahren noch gar nicht selbstverständlich war, mit Sportlerinnen und Sportlern zusammenzuarbeiten, die aus dem Ausland kommen. Da gab es Antirassismusprojekte und vieles mehr. Und jetzt ist die Zeit reif für das Thema Homosexualität.
Führer: Okay, Herr Litwinschuh, aber wo Sie das ansprechen mit dem Rassismus, da fällt mir jetzt auch eine Parallele auf: Sind nicht vielleicht vor allem die Fans das Problem und gar nicht so sehr die Sportkollegen, -kameraden und die Trainer?
Litwinschuh: Das glaube ich definitiv nicht.
Führer: Das ist ja das, was jetzt alle auch als Reaktion auf Hitzlsperger gesagt haben. Alle haben gesagt, super, Respekt, ich kann es aber keinem raten, denn – und dann wurde dieses Bild an die Wand gemalt, wirklich dieses Horrorszenario – man stelle sich vor, was für ein Spektakel dann da in der Kurve los ist, wenn auf dem Platz ein offen bekennender Schwuler ist.
Litwinschuh: Also wir teilen diese Einschätzung nicht und wir haben schon vor knapp zwei Jahren Fußballer zum Coming-out ermutigt, denn die Fans sind viel, viel weiter als Funktionäre und viele Spielerinnen und Spieler selbst. Ähnliche Argumente haben wir ja in der Politik gehört. Natürlich gibt es Ultras oder bestimmte Fans, die homosexuellenfeindlich sind, …
Führer: Ja, und Sie haben doch gerade selbst von den sozialen Netzwerken erzählt.
Sanktionen, Informationen und Aufklärung sind nötig
Litwinschuh: Das ist richtig, aber die Mehrheit, sind wir ganz überzeugt, sind, also akzeptieren Homosexualität viel stärker, und deshalb müssen wir gerade die Starken im Sport stärken und müssen eben homosexuellenfeindlichen Fans und auch Ultras klarmachen, dass so etwas nicht akzeptiert wird, da muss es Sanktionen geben, aber vor allem Information und Aufklärung, denn, wie gesagt, auch die Fans sind viel, viel weiter als es manche Funktionäre oder ängstliche Sportlerinnen und Sportler glauben.
Führer: Und jetzt noch so eine gemeine Prognosefrage zum Abschluss: Was meinen Sie, wie lange wird es dauern, bis es eigentlich irgendwie unerheblich ist, bis es nicht mehr interessant ist, ist der nun schwul oder nicht oder was auch immer?
Litwinschuh: Ich glaube, so etwas wird nie eintreten. Ich hoffe, dass es irgendwann dazu kommt, dass man auch schwul und lesbisch sein kann und damit Karriere machen kann im Sport, in der Wirtschaft und in der Politik, aber jede Generation muss neu lernen, mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit zurechtzukommen, das müssen wir in jeder Generation, in der Schule, in der Bildung, am Arbeitsplatz neu vermitteln. Aber die Zeit ist reif, und ich glaube, es wird dort positive Veränderungen in den nächsten Monaten und Jahren geben, und ich hoffe auch, dass weitere Spielerinnen und Spieler den Mut zu einem Coming-out finden.
Führer: Ein optimistischer Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh war zu Gast im Studio bei uns, vielen Dank für den Besuch und für das Gespräch!
Litwinschuh: Ich danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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