Hommage an die israelische Gründergeneration

06.05.2011
Ende des 19. Jahrhunderts besiedelten osteuropäische Juden Flächen im damaligen Palästina, um es sie beackern und später einen eigenen Staat für die Juden zu gründen. Mit Humor und zärtlicher Melancholie beschreibt Meir Shalev die Ankunft seiner Vorfahren.
Israel heute ist ein modernes Land, flächendeckend versehen mit Shopping Malls und Mobilfunknetzen und Standort einer boomenden Tourismus-, Hightech- und Fortpflanzungsindustrie. Seine Metropolen sind geprägt von jugendlicher Ausgelassenheit und hedonistischer Freude am Luxus.

Es ist nicht lange her, da war all das nicht vorstellbar. Die Gegend zwischen den Bergen Galiläas und der Wüste Sinai gab sich unzugänglich: ein paar verstreute Siedlungen, holprige Landstraßen, wenig Einwohner, Sümpfe, viel Staub.

Ende des 19. Jahrhunderts begannen idealistische Juden aus Osteuropa, das Land im buchstäblichen Sinn zu beackern. Ein Traum sollte wahr werden – ein eigener Staat für die Juden. Mit ihm sollten die "neuen Hebräer" geschaffen werden: starke, tatkräftige Juden, die zuhause sind auf den Feldern, an der frischen Luft, nicht in der Gebetschule.

Meir Shalev,1948 als Nachfahre russischer Einwanderer im Moshaw Nahalal im Norden des Landes geboren, berichtet in seinem neuen Roman von diesen Pionieren. Sein Großvater war 1908 aus der Ukraine ins damalige Palästina gekommen und hatte die genossenschaftliche Landwirtschaftssiedlung Nahalal mit gegründet.

"Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger" ist eine Hommage an die Gründergeneration des späteren Israel, eine Liebeserklärung an die eigene Familie und ihre russischen Wurzeln, ein Plädoyer für kulturelle und persönliche Eigenart, wenn nicht Spleens: Shalevs putzsüchtige Großmutter Tonia brachte es fertig, einen nagelneuen Hoover-Staubsauger, Geschenk ihres Schwagers aus dem fernen Amerika, jahrzehntelang im Badezimmer einzuschließen. Dass er selbst ja wieder gesäubert werden müsse, galt ihr als Argument, ihn nie zu benutzen. Der Großvater war aus ideologischen Gründen froh darüber: Der Staubsauger war für ihn ein Symbol des Kapitalismus.

Shalev beschreibt liebevoll eine vergangene Zeit, das entbehrungsreiche Leben der Großeltern, ihre Hingabe an Sozialismus und Zionismus. Er schildert, wie sie sich aus dem Nichts ein neues Leben aufbauten, die Prägung durch ihre Herkunft jedoch nie ablegen konnten. Ob ideologische Auseinandersetzung, Mühsal der Arbeit oder Unbill des Wetters – in der Erzählung des Enkels taucht ein Weichzeichner alles in ein warmes Licht. Es wird Jiddisch gesprochen, ein Esel kann fliegen, jeder Mensch hat Ecken und Kanten, vor allem aber ein Herz.

Bewusst und durchaus ironisch spielt der Autor mit dieser Erzählhaltung. Sie erinnert an die Shtetl-Geschichten der jiddischen Literatur und transportiert so eine tiefere Wahrheit: Auch wenn man alles neu und anders machen wollte – im Moshaw in Palästina ging's, eine bittere Pointe, eigentlich genauso zu wie im ukrainischen Dorf.

Der Roman ist ein Stück Landesgeschichte, verwoben mit Autobiografie. Also eine abgespeckte Version von Amos Oz' "Geschichte von Liebe und Finsternis". Während Oz einen Panoramablick auf das vorstaatliche Israel eröffnet, erzählt Shalev eine kleine Geschichte, wie sie innerhalb einer Familie weitergegeben wird – mit all ihren Übertreibungen, Zusätzen, Spekulationen und Auslassungen.

Meir Shalev vergewissert sich der eigenen Herkunft und des menschlichen Reichtums derjenigen, die Israel aufbauten. Mit Humor, Zärtlichkeit und auch Melancholie lässt er das jüdische Gemeinwesen der vorstaatlichen Ära aufleben, das rückblickend jenes Märchenhafte auszeichnet, das dem heutigen Israel so fehlt.

Besprochen von Carsten Hueck

Meir Shalev: Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Diogenes Verlag, Zürich 2011
281 Seiten, 19,90 Euro