Homeless World Cup

Aus der Armut kicken

Die Spieler des chilenischen Teams feiern am 14.10.2012 in Mexiko City ihren Sieg über Mexiko im Finale des Homeless World Cup 2012 im Straßenfußball.
Die Spieler des chilenischen Teams feiern in Mexiko City ihren Sieg über Mexiko im Finale des Homeless World Cup 2012. © AFP / Alfredo Estrella
Von Kathrin Albinus · 17.10.2014
Vom 19. bis 26. Oktober findet in Santiago de Chile die 12. Straßenfußball-WM der Obdachlosen statt. Die acht Spieler des deutschen Teams kommen aus verschiedenen Städten und können nur selten zusammen trainieren – wie zuletzt vor einigen Wochen in Hamburg.
Jiri Pacourek: "Probiert mal ruhig rechts links, auch wenn du nicht mit links so sicher bist. Probiert das! Also, stopp, wenn du kein Linksfußballer bist, probierst du das! Probier auch den Ball zu stoppen und Abschluss mit der Pieke. Ich komme jetzt zu meinem üblichen Vortrag über die Pieke."
Jiri Pacourek’s Vortrag über die Pieke fällt kurz aus - fußballerisch hat der Trainer der Obdachlosenmannschaft dieses Jahr eine starke Truppe beisammen.
In neuen weißen T-Shirts, einer Spende des Sozialprojektes "Hamburger Weg", sammeln sich die acht Spieler kurz um ihren Trainer, dann wird weitergekickt, auf dem Kunstrasen des HSV-Übungsgeländes in Hamburg-Norderstedt.
Die Spieler sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, erfahrene Fußballer, aber aufgrund ihrer Lebensumstände körperlich nicht alle topfit. Trainer Pacourek konzentriert sich auf das Team-Building - auch dafür hat er nur wenig Zeit. Nur zwei Mal konnten die Spieler bisher zusammen trainieren, die drei Tage in Hamburg sind die letzten vor der WM.
Jiri Pacourek: "Das ist wirklich Unterschied zu zum Beispiel den Ländern in Südamerika. Die Teams, die kennen sich schon seit mehreren Monaten und trainieren intensiv auch zwei-, dreimal pro Woche. Darum fliegt Deutschland zur Weltmeisterschaft nicht als irgendwelcher Favorit. Männliche Mannschaften gibt's glaube ich 45 und wir werden so um den Dreh spielen - so 30. bis 40. Platz. Das ist auch meine Aufgabe, die Jungs darauf vorzubereiten, dass wir keine großen Favoriten sind."
Gespielt wird zweimal sieben Minuten
Straßenfußball, das sind ein Torwart und drei Spieler auf einem 22 mal 15 Meter großen Feld, gespielt wird zweimal sieben Minuten. Pacourek muss auch das System, das bei der WM gilt, noch mit den Spielern üben.
Jiri Pacourek: "Da darf man zu dritt angreifen, aber nur zu zweit verteidigen. Weil da wirklich Menschen waren, welche nicht fit waren und dann hat das Team gar keine Möglichkeit gehabt, ein Tor zu treffen. Und so entsteht eine Art Powerplay und auch ein Team, welches unglaublich schwach ist, auch dann dieses Torerlebnis hat. Und das müssen wir trainieren, weil wir spielen das in Deutschland nicht. So, ich muss jetzt eine Änderung machen."
Nur einmal im Leben darf jeder Spieler an der Obdachlosen-Weltmeisterschaft teilnehmen. Denn beim Homeless World Cup geht es vor allem um einen Schritt raus aus Armut, Isolation, Drogensucht – den sollen möglichst viele machen können. Vor einigen Jahren bestand das Team Germany hauptsächlich aus Spielern, die vom Verkauf von Straßenzeitungen lebte. Heute sind es eher Suchtkranke, die in einer Einrichtung leben.
Wenn es nach Chile geht, sitzen die meisten von ihnen zum ersten Mal in einem Flugzeug – auch Roland. Vor der Pause steht er noch kurz am Spielfeldrand:
"Ich bin noch nie geflogen, und jetzt hab ich gleich mal so 18 Stunden, das ist schon krass. Aber gut, da muss man durch."
Roland hat eine Haftstrafe abgesessen, lebt jetzt in einer Einrichtung und macht eine Lehre zum Tischler. Er ist aus einem kleinen Ort in Oberbayern nach Hamburg zum Training angereist. Dass das deutsche Team nicht zu den Favoriten gehört, stört Roland nicht:
"Das ist halt ein Lebensereignis. Es geht um die Weltmeisterschaft im Straßenfußball, ich sag einfach mal: Dabeisein ist alles. Und als Mannschaft sich aufm Platz und neben dem Platz einfach normal aufführen, menschlich halt und nicht dieses: Ich komm aus Deutschland, ich bin was Besseres, oder so was. Ich mein, wir sind ja auch im Endeffekt der Abschaum aus Deutschland, sag ich jetzt mal so, so untere Schiene oder so."
Auch der Trainer hat eine bewegte Vergangenheit
Auch Trainer Jiri Pacourek hat eine bewegte Vergangenheit. Seit zwei Jahren trainiert er das Team Germany, doch bis dahin war es ein langer Weg, erzählt er nach der Pause in der Umkleidekabine. Als junger Mann ist Pacourek spielsüchtig:
"Dadurch wurde ich dann wohnungslos, ich bin aus Tschechien rausgegangen, bin ein Jahr durch Europa gewandert und hab mich gesucht. Irgendwann bin ich in Deutschland geblieben wegen einer Frau. Mit der hab ich dann angefangen, auch Drogen zu nehmen, also die ganze Palette."
2010 wird er selbst ins Team Germany aufgenommen und fliegt mit der Mannschaft nach Brasilien zum Homeless World Cup in Rio. Eine Reise, die sein Leben verändert.
Jiri Pacourek: "Ich habe mir dadurch wieder ein Selbstbewusstsein geholt, tatsächlich hab ich mich in Brasilien wirklich, wirklich wie ein Nationalspieler gefühlt. Wir wurden da an dem Zuckerhut von kleinen Kindern bejubelt und die wollten sich mit uns fotografieren und das ist schon ein Erlebnis. Ich kann sagen, ich bin zurückgekehrt bisschen wie ein anderer Mensch."
Das Hamburger Turnier läuft gut
Sich nicht mehr wertlos fühlen, sich Ziele setzen und sie erreichen können – das ist eine Erfahrung, die er sich auch für seine Spieler in diesem Jahr wünscht. Beim Turnier am nächsten Tag machen die Jungs eine gute Figur.
Roland: "Wir haben bis jetzt jedes Spiel gewonnen. Es läuft alles gut. Top. Wir haben Spaß, wir haben Fun. Jetzt steht’s schon drei null. Da macht’s einfach Spaß, da lacht das Herz."
Jiri Pacourek: "Roland! Vorne! Schön, Jawoll. (Klatschen) Wie viel steht’s? Okay, Jungs, Training! Probiert etwas, spielt mit der Bande!"
Für Trainer Pacourek ist vor allem Fairplay wichtig:
"Pfiff – sauber, sauber! Entschuldige dich! (Los, entschuldige dich! – Gelächter, Klatschen) Sehr gut, schön. Flavius, vorne, vorne. Marcel, ruhig, spiel dein – ja, sehr gut. Einfach ruhig spielen."
Am Ende erspielt sich die deutsche Auswahl den ersten Platz im Turnier. Eine Platzierung im hinteren Drittel in Chile? Vielleicht ist doch mehr drin beim Homeless World Cup 2014 für das Team Germany.
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