Holocaust als Quoten-Hit im Iran

Moderation: Tom Grote · 01.10.2007
Eine TV-Serie, die die Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg darstellt, ist ein echter Straßenfeger im Iran. Die 30-teilige Serie wurde im Auftrag des staatlichen Fernsehens hergestellt und das, obwohl Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad ein bekannter Holocaustleugner ist. Der Korrespondent Martin Ebbing sagte, die Serie sei gut gemacht und bediene das Bedürfnis der Iraner nach melodramatischen Liebesgeschichten und vermittle nebenbei Geschichtswissen.
Tom Grote: "Breite: Null Grad", so der Titel einer 30-teiligen TV-Serie, die gerade im iranischen Fernsehen läuft. Heute Abend kommt wieder eine Folge und in der Serie geht es um die Judenverfolgung im II. Weltkrieg, was wirklich erstaunlich ist, denn das iranische Fernsehen gilt als streng staatlich kontrolliert und der Präsident des Landes, also Ahmadinedschad, ist bekannt als Holocaustleugner. In Teheran ist unser Korrespondent Martin Ebbing, Herr Ebbing, was passiert da genau in "Breite: Null Grad"?

Martin Ebbing: Also das ist eine relative verzwickte und verwickelte Geschichte, so wie das bei 30-teiligen Folgen eigentlich zu erwarten ist. Im Kern ist das Ganze eine Liebesgeschichte. Ausgangspunkt ist ein junger Mann namens Hassid Habib, der nach Paris geht, um Philosophie zu studieren in den 40er Jahren, dann eine Anstellung bei der Botschaft findet, weil er Geld braucht, und dann sich verliebt in eine Jüdin namens Sarah Stroke und gleichzeitig Augenzeuge wird der Judendeportationen und des Einmarsches der Nationalsozialisten in Paris.

Das Ganze hat dann ihn emotional so berührt und das wird auch sehr ausführlich dargestellt, dass er seine Position in der Botschaft dazu nutzt, gefälschte Pässe auszugeben, damit Juden aus Frankreich fliehen können. Er wird erwischt, kommt ins Gefängnis, wird dann nach Teheran zurückgeschickt, hat sich mittlerweile getrennt oder ist getrennt worden, gewaltsam von Sarah und trifft sie dann in Teheran wieder, wo sie im Gefängnis sitzt, das ist jetzt der Stand der Dinge, weil sie ihren Mann, den sie inzwischen geheiratet hat, einen anderen, umgebracht hat und die große Frage bei dieser Geschichte ist nun bis zur 30. Folge: Werden die beiden jemals noch wieder zusammenfinden? Das heißt, Herz und Schmerz auf der einen Seite, dann aber eben auch der historische Hintergrund.

Grote: Wie viel hat denn die Serie mit tatsächlichen Vorfällen zu tun?

Ebbing: Also die Ausgabe von gefälschten Pässen an Juden ist eine wohlverbürgte historische Tatsache, das soll es gegeben haben. Ich habe das nicht unabhängig recherchiert, aber das haben mir verschiedene Leute, die sich mit dieser Geschichte auskennen, durchaus verbürgt, das gab es, das war noch zu Zeiten des Schahs. Obwohl das Schahregime damals an der Seite der Nationalsozialisten stand, hat da wohl jemand in der Botschaft tatsächlich auf eigene Faust gehandelt.

Grote: Ist denn das Thema das einzig Außergewöhnliche an dieser Serie oder auch die Aufbereitung?

Ebbing: Na ja, wichtig ist erst mal, dass an prominenter Stelle, also das ist ein Riesenhit hier im iranischen Fernsehen, das ist fast so wie zu Durbridge-Zeiten hier bei uns in Deutschland in den sechziger Jahren. Da sind die Straßen wirklich leergefegt und die Leute wollen sich angucken, wie das da jetzt weitergeht. Das so etwas da gezeigt wird, es wird ein Tabu gebrochen. Zumindestens in diesem großen Format ist das noch nie im iranischen Fernsehen zu sehen gewesen, vielleicht in Diskussionssendungen, wo der eine oder andere gesagt hat, na ja, ich meine schon, dass dem Holocaust faktische Grundlagen zugrunde liegen von daher ist das nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber dass das so emotional in aller Breite dargestellt wird, und was ganz wichtig ist, weil Iraner so wenig über den Holocaust wissen, das wird hier nicht im Unterricht gelehrt, das kann man nicht im Fernsehen sehen, das kann man auch nicht in den Zeitungen lesen, gibt es auch keine emotionale Nähe zu den Opfern. Und wenn man mit Zuschauern spricht, dann erfährt man doch relativ oft, dass die Leute sagen, ja, das ist zum ersten Mal, dass ihnen klar geworden ist, was dieser Holocaust eigentlich für die Juden eigentlich bedeutet hat und wie viel menschliches Elend beispielsweise damit verbunden ist. Das ist neu.

Die andere Seite ist dann die Korrektur. Es gibt in diesem Film gute Juden, eben die Opfer des Holocaust und böse Juden. Und böse Juden sind im iranischen Sprachgebrauch immer die Zionisten, also diejenigen, die damals sich eingesetzt haben für die Gründung eines israelischen Staates in Palästina und das sind hier wirklich die Schurken in dieser Serie.

Grote: Herr Ebbing, diese Schwarz-Weiß-Malerei, also böse Zionisten, arme verfolgte Juden, die sie gerade angesprochen haben, durchschauen das die Iraner?

Ebbing: Sie durchschauen es sicherlich nicht in ihrer politischen Komplexität, aber es kommt natürlich auch der offiziellen Propaganda, also dem, was man hier im Iran allemal erfährt, schon entgegen, da wird etwas unterbelichtet, eben die Opferseite, aber sehr herausgestrichen wird und das ist tägliches Brot hier bei der Zeitungslektüre, die böse und destruktive und hintertriebene Rolle, die die Zionisten in der Weltpolitik spielen. Das ist etwas, was Iranern durchaus vertraut ist, obgleich ich glaube, dass da, sozusagen, was die historischen Fakten da anbelangt, die Drehbuchschreiber und Autoren nun völlig auf dem Kreuzweg gewesen sind.

Sie behaupten in diesem Film - und das wird mehr oder weniger unterschwellig auch versucht zu demonstrieren -, dass die Zionisten da mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet haben, um eben diese Opfer zu kreieren und damit eine Legitimation für den eigenen Staat in Palästina zu bekommen. Das ist offizielle Propagandalinie hier im Iran.

Es sei nur daran erinnert, dass Ahmadinedschad, der Präsident, ja mehrfach gefragt hat, ja wieso müssen denn ausgerechnet die Palästinenser unter dem Holocaust leiden, das ist eine europäische Sache, das geht uns eigentlich gar nichts an und da ist es ja nur ein kleiner Gedankenschritt zu sagen, die Zionisten haben das Ganze inszeniert.

Grote: Im österreichischen "Standard" da war zu lesen, diese Serie sei von Holocaustleugnern gemacht worden. Wie macht sich das konkret bemerkbar außerdem?

Ebbing: Also ich glaube, der "Standard" liegt da nicht ganz richtig, ich habe mich etwas länger unterhalten mit dem Drehbuchautor, dem Hauptdrehbuchautor, der auch der Regisseur ist, Hassan Fatthi, das ist ein Mann, der sicherlich nicht den Holocaust leugnet, sondern dass ist jemand, der in erster Linie eine historische Geschichte erzählen wollte, der ist bekannt hier im Iran dafür, dass er solche historischen Serien macht und ist damit extrem erfolgreich. Ich habe lange mit ihm geredet und er hat keinen Zweifel am Holocaust, aber wo dann so ein bisschen die Trennungslinie ist, ist dann die, dass jemand wie er, um eine solche Serie ins Fernsehen zu bekommen, man eben einfach auch Zugeständnisse machen muss an die staatliche Linie. Das ist staatliches Fernsehen, da sitzen halt Leute, die für die Politik dieses Landes verantwortlich sind und über deren Tisch muss das gehen.

Man muss noch dazu sagen, angefangen hat er mit der ganzen Geschichte vor fünf Jahren, damals hieß der Präsident noch Khatami das war ein Reformer, der für den Ausgleich der Kulturen eingetreten ist und der kein Holocaustleugner war, als dann Ahmadinedschad an die Macht kam, da drohte die Serie zu kippen, nun kippt man auch im iranischen Fernsehen nicht eine teuer produzierte Serie mit 30 Teilen so einfach, aber es gab heftige Diskussionen darum.

In Gesprächen hält der sich darum natürlich sehr zurück, das will er nicht so zugeben, weil das eventuell das Ende seiner Karriere bedeuten würde. Aber ich würde nicht behaupten, dass ein Holocaustleugner diese Serie inszeniert und gedreht und sich ausgedacht haben, sondern es sind Leute, die vielleicht einiges oder mit Sicherheit einiges historisch falsch verstehen, aber eigentlich die besten Absichten haben.

Grote: Sie haben vorhin gesagt, die Serie ist sehr, sehr erfolgreich. Ist denn das Interesse am Schicksal der Juden so groß unter Iranern oder die Serie einfach wirklich gut gemacht?

Ebbing: Die Serie ist in erster Linie gut gemacht, also da sind berühmte und bekannte Schauspieler hier im Iran, Iraner haben grundsätzlich immer an solchen, vor allen Dingen sehr melodramatischen und dramatischen Liebesgeschichten ein großes, großes Interesse. Frauen schauen das furchtbar gerne. Hinzu kommt noch, dass das Ganze auch so einen nationalistischen Unterton hat. Es wird von der Vergangenheit, von der großen Vergangenheit mehrfach erzählt. Ältere Leute sehen gern die alten historischen Aufnahmen, erinnern sich an ihre Jugend, solche Dinge, das sind die wichtigsten Elemente in dieser Serie, aber der Holocaustteil stößt auf großes Interesse und ist etwas, was die Leute neugierig gemacht hat. Sie sehen nicht die Serie deshalb, sondern das ist sozusagen noch ein Zusatz, der die Serie noch interessanter macht.

Grote: Im iranischen, staatlich kontrollierten TV läuft eine Serie über die Judenverfolgung im II. Weltkrieg, Deutschlandradio Kultur im Gespräch dazu mit unserem Korrespondenten in Teheran Martin Ebbing.