Hörspiel

Überzeugender Kampflärm

Von Vanja Budde · 07.02.2014
Yasmina Rezas erfolgreiches Theaterstück "Der Gott des Gemetzels" zeigt, wie schnell wir Zivilisierten die Fassung verlieren können. Jetzt erscheint das Stück als Hörspiel. Die Stimmen der Schauspieler schaffen es, die Konflikte fühlbar zu machen.
Am Anfang ist alles noch ganz harmlos: Zwei Elternpaare treffen sich nach einem handfesten Streit ihrer Söhne. Höflich lobt man gegenseitig Blumen und Einrichtung und versucht, sich friedlich zu einigen. Doch schnell kippt die Stimmung.
"Die sind jung. Das sind Jungs. Schon immer haben sich Jungs in der großen Pause gegenseitig vertrimmt. Das ist ein Gesetz des Lebens."
"Nein."
"Aber sicher."
"Nein."
"Es braucht eine gewisse Lehrzeit, um Gewalt durch Recht ersetzen zu können. Ursprünglich, vergessen Sie das nicht, ursprünglich herrschte das Recht des Stärkeren."
"Ja, bei den Neandertalern vielleicht, nicht bei uns."
Lust an der Hysterie
In Polanskis Film hatte Jodie Foster die Mutter des Opfers gespielt, eine verklemmte Nervensäge und ein Möchtegern-Gutmensch. Diese Veronique trieft vor moralischer Überlegenheit, schreibt als sozialkritische Autorin über Bürgerkriege in Afrika und sammelt Kunstbücher. Im Hörbuch übernimmt nun Ulrike Krumbiegel diese Rolle, mit hörbarer Lust an der Hysterie.
"Mein Sohn hat zwei Zähne verloren, zwei Vorderzähne!"
"Ja, ja, wir haben es kapiert."
"Einen davon für immer!"
"Er kriegt neue, wir lassen ihm neue einsetzen, bessere."
Für ihr Gegenüber, die Mutter des Stock schwingenden Übeltäters, konnte Corinna Harfouch gewonnen werden. Sie ist großartig als Annette, eine Vermögensberaterin von zunächst kühler Unnahbarkeit, die zunehmend die Contenance verliert. Die ständigen Handy-Telefonate ihres Mannes legen bei Annette eine Wut frei, die schon lange unter der gelackten Oberfläche brodelt.
"Das ist die Hölle."
"Von morgens bis abends hängt der an seinem Handy."
"Unser Leben wird zerhackt von diesem Handy."
"Annette, das ist sehr wichtig!"
"Ja, es ist immer sehr wichtig."
Waltz im Film ist der bessere Alain
Sylvester Groth spricht Annettes Mann, einen Wirtschaftsanwalt, der neben dem Nachbarschaftsdrama auch noch einen Pharmaskandal abzubiegen sucht. Er spielt wacker den Zyniker, kann es mit Oscar-Preisträger Christoph Waltz aber nicht aufnehmen, der in Polanskis Film diese Rolle mit aalglatter Boshaftigkeit verkörperte.
Anwalt Alain: "Veronique, ich glaube an den Gott des Gemetzels. Das ist der einzige Gott, der seit Anbeginn der Zeit uneingeschränkt herrscht. Sie interessieren sich doch für Afrika, nicht wahr?" - Zu Annette: "Sag mal, geht’s dir nicht gut?"
Annette würgend: "Kümmer dich nicht um mich."
Was in Roman Polanksis Film die Kamera übernahm, die in den vielen Nahaufnahmen dieses Kammerspiels jede Regung der außer Rand und Band geratenen Figuren beobachtete, schaffen im Hörspiel allein die Stimmen: Sie machen ihn fühlbar, den in scharf geschliffenen Dialogen immer wieder aufflammenden Konflikt um Stockhiebe, ausgesetzte Hamster, Kindererziehung und politische Ansichten. Bis die angespannten Nerven reißen.
"Hol eine Schüssel. Hol eine Schüssel. Also du hättest aufs Klo gehen sollen, Wauwau, das ist doch absurd."
"Stimmt."
"Ihr Anzug hat ganz schön was abbekommen."
"Das sind die Nerven, ganz klar die Nerven."
"Wollen Sie sich im Bad sauber machen? Ach du lieber Himmel! Der Kokoschka, oh Gott!"
"Wo ist das Bad?"
"Ich zeig‘s Ihnen."
"Das sind die Nerven. Das ist ein nervöser Anfall. Sie sind ein Muttertier, Annette, ob Sie wollen oder nicht. Ich verstehe, dass sie sich sorgt.“
"Auf meine Bücher, das ist doch krank!" (...) "Ekelhaft!"
Frauen dominieren das Hörspiel
Gleichzeitig schaurig und zum Schreien komisch ist es mit anzuhören, wie die bürgerliche Fassade unter wechselseitigen Schuldzuweisungen zerbröckelt. Wie brüchig der Zusammenhalt der Ehepaare ist, wie schnell die Fronten und die Lager immer wieder wechseln, wie der Partner verraten und lächerlich gemacht wird vor den fremden Leuten.
"Halt den Mund! Halt den Mund! Ich hasse diese erbärmliche Anbiederung. Du widerst mich an!"
"Ein bisschen Humor, wenn ich bitten darf."
"Ich habe keinen Humor und will auch keinen haben."
"Ich sage immer: Die Ehe ist die schlimmste Prüfung, die Gott uns auferlegt."
"Perfekt."
"Die Ehe und das Familienleben."
Die beiden so verschiedenen Frauen dominieren das Hörspiel, vor allem, als ihre Auseinandersetzung körperlich wird. Kunstbücher und Aktienmärkte sind vergessen, Handtaschen fliegen, Blumensträuße werden zerfetzt.
Veronique: "Verschwinden Sie, ich kann Sie nicht mehr sehen, raus!"
Annette: "Meine Handtasche - oh nein! Verteidige mich! Warum verteidigst du mich nicht?" (…) So, so und so! Und das mach ich mit ihren Scheißblumen, das mach ich mit Ihren grässlichen Tulpen!"
Als das Gemetzel vorbei ist, stehen die beiden Paare vor den Trümmerhaufen ihres Selbstbildes, ihrer Beziehungen, ihrer Gefühle. Als zerrupfte Neandertaler lässt der Hörer sie nach einer knappen Stunde zurück.
"Wir kommen in ihr Haus, um diese Sache zu klären und dann werden wir beschimpft und angegriffen, mit Predigten über globalen Bürgersinn traktiert. Ferdinand hatte völlig recht, Ihren Sohn zu schlagen und mit Ihren Menschenrechten wische ich mir den Arsch ab!"

Yasmina Reza: Der Gott des Gemetzels
Hörspiel Mit Corinna Harfouch, Udo Wachtveitl, Sylvester Groth, Ulrike Krumbiegel
Der Audio Verlag 2014
1 CD. 56 Minuten, 12,99 Euro

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