Hörspiel "Kinder Adams"

So wie ich bin, so bin ich genug

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Carl Schulz, Adam und Eva, Kopien nach dem Genter Altar, um 1825/62, Berlin © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Christoph Schmidt
Von Andreas Schäfer · 20.07.2015
Er gilt als einer der Gründerväter der amerikanischen Dichtung: Walt Whitman. In "Kinder Adams" feiert er den männlichen und den weiblichen Körper in all seiner Sinnlichkeit. Aus den Texten entstand nun ein prominent besetztes zweisprachiges Hörspiel.
Birgit Minichmayr: "Wir zwei. Wie lange waren töricht wir. Verwandelt jetzt, entschlüpfen wir. Entschlüpfen, wie die Natur."
Die weibliche Stimme erkennt man vielleicht: Es ist die bekannte Schauspielerin Birgit Minichmayr, auf die männliche würde man eher nicht auf Anhieb kommen, zumindest nicht, wenn es um Gedichte von Walt Whitman geht. Das tiefe, leicht verkaute Amerikanisch stammt von der sogenannten Rock-Legende Iggy Pop, dem Godfather of Punk, der trotz seines fortgeschrittenen Alters noch immer ausschließlich mit freiem Oberkörper auftritt.
Der Hörspielautor und Regisseur Kai Grehn hat sich darauf spezialisiert, große Texte der Weltliteratur von Schauspiel- oder anderen Stimmgrößen zweisprachig einzurichten. So hat er vor einem Jahr Texte von Marguerite Duras in einem Hörspiel arrangiert und dafür die großartige Jean Moreau gewonnen. Jetzt bat er den Sänger Iggy Pop, Gedichte aus Walt Whitmanns "Leaves of Grass" - zu Deutsch "Grashalme" - zu lesen, und das Ergebnis ist nicht weniger großartig.
Präzise und nuancengenaue Stimmen
Auf den zweiten Blick ist diese Kombination sogar naheliegend: Denn sowohl Withman als auch Iggy Popp geht es um Entgrenzung, um das Lob der Intensität und die immer wieder neue Entdeckung der inneren Freiheit. 1855 brachte Walt Whitman die erste Ausgabe der "Leaves of Grass" heraus, über vier Jahrzehnte hat er an diesem Gesang "vom Selbst" geschrieben und ihn immer wieder angereichert. "Children of Adam" nennt sich der Abschnitt, der besonders die Sinnlichkeit des Körpers thematisiert. Iggy Popp schafft es, mit seiner tiefen, breiten Stimme und ihrem zurückhaltendem Michigan-Einschlag das ruhig Fließende und zugleich das Aufschäumende und Vorwärtsdränge der Gedichte kongenial in Atem, Klang und Worte zu fassen.
Auf einer CD liest Iggy Popp den kompletten Gedichtzyklus, auf der zweiten, der Hörspiel-CD, wechseln sich englische Passagen mit Lesungen deutscher Schauspieler ab, die ebenfalls sehr eigenwillige Stimmen haben und von Kai Grehn präzise und nuancengenau geführt werden:
Josef Ostendorf: "Eine neue ungeahnte Ungezwungenheit, im Besten der Natur zu finden, den Knebel aus dem Mund zu ziehen, zu spüren, heute oder später hin: so wie ich bin, so bin ich genug."
Geräusche öffnen und leeren den Kopf
Josef Ostendorf, Marianne Sägebrecht, Lars Rudolf, Martin Wuttke oder Alexander Fehling geben dem Whitmanschen Staunen mal eine kindliche fragende, mal kauzig schneidende oder eine ganz nüchterne Note:
Alexander Fehling: "Im neuen Garten, in allen Gegenden, in Städten neuzeitlich, wandle ich."
Es mag naheliegend sein, die Gedichte eines Bandes, der "Grashalme" heißt, mit dem Geräusch des durch Schilf streichenden Windes zu kombinieren, aber wenn es wirkt? Auch die spartanischen Gitarrenzupfer, die schattenhaften Westernklänge oder das elektronische Knistern und Hintergrundpockern von Alva Noto und Tarwater passen.
Die Geräusche öffnen den Raum und leeren den Kopf, um Platz für die Stille zu schaffen, aus der diese wunderbaren Gedichte wie kreatürliche Gewächse hervorzuwachsen scheinen.
Martin Wuttke: "Nur seines gleichen versteht seines gleichen und der gleichen wie sie selbst. Genauso wie Seelen Seelen nur verstehen."

Walt Whitman: Kinder Adams/Children of Adam
Aus dem Amerikanischen von Kai Grehn
Hörspiel von Kai Grehn. Mit Iggy Pop, Birgit Minichmayr, Alexander Fehling, u.v.a.
Hörbuch Hamburg, Hamburg 2014
2 CDs. 110 Minuten Laufzeit. 14,99 Euro

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