Hörspiel

Das Glück der Leere

Die französische Schriftstellerin Marguerite Duras am Schreibtisch, hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1984
Die französische Schriftstellerin Marguerite Duras © dpa / picture alliance / AFP Platiau
Von Andreas Schäfer · 18.04.2014
Die französische Autorin Marguerite Duras gilt als Meisterin des suggestiven Tons. Im Hörspiel "Das ist alles. C'est tout", das auf ihren Texten basiert, reflektiert sie über Einsamkeit, junge Liebhaber und die Frage nach der Wahrheit in der Literatur.
"Ein Schriftsteller, das ist etwas Merkwürdiges. Das ist ein Widerspruch und auch ein Unsinn. Schreiben heißt auch: nicht zu sprechen. Heißt: zu schweigen. Heißt: lautlos zu schreien. Ein Schriftsteller ist oft erholsam. Er hört viel zu. Weil es unmöglich ist, über ein Buch zu sprechen, das man geschrieben hat. Und erst recht über ein Buch, das man gerade schreibt."
Vielleicht ist es unmöglich über Bücher zu sprechen, die man geschrieben hat oder gerade schreibt. Aber es natürlich nicht unmöglich, über das Schreiben zu sprechen.
"Das Geschriebene kommt wie der Wind. Es ist nackt. Es ist Tinte."
Willkommen in der Welt von Marguerite Duras, der großen französischen Schriftstellerin. Aber was heißt schon Welt? Und was sind Namen?
"Was würden sie sagen, über sich?" - "Ich weiß nicht mehr so recht, wer ich bin. Ich bin bei meinem Geliebten. Den Namen weiß ich nicht, das ist nicht wichtig."
"Das ist alles. C'est tout" von Kai Grehn nach späten Texten der Duras ist ein wunderbares Hörspiel. Obwohl es so wenig erzählt. Gerade weil es so wenig konkrete Handlung gibt. Begrenzt von den zurückhaltenden Klängen der Band Mariahilf, öffnet es einen Raum der Widersprüche, in dem Außen und Innen, Realität und Vorstellung untrennbar ineinander übergehen, und darauf kommt es bei Hörspiel ja wohl vor allem an.
"Ich ging einkaufen, ich ging ins Café, aber gleichzeitig war ich hier. Das Dorf und das Haus - das ist das Gleiche. Und der Tisch vor dem Weiher. Und die schwarze Tinte. Und das weiße Papier. Das ist das Gleiche."
Ein 40 Jahre jüngerer Student als Geliebter
Marguerite Duras oder eine Figur, die sich so nennt, sitzt in ihrem Haus in der Normandie. Sie schreibt, sie trinkt, sie denkt an ihre letzte große Liebe, den 40 Jahre jüngeren Philosophiestudenten Yann Andrea Steiner, und versucht sich auf alles einen Reim zu machen: Auf Steiner und die unzähligen Liebhaber vor ihm, auf das Schreiben, auf sich selbst. Aber es gelingt nicht.
"Was würden Sie über sich sagen?" - "Duras." - "Was würden sie über mich sagen?" - "Rätselhaft."
Es soll auch nicht gelingen. Denn das Nicht-auf-den-Punkt-Kommen, das vorsichtige Tasten von einem zum nächsten Paradox ist die Methode, um so etwas wie "das Glück der Leere" herzustellen, die süße, äußerst ansteckende Melancholie, die sich aus der Fremdheit zu sich selbst ergibt – aus der, praktischer Nebeneffekt, das Schreiben des nächsten Buches erwächst.
"Glück, das heißt, ich bin ein bisschen Tod, ein bisschen abwesend von dem Ort, an dem ich spreche."
Die Liebe, das Schreiben, die Einsamkeit, der Alkohol. Solche Exerzitien sind – zugegeben – nicht jedermanns Geschmack. Bei der großartigen Schauspielerin Mechthild Großmann, der deutschen Stimme von Duras, werden sie zu existentiellen Fragen, die uns alle angehen. Großmanns rauchige, tonnenweite Stimme treibt den selbstreferentiellen Schleifen den Ansatz jeglichen Kitsches aus, und ihre Lakonie sorgt an einigen Stellen sogar für den Hauch ironischer Distanz.
"Jedes Buch hat wie jeder Schriftsteller, eine schwierige, nicht zu umgehende Stelle, und er muss sich entschließen, diesen Fehler im Buch zu lassen, damit es ein wahres, nicht gelogenes Buch bleibt. Was nachher aus der Einsamkeit wird, weiß ich noch nicht. Ich kann noch nicht darüber sprechen ..."
Biografische Bezüge im Hintergrund
Marguerite Duras abenteuerliche Kindheit in Vietnam, ihr späteres Wirken in der Resistance, die Verschleppung ihres Mannes Robert Antelme ins KZ Dachau und das ewige Rätsel, ob sie eine Affäre mit einem Deutschen Besatzer hatte: all diese Fragen spielen keine Rolle. Es gibt trotzdem einen direkten biografischen Bezug. Kai Grehn hat Jeanne Moreau für die Lesung kurzer französischer Passagen gewonnen, und Jeanne Moreau war eng mit Marguerite Duras befreundet und verkörperte sie sogar in den Film "Cet amour-là", der von ihrer letzten Liebe zu eben jenem Yann Andrea Steiner erzählt.
Man hat Marguerite Duras vorgeworfen, sich vor allem zum Ende in ihre eigenen Legenden eingesponnen zu haben. Etwas von dieser Selbstverrätselung ist auch in diesem Hörbuch zu spüren. Doch wenn sie in solch suggestivem Ton und mit diesem poetischem Mehrwert in Szene gesetzt wird, lässt man sie sich gern gefallen.
"Es gibt das Buch, das meinen Tod verlangt." - "Wer ist der Autor?" - "Ich. Duras."
Kai Grehn: Das ist alles. C'est tout. Hörspiel nach Texten von Marguerite Duras.
Aus dem Französischen von Andrea Spingler. Mit Jeanne Moreau, Mechthild Großmann, Alexander Fehling und der Band Mariahilf. Hörbuch Hamburg . 1 CD. 54 Minuten