Hörbuch

Generation Maybe

Flugzeug im Abflug vom Frankfurter Flughafen, im Hintergrund die Skyline.
Der Protagonist ist Philosophiestudent - im Kopf immer unterwegs: Es geht um Philosophie und auch um Fußball. © dpa / Arne Dedert
Von Andi Hörmann  · 29.07.2014
Anfang 2014 erschien bei Suhrkamp das Debüt von Heinz Helle: "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin". Jetzt gibt es auch das Hörbuch zum Roman, gelesen von Schauspieler Franz Dinda: ein Kurz-Pass-Spiel der Sätze.
"Beim Schreiben liest man das ja immer, immer wieder. Und man merkt erst, ob ein Satz stimmt, wenn er auch beim laut lesen gut klingt."
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"Wir küssen uns nur noch flüchtig auf den Mund oder nicht mal mehr auf den Mund. Auf die Wange, die Stirn oder gar nicht. Wir umarmen uns weniger fest, weniger lang, lassen uns los - einer früher als der andere ..."
"Ich habe versucht, eine treibende Sprache zu finden. Eine Sprache, wo jeder Satz den nächsten bedingt und wo man idealerweise durchgetragen wird. Auch wenn man sich zunächst nicht für Bewusstsein interessiert, oder den Protagonisten unsympathisch findet."
Langsam, ruhig und etwas schüchtern betritt Heinz Helle in hellbrauner Lederjacke und Vollbart die Bühne. Sein Buch in der einen, eine kleine Flasche Bier in der anderen Hand. Heinz Helle liest in München. Etwa 200 Leute sitzen im Publikum. Er nippt am Bier, setzt ab. Stille, erster Satz:
"Über allem der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin ..."
Mit dem Buchtitel steigt Heinz Helle in die Geschichte ein: irritierend und unlogisch, holprig und provokant. "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin": ein lauter Titel für einen ruhigen Text. In der Sprachmusik wird es dann eins, Form und Inhalt dieses philosophischen Entwicklungsromans.
"Vielleicht werden sie eines Tages herausfinden, was es bedeutet, hier zu sein und das zu sehen und das dabei zu empfinden. Was es bedeutet ich zu sein. Sie werden ein bestimmtes Neuronenmuster entdecken ..."
Die Geschichte einer scheiternden Liebe
Das gedankliche Durchdringen der emotionalen Unwegsamkeiten des Alltags - das ist das Motiv in "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin". Heinz Helle erzählt die Geschichte einer scheiternden Liebe: Der Protagonist ist Philosophiestudent, der für ein Semester in New York ist, um einen Vortrag über das Bewusstsein zu halten. Und natürlich rumort es in seinem eigenen Bewusstsein: das permanente Hinterfragen des Lebens, das Streben nach Selbstoptimierung, der Entscheidungsdruck der Generation Maybe.
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"Denk doch bitte nur ein einziges mal nur einen Gedanken. Nimm ihn und halte ihn verdammt noch mal fest. Ich konzentriere mich und es klappt. Und in genau dem Moment als sie zum letzten mal durch meine Tür geht und sich noch einmal kurz umdreht, denke ich nur und nichts weiter als: Packungsbeilage. Und ich merke sofort, dass das falsch ist ..."
Das Hörbuch zu Heinz Helles Debütroman "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin" liest nicht der Autor selbst, sondern der Schauspieler Franz Dinda - 160 Roman-Seiten, ungekürzt vorgetragen in dreieinhalb Stunden.
Heinz Helle: "Ich lese sehr monoton, bei mir ist der Rhythmus wichtiger. Und Franz Dinda hat noch viel mehr auf die Melodie geachtet. Daraus entstand dann auch wieder ein anderer Rhythmus - zum Teil größere Pausen zwischen den Sätzen. Und durch diese Pausen haben dann wieder einzelne kleine Sätze, die in meiner Wahrnehmung eher Halbsätze oder Ergänzungen waren, die haben auf einmal eine Eigenständigkeit bekommen und ein Gewicht, das mich überrascht hat."
Ein eindringliches Kammerspiel
Der Text-Rhythmus des Autors und die Sprach-Melodie des Lesers - im ernsten, fast schon etwas unterkühlten Tonfall von Franz Dinda werden sie auf dem Hörbuch zu einem eindringlichen Kammerspiel: Es klingt nach Resignation angesichts der Realität, nach der Unmöglichkeit einer romantischen Liebe. Die Text-Komposition findet ihr Finale in einem versöhnlichen inneren Monolog - auf dem Spielfeld, im kurzen Pass-Spiel der Sätze:
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"Wir schauen Fußball. Sie ist auch dabei. Wir schauen Fußball und sie ist auch dabei, denn das Wir, das Fußball schaut, ist ein anderes als sie und ich. Wir sind hauptsächlich Männer. Wir schauen Fußball und sie ist auch dabei und die Männer, die mit mir schauen, sind verschieden groß, alt und mir unterschiedlich nah. Und sie kennen mich länger und anders und besser, als sie mich je kennen wird. Aber dieses Kennen und dieses gekannt werden haben keinerlei Konsequenzen außer der einen einzigen, die wir immer gezogen haben, dass wir jetzt da sind, alle zusammen. Wie wir es immer waren. Aber irgendwann werden wir doch alle allein sein, denke ich. Und dann wird da niemand mehr sein, außer ihr."

Heinz Helle: "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin"
Hörbuch Hamburg, Hamburg 2014
203 Minuten, 19,99 Euro

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