Hörbuch

Folterstunde im Internat

Der österreichische Schriftsteller Robert Musil in einer undatierten Aufnahme.
Der österreichische Schriftsteller Robert Musil in einer undatierten Aufnahme. © dpa / picture alliance / Ullstein
Von Michael Opitz · 02.05.2014
Der Roman "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" über die totalitären Strukturen einer vermeintlich christlichen Gesellschaft zählt zu den bekanntesten Werken des Autors Robert Musil. Nun ist das Buch in einer gestrafften Hörfassung erschienen.
"'Was gibt es heute zum Abendessen?'
'Ich weiß nicht.'
'Was für Gegenstände haben wir morgen?'
'Mathematik, Religion.'
'Religion? Das wird wieder etwas werden ... Ich glaube, wenn ich so recht am Zug bin, könnte ich geradesogut beweisen, dass zwei mal zwei fünf ist, wie dass es nur einen Gott geben kann ... '"
Stefan Konarske als Kadett Törleß und Manuel Rubey als sein Kommilitone Beineberg kommen in Musils "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" nicht zufällig auf zwei Unterrichtsfächer zu sprechen, in denen verschiedene Prinzipien des Weltverstehens gelehrt werden. Die Mathematik vertraut der Ratio, wenn sie bei der Lösungssuche auf die Anwendung von Formeln zurückgreift. Die christliche Religion fordert Mitleid mit dem Nächsten, eine Haltung, der die zukünftigen Offiziere Törleß, Beineberg und Reiting nichts abgewinnen können; sie ist ihnen zu unpräzise. Warum die Kadetten aber Lust empfinden, wenn sie Basini Schmerzen zufügen und ihn erniedrigen, können sie sich mit diesem Rüstzeug kaum erklären.
Lust an Schmerz und Erniedrigung
"'Du, hast Du das vorhin verstanden, die Geschichte mit den imaginären Zahlen?'
'Ja, das ist doch gar nicht so schwer. (...) Es ist so, wie wenn man sagen würde: hier saß sonst immer jemand, stellen wir ihm also auch heute einen Stuhl hin; und selbst, wenn er inzwischen gestorben wäre, so tun wir doch, als ob er käme.'"
Fast will es scheinen, als würden die Kadetten von ihrem Kommilitonen Basini reden. Doch über ihn müssen sie kein Wort mehr verlieren, in seinem Fall sind sie sich einig. Mit dem Urteil, Basini sei eines Diebstahls schuldig, entziehen sie ihm den Stuhl und verweisen ihn des Tisches, und nun, da er nicht mehr zu ihnen gehört, dürfen sie ihn foltern.
"Abermals trat eine kurze, kaum wägbare Stille ein; dann sagte Basini leise, in einem Atem und mit möglichst harmloser Betonung: 'Ich bin ein Dieb.'
'Das war ein guter Einfall von dir, Kleiner, und jetzt wird er sofort noch sagen: Ich bin ein Tier, ein diebisches Tier, euer diebisches, schweinisches Tier!'"
Die anfangs zurückhaltend, fast schüchtern auftretenden Zöglinge entwickeln sich im Verlaufe des Handlungsgeschehens. Sie klingen bald schneidiger, zynischer und je mehr sie spüren, welche Macht sie über Basini haben, auch herrischer. An der Seite von Beineberg und Reiting wird auch Törleß ein anderer.
Der Erzähler als Zeuge des Unrechts
Michael Rotschopf, der als Erzähler durch das Handlungsgeschehen führt, scheint fast staunend zu beobachten, was sich unmittelbar vor seinen Augen abspielt. Das von Iris Drögekamp als Kammerspiel inszenierte Hörstück überzeugt in der Umsetzung, weil man den Eindruck gewinnt, der Erzähler würde als Zeuge das Unrecht geschehen lassen, es nur beobachten und ebenso wenig wie Törleß in die scheinbar unabänderlich ihren Lauf nehmenden Vorgänge eingreifen. Als Chronist berichtet er nahezu teilnahmslos von einem Einzelfall. Aber als Hörer weiß man, dass dieser und noch viel unfassbarere Fälle in der Geschichte der Menschheit Schule gemacht haben.
"'Du musst mir helfen! Nur du kannst es tun! Ich halte es nicht mehr länger aus, wie sie mich quälen. Alles Frühere habe ich ertragen ... jetzt aber werden sie mich totschlagen!'
Törleß war es unangenehm, hierauf eine Antwort zu geben. Endlich sagte er: 'Ich kann dir nicht helfen; du selbst bist an allem schuld, was mit dir geschieht.' (...)
Basini fühlte, Törleß war kalt, ein anderer.'"
Iris Drögekamp hält sich in ihrer faszinierenden Hörspielfassung von Musils "Törleß" an den Originaltext. Das trägt ebenso zum Gelingen des Hörspiels bei wie die Entscheidung, den Text zu kürzen, um die Handlung zu straffen. Das Unheilvolle des Geschehens wird durch die Musik von Michael Riessler für Streicher und Trompeten verstärkt. Sie dient nicht zur Untermalung, sondern scheint vielmehr der ruhigen Erzählerstimme zu widersprechen. So wird in dieser auf Geräusche weitgehend verzichtenden, die Romanvorlage überzeugend umsetzenden Inszenierung zusätzlich Spannung aufgebaut.
Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
Hörspiel in der Regie von Iris Drögekamp
Der Audio Verlag, Berlin 2014
2CDs, 167 Minuten, 16,99 Euro
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