Hoeneß-Comeback

Über die "zweite Chance"

Ex-Präsident des Fußballvereins FC Bayern Uli Hoeneß
Sollte er eine "zweite Chance" erhalten? - Ex-Präsident des FC Bayern Uli Hoeneß © dpa
Von Arnd Pollmann · 14.08.2016
Das Hoeneß-Comeback sorgt für Empörung. Der Ex-Präsident des Fußballvereins FC Bayern München will offenbar genau da weiter machen, wo er seinerzeit aufgehört hat. Hat er eine zweite Chance verdient? Gönnen wir den Missetätern eine Art Probezeit?
Der Humanismus der "zweiten Chance" scheint auf einem zutiefst christlichen Gedanken zu beruhen, und so verwundert es kaum, dass dieses Prinzip im katholischen Bayern so gut verfängt: Wir sind alle kleine Sünder! Gott ist gnädig und barmherzig. Und daher sollten wir Menschen auch untereinander nicht allzu kleinlich auf unsere Fehltritte pochen: Ehebruch ist menschlich, das Plagiieren einer Doktorarbeit eine lässliche Sünde, Steuerhinterziehung ein Kavaliersdelikt. Gönnen wir den Missetätern darum eine Art Probezeit!

Negation der Negation

Nun, nicht jeder Mensch scheint eine zweite Chance verdient zu haben. In Gegenwart von Massenmördern, Pädophilen oder sadistischen Hundehaltern stößt das Pathos der Probezeit rasch an Grenzen. Aber natürlich ist das Prinzip der zweiten Chance humanistisch. Selbst wenn einmal ein Fehlverhalten bestraft werden muss, darf diese Strafe doch nicht einer lebenslangen Verdammnis gleichkommen. Vielmehr dient das Strafen selbst als eine Art Reinwaschung und läuft so auf das hinaus, was der Philosoph Hegel einst als "Negation der Negation" bezeichnet hat: Der Missetäter hat das Recht verneint, und diese Negation muss nun ihrerseits durch Strafe negiert werden. Mathematisch ausgedrückt: Ein doppeltes Minus ergibt Plus. Der dialektisch bestrafte Täter wird so, wie Hegel sagt, als ein "Vernünftiges geehrt" und als verlorenes Schaf zur Herde zurückgeführt.

Warum darf Strafe sein?

Ein Wort zur Strafe allgemein: Wenn der Staat straft, so ist diese Strafe als ein zweites Übel zu verstehen, mit dem ein erstes Übel ausgeglichen werden soll, um ein drittes Übel zu verhindern. In diese Begriffsbestimmung sind zwei - klassischerweise konkurrierende - Strafzwecke eingelassen: Das Prinzip der "Vergeltung" besagt, dass der Täter sein Gewicht in die Waagschale der Justitia geworfen hat und dieses Ungleichgewicht austariert werden muss. Das Prinzip der "Prävention" hingegen fordert, dass die Strafe abschreckend sein soll. Beide Strafzwecke sind umstritten: Eine Vergeltung um der Vergeltung willen "riecht" nach Rache. Das Abschreckungsgebot instrumentalisiert den Täter und macht aus ihm, wie Kant sagt, ein "bloßes Mittel" für fremde Zwecke.
Eine moderne Philosophie der Strafe verzahnt beide Strafzwecke ineinander: Die Vergeltung soll auf Seiten des Täters rückwirkend Einsicht und Reue ermöglichen. Und eben diese Reue ist es, die präventiv zu wirken vermag, indem sie den einsichtigen Täter wieder sozial kompatibel macht, das heißt "resozialisiert".

Bayerische Dialektik

Allerdings bedeutet "einsichtsvolle Reue" gerade nicht: zu bereuen, dass man im Gefängnis sitzt, wo die Zellen klein und die Mahlzeiten unerquicklich sind. Und damit sind wir bei der Causa Hoeneß angelangt. Als sich der FC Bayern-Präsident vor gut zwei Jahren in die Haft verabschiedete, rief er seinen jubelnden Fans zu: "Das war es noch nicht". Nun will oder soll Hoeneß offenbar genau da weiter machen, wo er seinerzeit aufgehört hat. Abgesehen davon, dass sich hier eine bizarre Vereinskultur offenbart: Das lässt doch sehr daran zweifeln, ob sich der Delinquent in der recht kurzen Haft tatsächlich gebessert hat.
Mit eben diesem Besserungsanspruch steht und fällt aber das Prinzip der zweiten Chance. Niemand hat - im engeren Sinn - ein Recht auf diese zweite Chance. Eine zweite Chance muss man sich aktiv verdienen; und zwar nicht dadurch, dass man passiv seine Strafe absitzt. Man bekommt diese zweite Chance auch nicht, um denselben Fehler gleich noch einmal machen zu dürfen. Und überhaupt: Warum eigentlich nur eine zweite und keine dritte oder vierte Chance?
Weitere Wiederholungsversuche erübrigen sich deshalb, weil bereits die zweite Chance eine bedingte Chance ist. Das Sünden- oder Vorstrafenregister wird nicht vollständig gelöscht. Auch in dieser Hinsicht erweist sich das Pathos der Probezeit als ambivalent: Es kommt als das hehre Versprechen eines Neuanfangs daher, ist in Wahrheit aber zumeist auch als das Versprechen zu verstehen, dass diese zweite Chance definitiv die letzte sein wird.