Hoeneß

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Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß ist im Steuerprozess vor der 5. Strafkammer des Landgerichts München II für schuldig befunden und zu drei Jahren und sechs Monaten Haftstrafe verurteilt worden.
Uli Hoeneß muss für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. © picture alliance / dpa / Foto: alltime media / Marc Müller
Reinhard Merkel im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 14.03.2014
Wird Uli Hoeneß hinter Gittern wie ein ganz normaler Häftling behandelt? Der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel verrät, was jetzt auf den Ex-Bayern-Boss zukommt, warum Hoeneß nicht resozialisiert werden muss - und weshalb das Urteil gegen ihn zu hart ist.
Liane von Billerbeck: Uli Hoeneß geht ins Gefängnis. In einer persönlichen Erklärung hat er heute bekannt gegeben, seine dreieinhalbjährige Haftstrafe wegen Hinterziehung zu akzeptieren und auch auf die Revision zu verzichten. Zugleich hat er seine Ämter niedergelegt als Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des FC Bayern München.
Nächstes Kapitel: Strafvollzug. Und zum Ziel des deutschen Strafvollzugs, da gehört die Resozialisierung. Was aber heißt das im Fall Hoeneß, wie ist die Strafe zu beurteilen? Darüber will ich jetzt mit Reinhard Merkel sprechen, er ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg und zudem Mitglied im Deutschen Ethikrat. Herr Merkel, ich grüße Sie!
Reinhard Merkel: Grüße Sie!
von Billerbeck: Die Bedingungen im Strafvollzug, die sind – so habe ich es gelesen – bundeseinheitlich durch das Strafvollzugsgesetz geregelt. Wird Hoeneß also um Anstaltskleidung, Anstaltsessen, Besuchszeiten nicht herumkommen, wie kann man sich seine Haft vorstellen?
Merkel: Ja, da wird er zunächst einmal nicht herumkommen, man muss sich das auch bei Uli Hoeneß im ganz normalen Schema, in dem das generell gehandhabt wird, vorstellen. Natürlich, das muss auch so sein. Das ist nicht irgendeine bizarre gestreifte Anstaltskleidung, aber es ist eine Anstaltskleidung, die wird ihm zugeteilt werden. Er wird sich auch daran gewöhnen müssen, morgens, ich glaube, um sechs Uhr werden die Häftlinge geweckt, und um zehn Uhr abends in seine Zelle eingeschlossen zu werden, alles das wird im ganz normalen Modus zunächst einmal stattfinden bei ihm.
von Billerbeck: Trotzdem ist er ja ein Prominenter, auch im Knast wird er ein Prominenter bleiben. Und man weiß ja, dass Anstaltsleiter da immer über einen, sagen wir mal, Ermessensspielraum oder Beurteilungsspielraum verfügen. Wie steht es darum?
Merkel: Ja, einen solchen Beurteilungsspielraum gibt es natürlich in vielerlei Hinsicht, das räumt das Gesetz ein. Generell läuft die Geschichte so, dass zunächst einmal eine sogenannte Behandlungsuntersuchung vorgenommen wird, die Persönlichkeit des Häftlings sozusagen erschlossen werden soll. Auf der Grundlage des Ergebnisses dieser Untersuchung wird ein Vollzugsplan erstellt.
von Billerbeck: Was steht da drin?
Merkel: Da wird über allerlei entschieden. Also etwa, ob der Häftling im geschlossenen oder im offenen Vollzug untergebracht wird. Und Hoeneß wird ganz sicher im offenen Vollzug untergebracht, das soll auch so gemacht werden, wenn keine gewichtigen Gründe dagegen sprechen. Dann werden ein paar formale Äußerlichkeiten geregelt, in welche Wohngruppe, oder ob er in eine Wohngruppe zugewiesen wird oder ob er eine Einzelzelle kriegt, dann die Arbeitsbedingungen, er wird auch verpflichtet sein, in der Haftanstalt zunächst einmal zu arbeiten. Und wichtig für ihn: Die möglichen Lockerungen des Vollzugs werden im Vollzugsplan festgelegt. Also, ab wann etwa er damit rechnen kann, in den offenen Vollzug zu kommen und tagsüber die Anstalt verlassen zu können.
von Billerbeck: Irgendwie ist das schon irre: Da hat man gerade dreieinhalb Jahre Haft kassiert und Sekunden nach dem Urteil wurde gleich über den offenen Vollzug spekuliert. Das ist ein merkwürdiger Gegensatz, oder?
Merkel: Das kann man so empfinden. Aber um ehrlich zu sein: Das Primärziel – Sie haben es vorhin erwähnt – des Strafvollzugs in Deutschland ist die Resozialisierung. Und, um das mal ganz deutlich zu sagen: Von irgendeiner sinnvollen Strategie der Resozialisierung im Fall Uli Hoeneß kann man gar nicht reden. Er ist nicht entsozialisiert. Wohl hat er Steuern hinterzogen und viele Leute nennen so was asozial, aber in seiner Lebensführung ist er nicht im Mindesten entsozialisiert. Er wird auch die Tat oder eine vergleichbare Tat in seinem Leben nicht wieder begehen.
Jurist Reinhard Merkel, Mitglied im Deutschen Ethikrat
Jurist Reinhard Merkel, Mitglied im Deutschen Ethikrat© dpa / Hermann Wöstmann
Das einzige Ziel oder die einzige verbleibende Funktion, die die Strafe hier hat und damit auch deren Vollzug, ist die symbolische Wiederherstellung der gebrochenen Norm, wenn man das mal ein bisschen technisch formulieren will. Natürlich muss auch jemand, der nicht resozialisierungsbedürftig ist, dafür – salopp formuliert – bezahlen, dass er die Normgeltung ignoriert und den Normbefehl gebrochen hat, und so ist das bei Hoeneß.
Aber all die aufwendigen Dinge, die sonst zu klären sind im Strafvollzug, fallen hier weg: Ist der geeignet für den offenen Vollzug? Was müssen wir tun, um ihn besonders zu behandeln? Muss er irgendeine Berufsausbildung oder sonstige Förderung kriegen? Alles das ist gegenstandslos bei Hoeneß.
von Billerbeck: Der ist ja schon Wurstfabrikant, der braucht ja keine Ausbildung mehr!
Merkel: Klar. Aber er wird tatsächlich irgendeine Arbeit angeboten kriegen dort und man kann ihm wünschen, dass es eine halbwegs sinnvolle ist. Ich bin aber ziemlich sicher, dass er nach wenigen Monaten spätestens in den offenen Vollzug kommt, und ich halte das auch für richtig.
von Billerbeck: Nun gibt es ja viele Diskussionen darüber, ob die Strafe, die er bekommen hat, dreieinhalb Jahre, ob das viel oder ob das wenig ist, ob er durch die öffentliche Bloßstellung nicht schon genug geschädigt ist durch den Verlust seiner Ämter beim FC Bayern et cetera pp. Wie schätzen Sie das ein als Strafrechtler, Herr Professor Merkel?
Merkel: Jedenfalls ist der Umstand, dass er jenseits der Kriminalstrafe einen schweren sozialen Schaden und einen biografischen Schaden erlitten hat, also eine sozusagen soziale Strafe auferlegt bekommt von der Gesellschaft – und das ist ein tiefer Fall, den Uli Hoeneß da durchzustehen hat –, das jedenfalls sollte bei der Frage, ob die verhängte Kriminalstrafe angemessen ist, mit berücksichtigt werden. Ich glaube auch, dass das Gericht das durchaus mindestens intuitiv mit berücksichtigt hat. Wenn man das als Hintergrund nimmt und sich fragt, ob die dreieinhalb Jahre angemessen sind, dann ist meine Antwort: Sie sind ein bisschen zu streng, aus verschiedenen Gründen, die in der öffentlichen Diskussion nicht wirklich richtig zur Sprache kommen.
von Billerbeck: Welche?
Merkel: Generell wird gesagt, der Steuerhinterzieher ist ein Betrüger. Und zwar sozusagen nicht nur am deutschen Staat, sondern auch an seinen Mitbürgern, und das muss mindestens so bestraft werden wie ein Betrug, der etwa dieselbe Schadenssumme verursachen würde. Aber das ist falsch, in verschiedener Hinsicht: Der Betrüger, der konkret einen Mitbürger schädigt – stellen Sie sich mal, um ein Klischeebild zu verwenden, den Trickbetrüger vor, der eine alte Dame um ihre gesamten 10.000 Euro Ersparnisse bringt –, der schädigt jemanden weitaus gewichtiger und begeht ein größeres Betrugsunrecht als Uli Hoeneß, der 28 Millionen Steuern hinterzogen hat. Das muss man so sehen.
von Billerbeck: Aber das Argument, was gegen Ihres spricht, lautet ja immer: Was hätte der Staat, dem das Geld ja gefehlt hat, davon alles tun können? Er hätte soundso viel Lehrerstellen einrichten können, soundso viel Kitaplätze et cetera!
Merkel: Na ja, das ist natürlich ein Argument, das jemandem dann schnell in den Sinn kommt, es ist aber tatsächlich verfehlt. Nicht eine einzige Stelle in der Krankenpflege, bei den Lehrern oder den Kindertagesstätten wäre von den hinterzogenen Steuermillionen des Uli Hoeneß geschaffen worden. Der Staat jongliert mit ganz anderen Summen, verplant die auch in viel größeren, kollektiven Dimensionen. Um die 28 Millionen, die Uli Hoeneß hinterzogen hat, auch nur fühlbar zu machen, die sind nirgendwo auch nur zu spüren! Wenn man also sagt, er hat einen Betrug begangen, dann muss man sich das Opfer angucken, das ist der Staat. Selbstverständlich ist das staatliche Vermögen von diesen Rechtsnormen, Strafrechtsnormen geschützt und dieses Opfer wird nicht einmal fühlbar, geschweige denn irgendwie substanziell berechenbar getroffen.
Das eigentliche Unrecht der Steuerhinterziehung besteht in etwas anderem als einem Vermögensunrecht, das der Hinterzieher anrichtet. Es besteht darin, dass er eine fundamentale Norm der Gerechtigkeit verletzt. Die anderen Bürger bezahlen ihre Steuer. Um das knapp und salopp zu formulieren: Der Steuerhinterzieher ist ein Schwarzfahrer der Gerechtigkeit, ein Trittbrettfahrer auf dem guten, rechtstreuen Willen all der Bürger, die ihre Steuern bezahlen. Der Staat muss finanziert werden, auch Uli Hoeneß profitiert von dem funktionierenden Staat. Und wenn er sich da ausklinkt, schädigt er diesen Staat zwar nicht fühlbar, aber er verletzt die Norm der Fairness, er wird zum Schwarzfahrer sozusagen der Moral. Und dafür hat der Staat sehr wohl gute Gründe, das mit dem Strafrecht zu unterbinden.
Aber man muss das genau in den Blick nehmen, um das Gewicht des konkreten Unrechts bestimmen zu können. Es ist vielleicht ganz interessant, dass vor 100 Jahren, als der Staat auch über Steuern zu finanzieren war, die Steuerhinterziehung keine Straftat war, sondern als Ordnungswidrigkeit gewertet wurde. Dahin wollen wir heute nicht mehr zurückkehren und in solchen Dimensionen des Hinterziehens wäre das auch unangemessen, aber man muss das ganz genau in den Blick nehmen, was eigentlich genau das konkrete Unrecht ist, um beurteilen zu können, wie die angemessene Strafe auszusehen hat. Ich meine, die für Hoeneß ist ein bisschen hoch.
von Billerbeck: Die Einschätzungen des Strafrechtlers und Rechtshistorikers Reinhard Merkel von der Uni Hamburg über die Causa Hoeneß. Ich danke Ihnen schön für das Gespräch!
Merkel: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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