Hölle Kinderheim

15.02.2006
Wer in den ersten 20 Jahren nach Kriegsende allzu aufsässig war, landete schnell im Heim. Und erlebte dort, vor allem in den kirchlichen, die wahre Hölle: Prügel, Folter und Demütigungen waren an der Tagesordnung. Die Opfer leiden noch heute darunter, sagt der Journalist Peter Wensierski.
Wer in den ersten 20 Jahren nach Kriegsende die erwartete Stromlinienförmigkeit nicht zu 100 Prozent erfüllte, der landete oft aus nichtigen Gründen im Heim. Sagt Peter Wensierski, Dokumentarfilmer, Spiegel-Redakteur und Buchautor. Gerade ist von ihm "Schläge im Namen des Herren. Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in Deutschland" erschienen. Darin hat er acht exemplarische Schicksale von ehemaligen Heimkindern zusammengetragen. Darunter den Fall von Gisela Nurthen, die als 15-Jährige beim Tanzen die Zeit vergessen hatte und 24 Stunden später im katholischen Vincenz-Heim in Dortmund landete. Dort wurden Mädchen in Zellen eingesperrt, wenn sie ein Lied von Elvis Presley gesungen hatten.

Peter Wensierski sagte im Deutschlandradio Kultur, dass in der Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren strenge Moralvorstellungen galten. Jugendliche, die sich mehr Freiheit wünschten, etwa einem amerikanischen Lebensstil nacheiferten, wurden hart bestraft oder ins Heim gesteckt:

"Uneheliche Kinder galten, gerade bei den katholischen Nonnen, als Kinder der Sünde und wurden auch so behandelt. Das hatte System und hatte auch mit dem Menschenbild zu tun, das die katholische Kirche damals sehr stark noch verbreitet hatte auch großen Einfluss in der Gesellschaft hatte. Diesen 'Kindern der Sünde' wurde vor allem geholfen, indem sie arbeiten sollten. Im Dortmunder Vinzenz-Heim wurde von den Mädchen vor allen Dingen Wäsche gewaschen und gebügelt unter Absingen von Marien-Liedern, Schweigen, Gehen durch die Gänge in Kolonne schweigend. Es war ein Leben über Jahre, das sie noch bis heute belastet hat."

Die Opfer dieser rigiden Erziehungsmaßnahmen sind erniedrigt und gedemütigt worden, so Wensierski, sie sind "seelisch und körperlich krank geworden, haben Angst, schämen sich, auch vor ihren Kindern und Partnern."

Es sei ein Kartell von Eltern, Lehrern und Vormundschaftsgerichten gewesen, die bestimmten, wie die Jugendlichen zu sein hatten. Die Gedemütigten in den Heimen waren weniger Waisen, als oftmals uneheliche Kinder, vor allem Mädchen, auffällige Mädchen, die anders leben wollten.

"Man hat sehr leichtfertig die Heimlösung gesucht", sagte Wensierski. Bis heute fehle es an einer Entschuldigung seitens der Kirche und des Staates bei den Opfern.

In diesem Zusammenhang sprach sich Wensierski auch vehement gegen Forderungen von Seiten der Union aus, verhaltensauffällige Jugendliche vermehrt wegzusperren oder härtere Strafen einzuführen. "Wohin das führt, was das mit Menschen macht, kann man in meinem Buch nachlesen", so Wensierski. " Hinter verschlossenen Mauern wird auch heute misshandelt und gedemütigt."

Sie können das Gespräch mit Peter Wensierski für begrenzte Zeit in unserem AOD-Player hören.