Höhenflüge und Abstürze

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Britta Bürger · 29.12.2008
Der Kunstkritiker Stefan Koldehoff zieht eine positive Bilanz aus dem Kunstjahr 2008. Die Museen hätten sich auf ihre Aufgabe als lokale oder regionale Institute besonnen und zunächst aus ihren eigenen Sammlungen sehr schöne Ausstellungen entwickelt. Auf dem Kunstmarkt habe die Bankenkrise dazu beigetragen, dass nicht mehr die Mittelware, sondern nur noch absolute Spitzenqualität tatsächlich auch Spitzenpreise erzielen konnte.
Britta Bürger: Höhenflüge und Abstürze, Tops und Flops, das Kunstjahr 2008 war voller Überraschungen. Kunstkritiker Stefan Koldehoff hat die Entwicklungen verfolgt. Ich grüße Sie, Herr Koldehoff!

Stefan Koldehoff: Guten Tag!

Bürger: Was hat Sie im Kunstjahr 2008 stärker beschäftigt, die wahre Kunst, geschrieben mit "h", oder die Ware Kunst, geschrieben ohne "h"?

Koldehoff: Glücklicherweise im zurückliegenden Jahr eigentlich eher die wahre mit "h", also die echte Kunst. Das liegt, glaube ich, zum Teil daran, dass der Kunstmarkt in diesem Jahr nicht besonders stark gewesen ist, zum anderen aber auch daran, dass die Museen in Deutschland sich endlich wieder darauf besonnen haben, was sie denn eigentlich sind: nämlich lokale oder regionale Institute, die zunächst einmal mit ihrer eigenen Sammlung arbeiten sollten und daraus schöne Ausstellungen entwickeln sollten - also nicht so der Blick auf die großen Blockbuster "Wir müssen bundesweit oder gar international ausstrahlen". Und das hat dazu geführt, dass ich einige sehr schöne Ausstellungen gesehen habe.

Bürger: Was waren Ihre persönlichen Highlights?

Koldehoff: Ich habe gesehen Mark Rothko in der Hypo-Kunsthalle in München, eine sehr konventionell arrangierte Schau, die einfach chronologisch das Werk von Mark Rothko präsentiert hat vor dezent grauen Wänden - also fast langweilig präsentiert, wenn man sich anschaut, was andere Museen so machen, um Showeffekte zu erzielen. Aber gerade das war die Stärke dieser Ausstellung, da konnten nämlich diese fantastischen großen Farbfeldbilder von Mark Rothko richtig wirken. Ich hatte noch das Glück, an einem Tag dort zu sein, an dem relativ wenig los war, so dass ich diese Bilder auf mich wirken lassen konnte. Das war fantastisch.

Eine zweite Ausstellung, die man nennen müsste: Gerhard Richters "Übermalte Fotografien" im Schloss Morsbroich in Leverkusen. Man glaubt ja, von Richter hätte man schon alles gesehen, vor allen Dingen die riesigen Bilder, die fotorealistischen, leicht unscharf überrakelten. Diese übermalten Fotos, die eigentlich so ein bisschen für ihn der Katalysator sind zu schauen, was in der Malerei und in der Fotografie eigentlich im Jahr 2008 noch möglich ist, die sind noch nie im Überblick gezeigt worden. Und dass das jetzt endlich geschehen ist, das war schon fast eine Offenbarung.

Bürger: Dennoch sind Gerhard Richter und Mark Rothko so etwas wie gute, alte Bekannte. Gab es inhaltlich vielleicht auch wichtige neue Tendenzen in der Kunst?

Koldehoff: Ich habe wenig bemerkt in diesem Jahr. Ich hatte schon das Gefühl, dass man noch so ein bisschen auf Nummer sicher ging, auf die gesicherten Werte. Ich habe natürlich auch Ausstellungen in Galerien gesehen, wunderbare junge Künstler, die sicherlich noch drei, vier, fünf Jahre brauchen werden, bis sie dann auch in einer großen Museumsausstellung landen. Marcel Gähler zum Beispiel, ein junger Schweizer, der hervorragende Bleistiftzeichnungen, die wie Fotografien aussehen, unscharfe Fotografien, macht.

Aber den großen Trend habe ich nicht erkannt. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die großen orientierungsgebenden Ereignisse, etwa eine Documenta oder die Biennale in Venedig, ja in diesem Jahr nicht stattgefunden haben.

Bürger: Gab es auch Flops, Ausstellungen, die Sie wirklich enttäuscht haben?

Koldehoff: Ja, und das waren interessanterweise Ausstellungen, bei denen ich so das Gefühl hatte, da schielt man nach dem ganz großen Publikum und nach dem ganz großen Effekt auch, ohne tatsächlich inhaltliche Kraft dahinter zu haben. Das eine war eine Ausstellung - oder ist eine Ausstellung, denn sie läuft noch in der Neuen Nationalgallerie in Berlin - , die Skulpturen von Jeff Koons, die sich zum einen meiner Meinung nach überlebt haben, ein Phänomen der 80er- und 90er-Jahre waren und heute keine Wirkung mehr entfalten können.

Sie sind dann aber oben im oberen Foyer des Mies-van-der-Rohe-Baues am Potsdamer Platz auch noch sehr lieblos hingeklatscht worden zum Teil, auf alberne Podeste gestellt wurden, also das hat mich überhaupt nicht überzeugt. Das andere ist eine Ausstellung im Museum Kunstpalast in Düsseldorf, "Diana und Akteon" heißt sie, gibt vor, die Kulturgeschichte des Aktbildes durchdeklinieren zu wollen. Tatsächlich ist es mehr eine auf Effekt bedachte, gynäkologische Leistungsschau geworden.

Bürger: Vom Abschied des Generaldirektors der Staatlichen Museen zu Berlin Peter-Klaus Schuster bis hin zur Kür der neuen Documenta-Chefin Carolyn Christof-Barkargiev - von welchen Personalentscheidungen, die in diesem Jahr gefallen sind, erwarten Sie denn interessante neue Impulse für die kommenden Jahre?

Koldehoff: Es gab ja eine ganze Reihe Personalentscheidungen, merkwürdigerweise erst in den allerletzten Wochen und fast Tagen des Jahres, beispielsweise die Berufung eines neuen Intendanten für die Bundeskunsthalle in Bonn, von der Bundesrepublik betrieben, ohne eigene Sammlung, also nur aufs Ausstellungsgeschäft angewiesen.

Robert Fleck ist es geworden, der bislang die Deichtorhallen in Hamburg geleitet hat, meiner Meinung nach ganz hervorragend geleitet hat. Von ihm erhoffe und erwarte ich eigentlich, dass er die Bundeskunsthalle auch zurück zur Kunst bringt, denn in den vergangenen Jahren - es gab dort einen Personalskandal um falsche oder angeblich falsche Abrechnungen, der auch juristisch immer noch nicht geklärt ist -, in den letzten Jahren fanden deswegen überwiegend kulturhistorische, archäologische Ausstellungen statt. Auch die sehr, sehr gut, aber man hat ein bisschen aus dem Blick verloren, dass diese fantastisch hohen Räume in der Bonner Bundeskunsthalle auch sehr, sehr gut geeignet sind für große Formate, für Malerei, die man sonst in der Form kaum irgendwo zeigen kann.

Und auch mit der zweiten Ausstellung beziehungsweise mit der zweiten Hoffnung, da dürfen Sie mir jetzt bitte keinen Lokalpatriotismus unterstellen, bleibe ich in Nordrhein-Westfalen. Marion Ackermann, früher am Kunstmuseum in Stuttgart gewesen, übernimmt die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, ein Haus, das 20, 30 Jahre davon lebt, dass es eine hervorragende, wirklich erstklassige Sammlung hat, die man fast mit der des MoMa vergleichen kann.

Man hat aber in den letzten Jahren ein bisschen wenig daraus gemacht. Man hat sich ein wenig auf den Lorbeeren dieses fantastischen Eigenbestandes ausgeruht. Und da hoffe ich auch, dass Marion Ackermann, eine junge, sehr patente, sehr kluge Frau, da ein bisschen Wind reinbringt.

Bürger: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton zieht Bilanz im Gespräch mit dem Kunstkritiker Stefan Koldehoff. Lassen Sie uns auch über die Kunst als Ware sprechen, über Höhenflüge am Kunstmarkt. Was waren die spektakulärsten Auktionen, die teuersten Verkäufe des Jahres 2008?

Koldehoff: Die teuersten 20 Werke sind erstaunlicherweise zu einem ganz, ganz großen Teil Bilder aus der Nachkriegskunst. Es sind alleine vier Triptychen von Francis Bacon drunter, die zu Preisen verkauft wurden zwischen 25 Millionen und 77 Millionen Dollar, ganz enorm. Es sind Bilder von Mark Rothko darunter, über den wir schon gesprochen haben, von Fernand Liger, Nachkriegsbilder von Lucien Freud, Andy Warhol, also die Klassiker der Nachkriegskunst.

Dazwischen gestreut immer wieder auch Impressionisten, ein teures Seerosenbild von Claude Monet, da gibt es so gut wie nichts mehr am Markt, das für 70 Millionen Dollar verkauft wurde, eine fantastische impressionistische Brücke, ebenfalls von Monet, ein ganz seltener Edward Munch, ein Vampirbild, das bei Sotheby's in New York einen Preis von immerhin 60 Millionen erzielt hat.

Also, es ist eigentlich so die klassische Mischung aus Impressionismus und Gegenwartskunst, und man hat schon das Gefühl, dass da der Versuch unternommen wird bei einzelnen Sammlern - denn Museen können sich solche Preise natürlich überhaupt nicht mehr leisten -, das eigene Portfolio zu vervollständigen, solange das noch geht.

Bürger: Welche Rolle spielen im Geschäft mit der Kunst, mit Kunst als Ware überhaupt noch die Superreichen, die sich Kunst als Prestigeobjekt kaufen?

Koldehoff: Ich glaube, dass es die sind, die überhaupt im Moment kaufen. Diese Preise, die ich gerade genannt habe, 77 Millionen, 60 Millionen - das sind Bilder, die in aller Regel tatsächlich an die gehen, von denen man vermutet, dass sie sich es leisten können. Dieses teuerste Triptychon von Francis Bacon, das ging an Herrn Abramovic in Moskau, dessen Freundin gerade dabei ist, ein Privatmuseum mit angeschlossener Galerie zu eröffnen.

Man hat vor allen Dingen bei den Herbstauktionen, als die Bankenkrise in den Vereinigten Staaten schon voll durchschlug, gemerkt, dass die Mittelware - also die Bilder so um zwei, drei, vier Millionen Dollar, was immer noch enorm viel Geld ist -, dass die von der Qualität her die Sammler nicht mehr überzeugen, sondern dass nur noch absolute Spitzenqualität tatsächlich auch Spitzenpreise erzielen kann.

Bürger: Der Brite Damien Hirst, der hat ja das Treiben am Kunstmarkt selbst zum Thema seiner Kunst gemacht. Und er hat in diesem Herbst seine Werke an den Galeristen vorbei auf eigene Faust bei Sotheby's versteigern lassen. Er hat dabei auch Rekordsummen erzielt und zwar just in dem Moment, als die US-Bank Lehman Brothers zusammengebrochen ist. Welche Lektion hat der Kunstmarkt 2008 hinnehmen müssen?

Koldehoff: Zum einen, dass nach wie vor die Regel gilt: Wenn die Kunst einigermaßen gut ist oder zumindest einigermaßen gut promotet wird - und da ist Damien Hirst ja nun tatsächlich ein Meister - , dann funktionieren solche Experimente noch. Das war ja schon tollkühn, 223 Werke eigens auf diese Auktion hin, das waren ja nicht Sachen, die er am Lager hatte, sondern eigens auf diese Auktion hin zu malen und dann in einem auf den Markt zu werfen.

Da hätte auch der Markt für Damien Hirst ganz schnell zusammenbrechen können, zumal ja die Galeristen von Hirst selbst auf dieser Auktion kaufen mussten und nicht von ihm andere Werke bekamen. Es hat funktioniert, 120 Millionen sind damals zusammengekommen. Also, anything goes kann man nach wie vor sagen. Es gibt keine Blase, die geplatzt wäre in diesem Jahr, es gibt eine Differenzierung.

Und das Zweite ist: Der Kunstmarkt hat in den vergangenen Jahren immer davon gelebt, dass es Garantien an die Einlieferer gab. Denen wurde also gesagt, ihr kriegt 30 Millionen von uns, egal ob das Bild verkauft wird oder nicht. Wenn es nicht verkauft wird, dann steigen wir ein, dann übernehmen wir diesen Preis. Damit haben Gott sei Dank die Auktionshäuser in den letzten Monaten durch die Bankenkrise aufhören müssen, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Und dadurch, glaube ich, wird der Kunstmarkt auch wieder ein bisschen ehrlicher werden.

Bürger: Mittlerweile hat auch Damien Hirst Mitarbeiter entlassen müssen. In Anlehnung an die Ghostwriter könnte man ja sagen, er hat seine Ghostpainter entlassen. Ist das eigentlich auch so ein neuer, boomender Markt, ein neuer Trend, dass immer mehr Künstler malen lassen?

Koldehoff: Ich glaube, das hat es immer schon gegeben. Rembrandt hatte ein großes Atelier mit ganz vielen Schülern, die spezialisiert waren auf Halskrausen, auf Augen mit Lichtreflexen, auf Hände. Er hat dann zum Schluss das fertige Werk signiert. Bei Andy Warhol ist es nicht anders gewesen, der hat auch die ganze Factory vollgehabt mit Assistenten, die für ihn gemalt haben. Bei Damien Hirst ist es so, bei Jeff Koons ist es so, der hat 70 Angestellte. Nein, da muss man sich ganz klar machen, dass die Kunst nicht mehr das Werk genialischer Einzeltäter ist, sondern dass da eine Art Industrie dahintersteckt.

Bürger: Der Kunstkritiker Stefan Koldehoff mit einer Bilanz des Kunstjahres 2008. Herr Koldehoff, was war die letzte gute Ausstellung, die Sie in diesem Jahr gesehen haben oder bis Sylvester noch sehen werden?

Koldehoff: Das waren Bilder, die mir meine Kinder zu Weihnachten geschenkt haben und die jetzt bei uns in der Küche hängen.

Bürger: Was ist da drauf?

Koldehoff: Da sind zum einen Drachen drauf, die mein Sohn hervorragend malen kann, da sind Blumenbilder von meiner Tochter dabei, und der kleine Sohn hat sich auf Eulen spezialisiert.

Bürger: Guten Rutsch, Herr Koldehoff, und danke für das Gespräch.

Koldehoff: Danke, Ihnen auch.