Höfken: Strukturen der Lebensmittelproduktion ändern

Ulrike Höfken im Gespräch mit André Hatting · 05.01.2011
Die stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ulrike Höfken (Bündnis 90/Die Grünen), wirft der Bundesregierung vor, mit ihrer Agrarpolitik genau die Produktionsformen zu befördern, die zu dem neuen Dioxinskandal bei Futtermitteln geführt hätten.
André Hatting: Lebensmittelskandale haben in Deutschland Tradition – das war eine Übersicht von Dieter Nürnberger. Tja, und immer versprechen uns die Politiker bessere Kontrollen – bis zum nächsten Skandal. Am Telefon ist jetzt Ulrike Höfken, die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen ist stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung und Verbraucherschutz. Guten Morgen, Frau Höfken!

Ulrike Höfken: Guten Morgen!

Hatting: Will oder kann man uns nicht ausreichend schützen?

Höfken: Na ja, man muss schon sagen, das Problem liegt in der ganzen Struktur der agroindustriellen Erzeugung, und diese Bundesregierung setzt sehr massiv auf die weitere Entwicklung hin zur agroindustriellen Erzeugung, also der Massenproduktion. Insofern kann man sagen, da liegt schon ein politischer Wille dahinter, und man muss sich natürlich auch fragen: Wenn so ein Betrieb in Schleswig-Holstein, Harles und Jentzsch, nun jahrelang diese Fette eingesetzt hat, technische Fette, dioxinverseuchte, um Futtermittel zu produzieren, dann muss man sich auch fragen: Was ist mit der staatlichen Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung, die überhaupt nichts von diesem Problem gemerkt hat? Und das ist natürlich auch aus Verbrauchersicht äußerst ernst zu nehmen. Dioxine gehören in Lebensmittel nicht rein.

Hatting: Aber wenn der Geschäftsführer dieses Futtermittelherstellers ja zugibt, er habe das nicht gewusst, dass möglicherweise Dioxin in diesen Fetten vorhanden ist – wie hätte man ihn besser kontrollieren können? Vor Ort?

Höfken: Nun, das wird ein Gericht wahrscheinlich zu klären haben, aber ich sage mal, das ist schon ziemlich unglaubwürdig. Wenn einer hingeht, jahrelang günstige technische Fette kauft und die dann in Futtermitteln einsetzt – das ist von der Logik her nicht nachvollziehbar. Und natürlich hätte die Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle das aufdecken müssen, denn die Grenzwerte … Das hat ja NRW … die haben ja sehr schnell gehandelt und kontrolliert, die haben ja die Grenzwertüberschreitungen bei Dioxin in Eiern, aber auch im Fleisch festgestellt. Im Übrigen sind ja nicht nur Eier betroffen, sondern inzwischen auch Schweinebetriebe genauso wie Milchviehbetriebe und Rindermastbetriebe – in Klammern, die einem übrigens meistens leidtun können, denn die sind auch ganz schön in der Bredouille –, aber hier liegt in der ganzen Struktur der Futtermittelproduktion und Fleischproduktion liegt der Kern des Problems.

Hatting: Wieso wissen wir eigentlich bis heute immer noch nicht, welche Produkte genau betroffen sind? Es gibt immer noch keine Listen, die man einsehen kann.

Höfken: Also politisch, muss man sagen, gibt es ja verschiedene Handlungsebenen. Erst mal muss in den Bundesländern, die dafür zuständig sind – das ist übrigens auch ein Problem der föderalen Strukturen –, da muss die Futtermittel- und Lebens- und Veterinärkontrolle deutlich gestärkt werden. Man kann nicht weiter nur auf die Eigenkontrolle setzen der Wirtschaft, die einerseits damit überfordert ist, und andererseits natürlich auch gilt einfach der Grundsatz: Eigenkontrolle enthebt den Staat nicht von der Pflicht der Untersuchung. Das Zweite ist die Bundesebene. Wir haben ja wie gesagt, das haben wir ja gerade bei Ihnen gehört, nicht den ersten Skandal, sondern eine ganze lange Latte der Futtermittelverseuchungen, weil damit eben das schnelle Geld zu machen ist. Und da muss man auch sagen: Hier gibt es Möglichkeiten, diesen ganzen Bereich – so wie das auch damals passiert ist, als die Trocknung sich rausstellte als ein Problem –, … hier kann man national handeln und diese ganzen fettliefernden Betriebe einer viel besseren Zulassungsbestimmung unterziehen. Also da muss kontrolliert werden, wer darf diese Fette liefern, da muss getrennt werden zwischen denen, die technische Fette liefern und Futtermittel liefern, und da muss auch verlangt werden, dass es Standarduntersuchungen auf Dioxine gibt. Dann kann man diesem Bereich beikommen, ja, und das letzte, was Sie gerade auch angesprochen haben: das Verbraucherinformationsgesetz. NRW konnte ja die Namen nicht nennen, die haben die Chargen veröffentlicht, aber das ist eben laut Verbraucherinformationsgesetz nicht möglich, also muss hier was getan werden, damit die Verbraucher schnellstens informiert sind.

Hatting: Sie haben vorhin gesagt, das sei politisch auch gewollt insofern, als die billige Produktion von Eiern oder Geflügelfleisch in diesem Fall gefördert werde. Sie haben die Agroindustrie angesprochen, aber das ganze Problem von Lebensmittelskandalen, das beschränkt sich ja nicht auf die aktuelle Regierung. Also 2002 hatten wir Antibiotikarückstände im Geflügelfleisch, wir fanden Unkrautvernichtungsmittel, Nitrophen im Getreide. Das war meines Wissens in der Regierung, in der auch die Grünen beteiligt waren.

Höfken: Ja. Wir haben ja auch das Ganze, die ganze Veterinärgesetzgebung geändert mit unglaublichem Widerstand, die jetzt schon wieder unterhöhlt wird. Jetzt übrigens diskutiert die Bundesregierung auch die Wiederzulassung des Tiermehls, ich sage mal nur, Hinweis BSE, öffnet diesen Bereich wieder für mafiöse und kriminelle Eingriffe. Die Struktur muss geändert werden. Ich habe nicht gesagt, dass das leicht ist, aber ich glaube, die Verbraucher haben zu Recht die Nase voll von dieser pervertierten Art der Produktion. Wir diskutieren im Bundestag, in vielen Städten auch, in Ländern über einen Veggie Day, das heißt, einen Tag, an dem kein Fleisch gegessen wird, und ich denke, das ist eine Form des Protestes gegen diese Art, ja, von Fleischerzeugung, die zulasten von Umwelt, Gesundheit und vielen anderen Aspekten geht.

Hatting: Frau Höfken, Sie haben eine Verbesserung der Kontrollen angesprochen, aber beim Ekelfleischskandal in Bayern vor drei Jahren, als Schlachtabfälle als Frischware umdeklariert worden sind, da haben die Kontrollen versagt. Sind die Behörden überfordert?

Höfken: Die, also zum Beispiel in Rheinland-Pfalz sind die Lebensmittelkontrolleure derartig schwach aufgestellt, dass sie einfach dieses Pensum an Kontrollen nicht schaffen können. Das ist in anderen Bundesländern ganz genauso, und es muss einfach hier eine personelle Verstärkung kommen, es muss hier eine Verbesserung der technischen Standards kommen, und es muss auch Geld in die Hand genommen werden, um solche Untersuchungen auf Dioxine auch zu bezahlen oder übrigens auch Pestizide, das nächste Problem. Die kosten etwas. So eine Untersuchung kostet 500 bis 1000 Euro, aber sie ist natürlich nötig, und gerade die Konzentration auf die Problembereiche wie jetzt zum Beispiel bei diesen Fettbetrieben, die ist da nötig. Und das kann man machen, da muss man eben auch wirklich konsequent auf Qualität setzen und auch Abstand nehmen von dieser dauernden Unterstützung der Massenerzeugung und des Billigproduktes.

Hatting: Wir werden sehen, wie es jetzt weitergeht. Ulrike Höfken war das, die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen ist stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung und Verbraucherschutz. Frau Höfken, ich danke für das Gespräch!

Höfken: Ja, vielen Dank auch!
Mehr zum Thema