Hochschulverband: Doktoranden stärker in den Universitätsbetrieb einbinden

Ulrich Schollwöck im Gespräch mit Marietta Schwarz · 07.02.2013
Es sei ein deutsches Spezifikum, dass relativ viele Promotionen "sehr schwach betreut stattfinden", klagt Ulrich Schollwöck, Vizepräsident des Deutschen Hochschulverbandes. Problematisch sei auch die hohe Zahl externer Promotionen, die keinen Bezug zum betreuenden Lehrstuhl hätten.
Marietta Schwarz: Ein nachlässiger Umgang mit fremdem Wissen ist in Zeiten des Internets und der Schwarmintelligenz kaum noch verzeihlich, mehrere Politiker kostete dies bereits den Titel, unter ihnen zwei Minister, und im jüngsten Fall Schavan dies, obwohl die Promotion bereits über 30 Jahre zurücklag.

Doch auch für die Hochschulen steht ein Ruf auf dem Spiel, immerhin deckt eine Software, eine anonyme Quelle, auf, was Doktorväter, die sich mit der Materie beschäftigt haben, übersahen. Man könnte also frech folgern, dass es für den deutschen Wissenschaftsbetrieb aus Selbstschutz unter dem Entzug der Doktortitel gar nicht geht. Aber was läuft da eigentlich falsch an den Universitäten?

Ulrich Schollwöck ist am Telefon, Vizepräsident des deutschen Hochschulverbandes. Guten Morgen, Herr Schollwöck!

Ulrich Schollwöck: Guten Morgen nach Berlin!

Schwarz: Wie viele Plagiatsfälle können sich die Universitäten eigentlich noch leisten, Herr Schollwöck?

Schollwöck: Na, ich denke mal, zunächst so wenig wie möglich. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir natürlich bei in Deutschland doch vielen Zehntausenden von Promotionen jedes Jahr und der allgemeinen menschlichen Tendenz zum Schummeln immer damit rechnen müssen, dass einzelne schwarze Schafe uns durch die Lappen gehen. Das wird man nie ausschließen können, es ist natürlich in jedem Einzelfall ziemlich bedrückend.

Schwarz: Aber das muss doch Hochschullehrer beschäftigen, dass eine anonyme Quelle, ein No-one, eine Ministerin möglicherweise zu Fall bringt.

Schollwöck: Ja, natürlich – Sie können davon ausgehen, dass das in den letzten Tagen, Wochen und Monaten ein zentrales Gesprächsthema sozusagen im kleinen Kreis, beim Mittagessen, wo auch immer, gewesen ist. Die Frage, wieso man das jetzt erst aufdecken konnte, hat natürlich damit zu tun, dass, wie Sie auch schon angesprochen haben, der Fall Schavan schon über 30 Jahre letztlich zurück liegt. Und zu diesem Zeitpunkt war es natürlich sicher nicht möglich, Plagiate in dieser Form aufzudecken, denn alle diese technischen Möglichkeiten gab es noch nicht.

Und auch heute werden Sie immer noch in Schwierigkeiten geraten, wenn – wie schon geschehen – zum Beispiel Doktoranden einfach eine Doktorarbeit aus einer wenig bekannten fremden Sprache ins Deutsche übersetzen. Das wird Ihnen auch die Software nicht so schnell finden.

Schwarz: Aber es besteht doch die Gefahr, dass Doktorarbeiten, die verliehen werden, an Wertschätzung verlieren. Was kann man denn tun, außer Ministern den Titel abzuerkennen?

Schollwöck: Ich denke, am wichtigsten ist – und das ist halt doch ein relativ deutsches Spezifikum, denn aus der Begutachtungstätigkeit im In- und Ausland weiß ich, dass die Qualitätsmaßstäbe an sich extrem ähnlich wenn nicht sogar identisch sind.

Aber ein deutsches Spezifikum ist, dass wir immer noch relativ viele Promotionen haben, die nur sehr schwach betreut stattfinden. Also zum Beispiel in den Naturwissenschaften ist die typische Situation eher die, dass ein Doktorand drei Jahre an einem Lehrstuhl arbeitet, eingebunden in den normalen Forschungsbetrieb, den Alltag des Lehrstuhls. Da weiß man nach drei Jahren schon extrem genau, was der eigentlich gemacht hat, er hängt ja im normalen Verbund drin.

Was wir aber auch haben, sind die sogenannten externen Promotionen, wo Kandidaten von außen kommen und nur einen sehr, sehr schwachen Bezug zu dem Lehrstuhl, der sie betreut, haben, und in solchen Situationen wird es natürlich wie immer wesentlich schwieriger sein. Also insofern würde ich als allererste Maßnahme versuchen, diese sogenannten externen Promotionen so weit wie möglich zurückzufahren. Das würde …

Schwarz: Aber an wem liegt das? Liegt das an dem Doktorvater, der die Betreuung auf die leichte Schulter nimmt?

Schollwöck: Na ja, zunächst mal ist ja eine Promotion eine eigenständige wissenschaftliche Leistung und nicht eine angeleitete wissenschaftliche Leistung, wie es zum Beispiel bei einer Master-, Magister-, Diplomarbeit der Fall wäre. Insofern hat der Doktorand immer wesentlich stärkeren Freiraum und kann im Prinzip sagen, hier ist eine Arbeit, die habe ich angefertigt, im schlimmsten Fall auch in Anführungszeichen "ohne irgendeinen Doktorvater". Das Recht kann man ihm im Prinzip bis jetzt nicht nehmen.

Schwarz: Sie meinen also, jeder, der eine Promotion schreibt, sollte auch integriert sein in den Hochschulbetrieb, in Lehre und Forschung?

Schollwöck: Absolut. Ich würde sagen, das erscheint mir deswegen auch ganz wesentlich, weil ja sich die Frage stellt, was machen eigentlich Promovierte nach der Promotion, und die meisten werden ja am Ende nicht forschen. Das ist ja der Stand der Dinge, und da ist das unter Umständen die Erfahrung, die sie in der Lehre, zum Beispiel im Umgang mit anderen Menschen gesammelt haben, fast wichtiger, als wenn sie in irgendeinem Detail geforscht haben.

Zum Beispiel meine Doktoranden, die über Grundlagen der Quantenphysik forschen, arbeiten dann hinterher bei Unternehmensberatungen, Versicherungen, Banken und anderen Arbeitgebern, die sich für die Grundlagen der Quantenphysik, denke ich mal, jetzt relativ wenig interessieren, sondern für andere Fähigkeiten, die sie in diesen drei Jahren erworben haben.

Schwarz: Die Abnahme der Doktorarbeit, geschieht die möglicherweise auch in einem hektischen Unibetrieb nur noch nebenbei, was zwar bei Frau Schavan vor 30 Jahren weniger der Fall war, aber heute mehr?

Schollwöck: Also ich würde sagen, die Abnahme der Doktorarbeit, wenn ich überlege, wie viel ein einzelner Lehrstuhl an Doktorarbeiten pro Jahr produziert, das ist in den meisten Fällen nicht besonders hektisch. Es gibt aber sicher Fächer, in denen die Doktorarbeit doch eher, wie soll ich es mal sagen, den Titel produzieren soll, in denen dementsprechend auch in sehr hoher Zahl promoviert wird, und wo ich mir dann schon vorstellen könnte, dass die Einzelprüfung im einen oder anderen Fall nicht mehr so gründlich ausfällt.

Schwarz: Gibt es an den Universitäten auch das Problem, dass möglicherweise eine Kluft zwischen Sein und Schein besteht? Manche Universitätsprofessoren reden davon.

Schollwöck: Natürlich, ich denke, das kann man nicht ganz ausschließen, dass da eine Kluft zwischen Sein und Schein besteht, das ist klar. Auch hier würde ich sagen, wie überall im Leben, aber auch hier gilt, die Kluft zwischen Sein und Schein kann man am besten dadurch beheben, indem man vernünftige Betreuungssituationen für die Doktoranden schafft.

Und diese anderen Situationen – ich meine, wir reden jetzt gerade in den letzten Wochen sehr stark übers Plagiat, die kleine oder große Schummelei, da gehen ja die Meinung, gerade zum Beispiel auch bei Frau Schavan, sehr auseinander, wie man das einzuordnen hat.

Wir reden aber auch relativ wenig im Moment gerade wieder zum Beispiel über dieses Problem der fremd angefertigten Promotionen, die überhaupt nicht von den Doktoranden selbst geschrieben worden sind, wo da aber dann vielleicht alle Zitate perfekt in Ordnung sind, die dann auffallen würden, wenn eben die Doktoranden eingebunden in den Universitätsbetrieb arbeiten.

Schwarz: Ulrich Schollwöck, Vizepräsident des deutschen Hochschulverbandes. Ich danke ihnen für das Gespräch!

Schollwöck: Danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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