Hochschulreform-Debatte

Universitäten im Kriegszustand

03:45 Minuten
793 Studenten sitzen bei der Erstsemesterbegrüßung am Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau in Koblenz-Rheinland-Pfalz im großen Hörsaal.
Studenten in einem Hörsaal. © dpa / picture alliance / Thomas Frey
Von Klaus Dieter Beiter · 14.08.2015
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Die Reform der Universitäten kennt viele Kapitel. Dabei habe die Hochschule Autonomie und Freiheit gewonnen, um sie auf andere Weise gleich wieder zu verlieren, resümiert der Völkerrechtler Klaus Dieter Beiter: von der Selbstverwaltung, über die Einwerbung von Drittmitteln bis zur Exzellenzinitiative.
John Coetzee, der südafrikanische Literaturnobelpreisträger, beklagte kürzlich ihren Niedergang. Bill Readings, kanadischer Literaturprofessor, sah sie bereits 1996 in den Ruinen: Eine Universität, die sich selbstbestimmt und unabhängig mit wesentlichen Fragen des Gemeinwohls auseinandersetzt.
Diese alte "Universität der Kultur" ist einem Paradigmenwechsel zum Opfer gefallen, der sich in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts anbahnte. Seither soll die akademische Lehr- und Forschungsstätte "Arm der nationalen Wirtschaftspolitik" sein, indem sie qualifizierte Fachkräfte ausbildet und wirtschaftlich verwertbares Wissen anbietet.
Wissenschaftliche Unabhängigkeit verloren
Die Hochschulen wurden betriebswirtschaftlich neu ausgerichtet und mit so viel Autonomie wie nie ausgestattet. Und doch haben sie ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit verloren, auch weil der Staat weiterhin am Geldhahn sitzt, und dadurch Einfluss ausübt, dass er Finanzmittel nicht zur Verfügung stellt oder an Leistungskriterien bindet, beispielsweise an die Anzahl der Absolventen.
Außerdem sollen die Fachbereiche verstärkt eigene Forschungsgelder eintreiben – bei der Wirtschaft oder bei Forschungsgemeinschaften. Selten weiß die Öffentlichkeit, woher das Geld kommt und wie externe Aufträge die Forschung beeinflussen. Umfragen zeigen zudem, dass nicht wenige Forscher bewährte "Modethemen" für ihre Projektanträge auswählen, um im Wettbewerb zu bestehen, dafür aber Grundlagenforschung vernachlässigen, die sie eigentlich für wichtig hielten.
Wissenschaftsfreiheit und Selbstverwaltungsrecht gefährdet
Machen wir uns nichts vor: Die Standards der UNESCO sind unter die Räder der neuen Universität gekommen. Es sind dies die Wissenschaftsfreiheit, das Kollegialitätsprinzip, das Selbstverwaltungsrecht und auch die Arbeitsplatzsicherheit. Denn die neue Autonomie hat eine andere Qualität als die alte.
Nicht nur in Deutschland, überall in der EU lässt sich beobachten, dass weder Senate noch Fakultätsräte, dass also das wissenschaftliche Personal kaum noch Einfluss auf strategische Entscheidungen der Hochschulen hat. Rektoren und Dekane werden extern angeworben, müssen eher Managementexpertise als wissenschaftliche Qualifikation vorweisen, erhalten aber eine nie gekannte Machtfülle.
Ihnen wird ein neues Gremium, der Hochschulrat, zur Seite gestellt, ebenfalls vornehmlich extern mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur besetzt, die den Campus kontrollieren sollen. Die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftler ändern sich, vor allem für jüngere werden befristete Verträge zur Regel.
Forschung ökonomisch geprägt
Geisteswissenschaftler leiden mehr als Naturwissenschaftler unter dem neuen Modell des Unternehmens "Universität", Grundlagenforscher mehr als Wissenschaftler sogenannter angewandter Disziplinen. Denn die einen finden leichter Kooperationspartner als die anderen, müssen sich weniger verbiegen, je mehr ihr wissenschaftliches Interesse mit dem praktischen der Geldgeber harmoniert.
Maschinenbau-Ingenieure werden sich weniger beklagen als Forscher, die sich mit feministischen Bildungstheorien oder der Geschichte des Mittelalters beschäftigen. Mittelalterforscher erfüllten für ihn lediglich einen "dekorativen Zweck"; er wolle nur solche Themen finanzieren, die "klar nützlich" seien, meinte Charles Clarke, der britische Bildungsminister des Jahres 2003. Und beschrieb damit markig, wohin die hochschulpolitische Reise geht: hin zu einer stark ökonomisch und politisch einseitig gefärbten Sicht auf das Gemeinwohl, der Lehre und Forschung zu dienen haben.
Weshalb Thomas Docherty, ein englischer Literaturprofessor, nicht von Universitäten im Niedergang oder in Ruinen spricht, sondern von "Universities at War".
Klaus Dieter Beiter, in Windhoek (Namibia) geboren und aufgewachsen, studierte in Südafrika Jura und promovierte an der Universität München über Menschenrechtsschutz im Völkerrecht. Er verfasste eines der internationalen Standardwerke zum "Recht auf Bildung". Zurzeit ist er Marie Curie-Fellow im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm an der University of Lincoln in England und forscht zum Thema "Recht auf Wissenschaftsfreiheit".
Der Völkerrechtler Klaus Dieter Beiter
Klaus Dieter Beiter© privat
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