Hochleistungsschweine am Milch-Automaten

Von Udo Pollmer · 09.12.2012
Ist das Züchten von Hochleistungs-Tieren ein Fall für den Tierschutz? Die Produktivität der Tiere steigt von Jahr zu Jahr. Für den Menschen bedeutet das zumindest einen wirtschaftlichen Vorteil, aber ist das auch ein Fortschritt fürs Tier? Udo Pollmer hat einen Blick in den Schweinestall geworfen.
In der Tierhaltung ist gerade eine neue Diskussion zum Tierschutz entflammt – eine, die längst überfällig ist. Die Frage lautet: Ist das Züchten von Hochleistungstieren ein Verstoß gegen den Tierschutz? Eine Hochleistungskuh gibt heute im Laufe ihres Lebens 100.000 Liter Milch, das ist dreimal soviel wie noch vor 50 Jahren. 1870 legte ein Huhn gerade mal 80 Eier im Jahr, 1950 waren es schon 120 Stück, heute sind es 300. Oder das frohwüchsige Schwein, das am Tag bis zu einem Kilo Gewicht zulegt. Noch dazu hat es einige Rippenpaare mehr – dank konventioneller Züchtung – wegen der Koteletts.

Laut Tierschutzgesetz darf man Tieren keine Leistungen abverlangen, denen sie nicht gewachsen sind. Selbstverständlich haben Leistungssteigerungen Folgen für den Gesamtorganismus. Ein instruktives Beispiel ist die Zucht der Schweine auf mehr Ferkel. Um das in Zahlen auszudrücken: In Deutschland ist die durchschnittliche Zahl der Ferkel pro Wurf seit 2003 von 10,5 auf 13 gestiegen. Die Dänen züchten ihre Sauen gerade auf durchschnittlich 15 Ferkel. Dieses Ziel soll bis zum Jahresende vollbracht sein.

Die vielen Ferkel wollen natürlich gesäugt werden. Also muss die Zahl der Zitzen angepasst werden. Normal waren früher zehn Zitzen, doch inzwischen gibt es Tiere mit bis zu 18 Nippeln. Auch das hat Folgen. Denn nun muss die Milchleistung der Sau optimiert werden. Durch Züchtung und angepasste Fütterung klappt das inzwischen ganz gut.

Was sind die Folgen fürs Tier? Bei Würfen ab 16 Ferkeln sinkt das Geburtsgewicht deutlich und es sterben auch mehr Ferkel. Doch trotz der gestiegenen Produktivität sterben heute insgesamt weniger als noch vor zehn Jahren – vor allem deshalb, weil die Gesundheit der Tiere noch viel mehr von den Fähigkeiten des Betriebsleiters abhängt. Die höchsten Verluste haben gerade nicht Hochleistungsbetriebe - sondern die Bio-Schweine. Der Grund ist das absurde Verbot des Ferkelschutzkorbes, aber die Bioverbände wollen das so.

Bei den Sauen wiederum hängt der Gesundheitszustand nicht nur von der Wurfgröße ab, sondern auch wie lange sie ihren Nachwuchs säugen. Am liebsten würden die Bauern das Problem dadurch lösen, dass sie die Ferkel einfach früher absetzen. Denn je älter die Ferkel, desto mehr trinken sie. Je länger sie trinken, desto größer die Gefahr, dass sie die Muttersau förmlich auslutschen – und dann muss sie erst wieder zu Kräften kommen, bevor sie wieder gedeckt werden kann. Das kostet Geld. Der Gesetzgeber schreibt deshalb eine Frist von mindestens 28 Tagen vor – solange müssen die Ferkel von Amts wegen gesäugt werden.

Was aber tun, wenn eine Sau so fruchtbar ist, dass sie mehr Ferkel hat als Zitzen? Dann werden die überzähligen Ferkel an Sauen weitergereicht, die noch freie Plätze haben. In Dänemark sind viele Sauen inzwischen so produktiv, dass auch das nicht mehr reicht. Deshalb wurde die "technische Amme" erfunden. Das sind Säugeautomaten für überzählige Ferkel. Selbstredend ist bei technischen Ammen der Aufzuchterfolg deutlich schlechter. Die Landwirte begründen ihren Einsatz damit, dass sie die überzähligen Ferkel sonst töten müssten. Die sollten lieber mal nachdenken, ob Züchtungen auf mehr Ferkel als Zitzen sinnvoll sind.

Natürlich bedeutet eine höhere Produktivität preiswertere Lebensmittel und auch eine bessere Ökobilanz, denn umso weniger Energie, Wasser und Futter werden benötigt. Doch nicht die Leistung an sich ist das Problem – sonst wären unsere Schweine heute nicht gesünder als noch vor 20 Jahren. Sondern die Unbekümmertheit der Branche, die einfach alles ausprobiert, was ihr in den betriebswirtschaftlichen Kram passt.

Die Frage, ob technische Ammen nicht nur den Ferkeln den Appetit verderben, sondern vielleicht auch der Kundschaft, hat sich offenbar noch niemand gestellt. Der Gesetzgeber sollte deshalb nicht zögern, diese Ferkelei zu untersagen - und auch den Biobauern endlich die Benutzung des Ferkelschutzkorbes vorzuschreiben. Sonst steht die Branche wieder am Prager – und diesmal völlig zu Recht. Mahlzeit!

Literatur
Hoy S: Ist Hochleistung tierschutzwidrig? DLG-Mitteilungen 2012; H.9: 84-87
Müller K: Was tun bei zu großen Würfen? DLG-Mitteilungen 2010; H.7: 47-49
Weitzel S: Ausgemolken: Die Turbokuh. EU.L.E.N-Spiegel 2009; H.2: 1-2
Berger B: Große Würfe, geringe Verluste – und das mit wenig Aufwand ... PIC-Zeit 2010; Nov: 5-6
Küenzi A: Überzählige Ferkel töten oder aufziehen. Flyer von ATX Suisse
Hühn U: Zuchtarbeit trägt steigenden Anforderungen an die Gesäuge Rechnung. Schweinezucht aktuell 2010; Nr.37: 13-15
Falkenberg H, Hammer H: Züchtungskunde 2008; 80: 315-333
Feller B (Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen) Bau- und Haltungstechnik zur mutterlosen Aufzucht. Präsentation vom Januar 2010
Iben B: Das Gesäuge der Sau: Ontogenese, Anatomie und Histologie der Milchdrüse sowie angeborene und erworbene Anomalien der Zitze. Großtierpraxis 2003; H.12: 16-22