HIV-positive Pastorin in Tansania

Die Kranke, die die Kirche heilt

HIV-infizierte Kinder, die im Krankenhaus von Bukoba in Tansania behandelt werden.
HIV-infizierte Kinder werden im Krankenhaus von Bukoba in Tansania behandelt. © picture alliance / dpa / Hguen
Von Dorothee Adrian · 08.03.2015
Die tansanische Pastorin Melania Mrema ist HIV-positiv – und kämpft unerbittlich gegen die Vorurteile, mit denen Betroffene in vielen Regionen Afrikas umgehen müssen. Wenn eine Pfarrerin HIV-positiv sein kann, dann muss sich niemand schämen.
"Ich bin HIV-positiv, aber ich glaube, dass ich noch lange leben werde, vielleicht 70 oder 80 Jahre alt werde. Darauf sagen mache: Melania – Du? Wie soll das gehen, wo du doch HIV-positiv bist? und ich antworte ihnen: Ich glaube, dass Gott mir hilft. Ich ermutige auch andere Menschen, ihre Hoffnung zu behalten, besonders Menschen mit HIV.
Melania Mrema Kyando ist eine schmale Frau mit kurzen krausen Haaren. Sie wirkt zunächst zurückhaltend, zeigt sich im Gespräch aber sehr ehrlich. Schon oft hat die 52-Jährige ihre Geschichte erzählt, denn ein offener Umgang mit HIV beziehungsweise Aids ist ihr ein Herzensanliegen.
2004 starb ihr Ehemann. Erst nach seinem Tod stellte sich heraus, dass er an Aids gestorben war. Melania hatte ihn zu einem Test gedrängt, doch er wollte nicht. Nach seinem Tod unterzog sie sich einer Untersuchung: Sie war HIV-positiv.
Melania Mrema Kyando ist Pfarrerin der Herrnhuter Kirche im Süden Tansanias. Als sie ihre Diagnose bekam, hatte sie Angst, anderen davon erzählen. Zu stark sind die Vorurteile.
"Ich arbeite in der Kirche, ich leite die Kinder- und Frauenarbeit, und auch deshalb habe ich mich nicht getraut. Ich habe mich gefragt: ‚Wie werden die Menschen darauf reagieren? Vielleicht werden sie mich verurteilen.‘"
Die Leute schweigen - aus Scham
Immer wieder erlebte sie, dass Menschen ausgegrenzt wurden – dass bei HIV-positiven Menschen nicht eingekauft wurde, dass Eltern ihren Kindern den Umgang verboten. Oder dass es in der Kirche hieß: Die infizierte Person ist ein schlechter Mensch.
"Wenn sie jemanden mit HIV/Aids sehen, sagen sie: ‚Dieser Mensch ist ein Sünder.‘ Sogar in Kirchen, vor allem in den Pfingstgemeinden, wurde gepredigt, dass du ein Sünder bist, wenn du HIV-positiv bist. Und dass du in die Hölle kommst, wenn du stirbst, dass Gott dich aufgrund deines Zustandes nicht aufnehmen wird. Und darum haben Leute einfach geschwiegen und wollten nicht darüber sprechen."
HIV/Aids betrifft in Tansania fast jede Familie – Schätzungen gehen von einer Infektionsrate über 15 Prozent in einigen Regionen aus. Dennoch wird die Krankheit häufig tot geschwiegen. Das berichtet auch Claudia Zeising, die im Auftrag des evangelischen Missionswerks Mission 21 in Tansania lebt und eng mit Melania Mrema Kyando zusammenarbeitet.
"In Tansania, oder auch in Afrika generell, ist es nicht anders als hier. Die meisten HIV-positiven Menschen verstecken sich, nach wie vor. In Afrika ist es noch ein bisschen schlimmer, denn die Menschen sind viel stärker in eine große Familie eingebunden. Und wenn ich eine Krankheit wie HIV/Aids habe ist es schon ein Stigma, und damit bringe ich Schande in die Familie. Das führt leider dazu, dass es Menschen gibt, die Angst haben, sich testen zu lassen und in Kauf nehmen eher zu sterben, als Medikamente zu bekommen und ihr Leben dadurch zu verlängern und möglich zu machen."
Ein Jahr nach der Diagnose ging es Melania noch gut, doch dann wurde sie sehr krank: Sie bekam Typhus, Ausschläge, Tuberkulose. Erst die Einnahme von anti-retroviralen Medikamenten verbesserte ihren Zustand. 2007 hatte sie auf einer christlichen Frauenkonferenz in Kenia ein Schlüsselerlebnis: Sie lernte eine Frau kennen, die offen mit ihrer Erkrankung umging. Nach ihrer Rückkehr bat Melania ihren Chef, sich in einer Mitarbeiter-Andacht mitteilen zu dürfen.
"Schon am nächsten Tag erklärte ich dort, dass ich HIV-positiv bin. Einige waren schockiert! ‚Wie kannst du vor anderen Menschen offen davon sprechen?‘ – Andere ermutigten mich sehr und bedankten sich, dass ich es ihnen erzählt hatte."
Wenn eine Pfarrerin HIV-positiv sein kann, muss ich niemand schämen
Schon bald ging die Pfarrerin auch in andere Kirchen und berichtete von ihrer Erkrankung. Ihre Aufklärungsarbeit zog Kreise. Sie gründete eine Selbsthilfegruppe mit dem Namen Lusubilo, was auf Deutsch "Hoffnung" heißt. Sie geht immer wieder auf Kanzeln und in Gemeindegruppen und macht Menschen Mut, sich testen zu lassen und verantwortungsbewusst mit ihrer Sexualität umzugehen. Sie ist die einzige Pfarrerin in ihrer Kirche, die ihre Erkrankung offen thematisiert. Die Leitung sagte deshalb zu ihr: "Unsere Kirche wird durch dich geheilt". Denn wenn auch eine Pfarrerin HIV-positiv sein kann, muss sich niemand dafür schämen.
"Ich verstecke mich nicht. Ich sage den Leuten, dass ich Pfarrerin und HIV-positiv bin. Manche Leute wundern sich: ‚Was? Sogar eine Pfarrerin kann sich mit HIV infizieren?‘ Und ich erzähle ihnen, wie es dazu kam. Das ermutigt viele. Ich denke, wenn ein Christ offen damit umgeht, hilft das den Menschen in der Gesellschaft. Die Kirche ist mitten in der Gesellschaft. Und die Christen können diese Botschaft in die Gesellschaft tragen."
Ihre Rolle als Pfarrerin hat sich mit ihrer Diagnose verändert. Ein- bis zweimal im Jahr veranstaltet sie gemeinsam mit einem Team, mit Chören und Theatergruppen, große Veranstaltungen zum Thema HIV/Aids auf Marktplätzen. Einige Zuschauende würden immer noch verächtlich auf die HIV-positiven Menschen zeigen, doch in den letzten Jahren sei immer mehr Offenheit und Toleranz zu spüren, berichtet sie.
Auf Initiative von Claudia Zeising ist inzwischen ein Porträt-Band über die Mitglieder der Selbsthilfegruppe erschienen, in dem sie ihre persönlichen Geschichten erzählen. Es ist dreisprachig, auf Deutsch, Englisch und Suaheli, und heißt: "positiv leben!" – The joy of being alive. Die Entwicklungshelferin aus Deutschland ist von der tansanischen Pfarrerin begeistert.
"Ich bewundere Melania, weil sie immer da ist für andere. Das sind nicht nur HIV-positive Menschen, das sind auch junge Frauen oder Mädchen, die Probleme haben in der Familie, die sie dann bei sich aufnimmt, dann jede Form von Unterstützung, wenn sie merkt, hier oder da ist ein Problem. Also sie ist immer im Einsatz für andere, und sie tut das aus einer ganz natürlichen Herzenswärme heraus."
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