Hitlers Projekt der Mobilisierung

Rezensiert von Matthias Eckoldt · 28.12.2005
Benjamin Steiningers Buch "Raum-Maschine Reichsautobahn" handelt von Hitlers Projekt der Mobilisierung. Den Autor interessieren dabei an den Straßen vor allem die technischen und kulturwissenschaftlichen Aspekte. Interessanterweiser fährt Steininger selbst nur Rad.
Steininger: "Die Grundspannung, aus der heraus das Buch geschrieben ist, ist ja die zwischen dem Allerkonkretesten und dem Allerabstraktesten."

Bejamin Steininger, Autor von "Raum-Maschine Reichsautobahn". Einem Buch, das von Hitlers Projekt der Mobilisierung handelt. Erfreulicherweise aber nähert sich Steininger nicht über die bis an und über die Grenze zum Voyeurismus ausgeweideten historischen Umstände. Ihn interessieren an den "Straßen des Führers" die technischen und kulturwissenschaftlichen Aspekte, die uns bis heute - mehr oder minder bewusst - in den Bann des gewaltigen Bauwerks schlagen.
Steininger: "Das heißt, wenn wir uns neben eine Autobahn stellen, (...) da stehen wir zwar direkt, sagen wir mal, an der A8, haben aber eigentlich ein ganz befremdetes Gefühl. Das heißt, wir kommen uns ungeheuer distanziert vor, obwohl wir eigentlich mit der Hand auf den Asphalt klopfen können. Und auf der anderen Seite fühlen wir uns ungeheuer heimisch, wenn wir einen Atlas aufschlagen und da den Verlauf dieser Strecke sehen. (…) Das ist eben so der Stachel gewesen, der mich dann dazu gebracht hat, ein bisschen genauer diese Realgeschichte dieses Straßenbauwerks zu untersuchen."

Diese Untersuchung führt der Berliner Kulturwissenschaftler mit Liebe zum Detail und erstaunlichem technischen Sachverstand. Der Leser erfährt, dass die entscheidende Innovation des nationalsozialistischen Autobahnbaus in der Verwendung von Betonplatten bestand. Diese Platten waren verhältnismäßig billig und konnten direkt vor Ort gegossen werden. Auf der Dessauer Rennstrecke wurde 1938 sogar eine Glattheit erreicht, die rein rechnerisch Geschwindigkeiten bis vierhundert Stundenkilometer erlaubte.

Dafür wurde die Strecke von Hand mit nassem Segeltuch abgezogen. Doch Steiniger wäre nicht Kulturwissenschaftler, wenn er bei den harten Fakten stehen bleiben würde, wobei es ihm natürlich hoch anzurechnen ist, dass er sich überhaupt erst einmal um die harten Fakten kümmert, bevor er seine kulturphilosophischen Thesen aufstellt. Die Autobahn hat nicht nur die Individualgeschwindigkeit, sondern auch das Raumgefühl sowie die Naturwahrnehmung des modernen Menschen verändert. Insofern wird die Reichsautobahn vom Autor sehr erhellend als Raum-Maschine betrachtet.

Steininger: "Die Frage ist nun, wo setzt diese maschinelle Bearbeitung eigentlich ein? Und dabei bin ich auf ein ganz breites Spektrum gestoßen an maschineller Überarbeitung des Raumes, der praktisch zwischen den kleinsten bodenmechanischen Bestandteilen bis hin zum großen, nur noch auf der Karte sichtbaren Gesamtraum Deutschland reicht. Das heißt, Raum wird in ganz unterschiedlicher Hinsicht umgestaltet. Wir haben durch die Einführung neuer Techniken plötzlich einen ganz neuen Zugriff auf so etwas wie Boden, auf so was wie Wald und Wiese, auf Täler und Berge. Das heißt, der Zugang zur Natur wird in einer technischen Hinsicht durch dieses Raummaschinenwerk Reichsautobahn ein völlig anderer."
Benjamin Steiningers Studie ist äußerst lesenwert. Das Nebeneinander von technischen Fakten und philosophischen Interpretation machen den Reiz dieses Buches aus, der durch die Abbildung zahlreicher Baupläne und Werbeanzeigen im Umfeld des Prestigeprojekts der Nazis noch gesteigert wird. Und gleichsam nebenher gelingt es dem Autor, uns einen der Startpunkte der so oft beschworenen mobilen Gesellschaft vor Augen zu führen. Der einzige kritische Einwand wäre, dass Steiniger seinen sicheren, plastischen Schreibstil in den Passagen über die technischen Eigenheiten des Autobahnbaus wiederholt einer spröden Ingenieurssprache opfert. Doch darüber wird sich der Leser hinwegzutrösten wissen.

Die Pointe der Geschichte von Benjamin Steininger und der Reichsautobahn ist, dass der Autor des Buches selbst nicht ins Auto steigt. Er ist passionierter Radfahrer und nimmt somit nicht an dem sich in unseren Tagen immer weiter selbst aufhebenden Projekt zur Erhöhung der Individualgeschwindigkeit teil.

Steininger: "Ich glaub', dass es jetzt nicht unbedingt reizvoll ist, sich dieser hohen Individualgeschwindigkeit zu verweigern, aber dass es wohl interessant ist für ein Verständnis hoher Individualgeschwindigkeit genau von dieser Geschwindigkeit zurückzutreten, und dass es reizvoll ist, einen Standpunkt einzunehmen, der eben explizit nicht innerhalb der Maschine liegt. (...) Paul Virillio sagt: "In Geschwindigkeit ist wie in China" - das heißt, man versteht eigentlich gar nichts. (...) Und wenn wir jetzt als Autofahrer an der geschwinden Welt teilnehmen, dann funktionieren wir nur noch als das kleine Rädchen, was halt hinter dem Steuerrädchen sitzt, aber wir haben keinen richtigen Einblick in das, was da funktioniert. Und deswegen kann man sich eigentlich der Autobahn nur wandernd oder fahrradfahrend nähern."


Benjamin Steininger: Raum-Maschine Reichsautobahn
Kadmos Verlag,
256 Seiten, 19,90 Euro.