"Hitlers Bombe"

Rezensiert von Florian Hildebrand · 14.03.2005
"Hitlers Bombe" - so lautet der volltönende Titel des neuen Sachbuchs von Rainer Karlsch. Ist die Atombombe für Hitler nun doch fertig geworden? Nach bisheriger Kenntnis war das deutsche Kernwaffenprojekt während der NS-Diktatur nicht über Vorstudien hinausgekommen. Der Verlag spricht von "sensationellen Ergebnissen" der "Wunderwaffe" Hitlers.
Was der Autor, ein solider Wirtschaftshistoriker an der Humboldt-Universität Berlin, hingegen liefert, sind etliche interessante Fakten der immer noch nicht ganz aufgearbeiteten Geschichte des vergeblichen deutschen Atombombenbaus. So erscheint Carl Friedrich von Weizsäcker zum Beispiel, Mitglied des damals renommierten "Uranvereins", in einem neuen Licht. Er hatte nach dem Krieg immer betont, die Uranspaltung in einem Reaktor so lange hinausgezögert zu haben, bis der Krieg zu Ende war.

Karlsch druckt jetzt den Auszug aus einer Patentanmeldung für eine "Plutoniumbombe" ab, die Weizsäcker bereits im Sommer 1941 verfasst hat. Darin heißt es: "Verfahren zur explosiven Erzeugung von Energie und Neutronen..., dadurch gekennzeichnet, dass das...’Element 94’ in solcher Menge an einen Ort gebracht wird, z.B. in eine Bombe..." Aus dem Patent ist nichts geworden, Weizsäcker hat später nie davon gesprochen, geschweige denn, was er mit dem hochbrisanten Patent anzustellen gedacht hätte.

Rainer Karlsch konzentriert sich ansonsten bei seinen Recherchen auf Forschergruppen, die in Konkurrenz zum "Uranverein" am Bombenbau gearbeitet haben. Dabei stieß er auf ein Gewusel unterschiedlichster Teams von Heer, Luftwaffe und Marine. Ja sogar das Reichspostministerium mischte kräftig mit. Eine geradezu groteske Gemengelange von Profilierungssucht und Kompetenzwirrwarr.

Karlsch zu Folge unternahm noch im März 1945, zwei Monate vor Kriegsende die Gruppe Diebner im Auftrag des Heereswaffenamtes auf dem Manövergelände in Ohrdruf/Thüringen, auf dem auch eine Außenstelle des KZs Buchenwald eingerichtet war, einen Explosionsversuch mit einer Nuklearwaffe. Der Autor zitiert Zeugenberichte, die in den sechziger Jahren Staatssicherheitsoffiziere eingeholt hatten. Danach nahm die Aufsicht führende SS in Kauf, dass durch die Detonation Hunderte Strafgefangene ums Leben kamen, deren Leichen an Ort und Stelle verbrannt wurden. Wer in der weiteren Umgebung wohnte, litt unter den typischen Symptomen einer Strahlenverbrennung. Wie viele Menschen langfristig an den Spätschäden der Strahlenexposition gestorben sind, ist bis heute nicht dokumentiert. Radioaktivitätsuntersuchungen der letzten Jahre durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt an Ort und Stelle ergaben laut Karlsch erhöhte Caesium- und Kobalt-Werte, außerdem wurden Spuren von Uran und Plutonium entdeckt. Einem, von Karlsch zitierten renommierten Kernchemiker von der Universität Marburg zu Folge sind "während der Explosion auch deutlich Kernreaktionen und Energiefreisetzung abgelaufen." Doch laufen noch abschließende Untersuchungen der Bodenproben an europaweit angesehenen Instituten.

Karlsch entdeckte überdies auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz nahe Luckenwalde südlich Berlin die Reste eines, wie er glaubt, funktionsfähigen Reaktors, dessen Reste nach dem Krieg von den Sowjets demontiert und nach Moskau verbracht wurden. Neue strahlenmetrische Untersuchungen ergaben dort in den Fundamenten eine Kontamination mit Uran 235 und 238 sowie mit Plutonium. Nach Karlsch ist der Reaktor höchstens einige Tage bestimmungsgemäß in Betrieb gewesen und dann bei einem schweren Unfall geschmolzen. Das aber lässt sich mit letzter Sicherheit heute nicht mehr festzustellen und wird von Karlsch auch nicht behauptet.

Im Ganzen hat Karlsch also viele neue Details ausgegraben, das manchen der Beteiligten in ein neues Licht rückt. Aber die Geschichte muss deswegen nicht umgeschrieben werden.

Rainer Karlsch
Hitlers Bombe - Die geheime Geschichte der deutschen Kernwaffenversuche
Deutsche Verlagsanstalt DVA München
ca.450 S.
24,90 Euro