Hitler hat seine Absichten "immer sehr offen ausgesprochen"

Moderation: Nana Brink · 02.05.2013
Nach Ansicht des Historikers Ernst Piper ist die Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nazis in der öffentlichen Debatte unterbelichtet. Es sei erstaunlich, dass sich nur wenige Forscher mit den Ereignissen am 1. und 2. Mai 1933 beschäftigten.
Nana Brink: Es war eigentlich klar und nur eine Frage der Zeit, wann die Nationalsozialisten auch die Gewerkschaften gleichschalten würden. Seit Anfang des Jahres erinnern wir ja immer mal wieder an die Machtergreifung der Nationalsozialisten vor 80 Jahren.

Noch versuchten ja die sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften ihre Neutralität zu bewahren, in der Rückschau ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen, denn heute vor 80 Jahren, genau am 2. Mai 1933 war es damit vorbei.

Ernst Piper, Privatdozent an der Universität Potsdam beschäftigt sich besonders mit dem Dritten Reich. Schönen guten Morgen, Herr Piper!

Ernst Piper: Guten Morgen!

Brink: Am 1. Mai 1933 sprach auch Reichskanzler Adolf Hitler auf jener Großveranstaltung auf dem Tempelhofer Feld in Berlin am Kampftag der Arbeiterklasse, und da hören wir jetzt mal rein:

Adolf Hitler: "Wir haben den unerschütterlichen Entschluss, diese große Aufgabe vor der deutschen Geschichte zu erfüllen, haben den Entschluss, die deutschen Menschen wieder zueinander zu führen - und wenn sie nicht wollen, sie zueinander zu zwingen."

Brink: Ja, und das haben die Nazis ja dann auch getan. Führten die Gewerkschaften am 1. Mai 1933 schon nicht mehr Regie?

Piper: Nein, überhaupt nicht. Und, wenn ich das dazu sagen darf, das, was wir gerade gehört haben, ist auch ein sehr gutes Beispiel dafür, dass Adolf Hitler seine Absichten eigentlich immer sehr offen ausgesprochen hat.

Er hat gar keinen Hehl daraus gemacht, dass er gewählt war, Zwangsmaßnahmen anzuwenden, und die Veranstaltung am 1. Mai hatte mit den Gewerkschaften gar nichts mehr zu tun. Sie war ja der Tag der Nationalen Arbeit, war zum ersten Mal ein Feiertag. Die Regierung Hitler hatte den sehr schnell eingeführt. Und natürlich hat man dem Ganzen einen Volksfestcharakter zu geben versucht, eben im Sinne der Ideologie von der Nationalsozialistischen Volksgemeinschaft.

Dahinter stand ja eben auch diese Grundidee, dass das Volk einig sein muss, um also zu nationaler Größe zurückzukommen. Und alle, die schaffen, also das schaffende Kapital und die Arbeiter, die sollten ja eben zu einer Gemeinschaft zusammengeführt werden, dann können wir auch wieder zu nationaler Größe aufsteigen. Und diese Volksgemeinschaft hat man dort eben sehr wirkungsvoll zu inszenieren versucht.

Brink: Nach dem Motto "Du bist nichts, dein Volk ist alles." Was passierte dann genau? Springen wir einen Tag weiter, am 2. Mai, das war ja der eigentliche Tag der Zerschlagung.

Piper: Ja, genau. Da kam dann sozusagen die zweite Seite der Medaille. Da sind im ganzen Reich eben SA-Einheiten vor den Gewerkschaftshäusern aufgefahren, und dann wurden in großem Umfang Gewerkschaftsfunktionäre verhaftet und auch die angeschlossenen Organisationen - es gab ja auch eine Gewerkschaftsbank, es gab Gewerkschaftspresse -, und man hat im Grunde genommen dieser mächtigen Organisation in einem Handstreich das Rückgrat gebrochen.

Brink: Sie haben es auch angesprochen: Es gab ja durchaus auch Vermögen, es gab Häuser, die wurden dann besetzt von der SS, von der SA - was passierte denn eigentlich mit dem Vermögen?

Piper: Es gab ein erhebliches Vermögen. Es gab viele Immobilien, und das ist alles dann in die Deutsche Arbeitsfront eingegangen, die dann am 10. Mai gegründet worden ist, und in der auch am Anfang die nationalsozialistische Betriebszellenorganisation noch eine gewisse Rolle gespielt hat, die aber dann sehr schnell zu einer großen Einheitsorganisation geworden ist, die auch genauso vertikal organisiert war wie die NSDAP, also ganz hierarchisch mit einer Spitze und dann eben so Gebietskörperschaften bis runter zu den kleinsten Bezirken, die dann - am Ende hatte die, 1942, 25 Millionen Mitglieder. Es war die größte Arbeitnehmerorganisation der Welt. Das war auch eine Art Zwangsmitgliedschaft, und die, im Sinne der Ideologie der Volksgemeinschaft eben nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Angestellten im Mittelstand und auch die Arbeitnehmer organisiert hat.

Brink: Was mich bei diesem Aspekt noch interessiert, ist ja auch die Tatsache - oder vielleicht ist es ja keine wirkliche Tatsache -, dass Teile des Vermögens auch zur Gründung des Volkswagenwerkes benutzt worden sind. Was ja durchaus Sinn machen würde, denn ein Volkskörper braucht einen Volkswagen, und dafür nimmt man volkseigenes Vermögen.

Piper: Ja, indirekt ist das schon richtig. Also, der hieß ja damals KDF-Wagen, also KDF ist "Kraft durch Freude", das war die Freizeitorganisation der Deutschen Arbeitsfront, das war ein großes Unternehmen. Das war auch sozusagen eine sehr geschickte sozialpolitische Maßnahme. Das war eine sehr beliebte Organisation. Viele Arbeiter haben da zum ersten Mal in ihrem Leben richtig Urlaub machen können.

Und eine andere Unterorganisation der DAF war eben zuständig für diesen Volkswagen, der hieß am Anfang eben KDF-Wagen. Man hat ja auch eine eigene Stadt dafür aus dem Boden gestampft, die Stadt des KDF-Wagens, die dann nach 1945 in Wolfsburg umbenannt worden ist, so heißt die Stadt heute. Und man kann eine Verbindungslinie herstellen zwischen dem Gewerkschaftsvermögen, was 1933 eben enteignet worden ist und in die DAF überführt worden ist, zu diesen Werken, die dann 1937 gegründet wurden.

Man darf aber natürlich nicht übersehen, dass der große Reichtum der DAF auch darauf beruhte, dass sie eben 25 Millionen Mitglieder hatte, die dort einen doch erheblichen Mitgliedsbeitrag auch leisten mussten. Also das war eine sehr große, sehr mächtige Organisation, an deren Spitze der Reichsleiter Ley stand, die eben ein richtig großes Wirtschaftsunternehmen auch war mit einer eigenen Bank, einem eigenen Versicherungsunternehmen. Das war ja grundsätzlich so, dass im Nationalsozialismus ist ja nicht Industrie verstaatlicht worden.

Man hat ja mit der Wirtschaft sehr gut zusammengearbeitet und hat auch die Unternehmen, wenn sie nicht in jüdischem Besitz waren, mehr oder weniger in Ruhe gelassen, aber es gab da Parallelstrukturen, so wie auch die SS ja ein großes Wirtschaftsimperium aufgebaut hat.

Brink: Der 2. Mai 1933, die Gleichschaltung der Gewerkschaften vor 80 Jahren - warum beschäftigt uns das heute noch, oder warum muss es uns heute noch beschäftigen?

Piper: Ja, es ist so, dass ich immer wieder feststelle, dass es erstaunlich wenig Leute gibt, die sich damit auseinandersetzen. Also auch in relativ umfangreichen Darstellungen über diese Zeit finden Sie meistens nur ein paar vergleichsweise pauschale Sätze über den 1. und den 2. Mai, noch mehr über den 1. Mai.

Ich finde die Ereignisse sehr interessant, wie sozusagen die Ideologie der Nationalsozialisten auch zu ihrem politischen Tun in Beziehung zu setzen, und der 1. Mai ist dazu genauso geeignet wie die Bücherverbrennung am 10. Mai oder der Boykott der jüdischen Geschäfte am 1. April, das sind ja so die Ereignisse, die da im Umfeld liegen, die viel bekannter sind.

Ich würde sagen, diese Trias zeigt sehr gut, wie dieser nationalsozialistische Staat durch drei Gewaltaktionen erst mal der Öffentlichkeit gezeigt hat, dass er jetzt an der Macht ist und sich sozusagen in Szene gesetzt hat.

Brink: Ernst Piper, Privatdozent an der Universität Potsdam. Schönen Dank für das Gespräch!

Piper: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Historiker und Publizist Ernst Piper
Der Historiker und Publizist Ernst Piper© Foto: Cordula Giese /Copyright: Ernst Piper
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