Historisierende Neubauten

Wahrzeichen oder Attrappe

Die Kuppel des Rohbaus des Berliner Schlosses (l), das den Namen Humboldt-Forum trägt, ist am 09.06.2015 in Berlin am Schinkelplatz neben der Schaufassade der Schinkelschen Bauakademie zu sehen.
Die Kuppel des Rohbaus des Berliner Schlosses neben der Schaufassade der Schinkelschen Bauakademie © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Hannelore Dauer · 20.07.2015
Eine Rekonstruktionswelle alter, zerstörter Bauwerke ist in Gang. Handelt es sich dabei um Disneyland-Architektur? Oder um die wertvolle Erinnerung an historisch einzigartige Gebäude? Viele Bürger unterstützen diesen Trend - und treffen auf harsche Kritik.
Grundsteinlegung am Lüneburger Stintmarkt. Ein neues Haus entsteht, es wird genauso aussehen wie das Gebäude, das vorher an diesem Platz stand – direkt an der Ilmenau: das Lösecke-Haus, das 2013 einer Brandstiftung zum Opfer gefallen ist. Der Eigentümer Michael von Hartz:
"Es ist ein altes Kontorgebäude aus dem 19.Jahrhundert, zur Wasserseite hin eben eine Fachwerkfassade, es ist ein sogenanntes Ensemble am Wasser, was eben über die Grenzen Lüneburgs hinaus bekannt ist. Das ist auch der Grund, weshalb wir uns entschlossen haben, dieses Ensemble wieder so zu erstellen, als hätte dieses Gebäude überhaupt nicht gebrannt, wie man es als Postkartenmotiv eben kennt."
Das Stadtschloss in Berlin, die Schlösser in Potsdam und Braunschweig, die Frauenkirche in Dresden – das sind nur einige Beispiele von vielen für Rekonstruktionen, das heißt historisch markante Gebäude, die nicht mehr existieren, werden originalgetreu wieder aufgebaut. Kritiker sprechen von einer 'Rekonstruktionswelle' – ein Architekturtrend, der nicht nur einzelne Bauwerke, sondern ganze Stadtlandschaften betrifft.
Bundesweit gibt es Bürgerinitiativen und Vereine, die zerstörte Bauwerke, einst Wahrzeichen ihrer Stadt, originalgetreu wieder errichtet sehen wollen – in Großstädten und kleineren Gemeinden: von Anklam bis Wesel, von Flensburg bis Nürnberg. Es soll sie wieder geben: Schinkels Bauakademie in Berlin, die Alte Schule in Wismar, das Löseckehaus in Lüneburg:
"Ja, auch mit dem Schriftzug Georg von Lösecke, da sind wir also doch sehr penibel und werden da also nicht Michael von Hartz drauf schreiben. Dieses Gebäude ist nun mal bekannt als das Lösecke-Gebäude, und traditionshalber wird es auch wieder so heißen. Außen, also die Hülle wird so wieder erstehen, auch mit den gleichen Baumaterialien, also mit alten Eichenbalken, mit Klosterformatziegeln. Und auf der Vorderseite werden wir versuchen, entweder die gleichen Ziegel wieder zu bekommen, oder sie werden eben nachgebrannt. Genauso ist es eben so, dass das Dach auch wieder mit altem Schiefer eingedeckt wird, so dass man sagen könnte: wir spielen ein wenig Disneyland."
Aus Alt mach Alt! Handelt es sich also um eine Art "Disneyland-Architektur"? Oder um die Erinnerung an historisch einzigartige Bauwerke, um die Flucht aus einer unsicheren Gegenwart in den Schutzraum der Geschichte – oder um eine Vergegenwärtigung alter Ansichten, wie sie auf Stichen, Fotos und Postkarten bewahrt werden, erweitert um die räumlich gebaute Dimension.
Authentizität kommt abhanden
Norbert Huschner, Beauftragter des Weltkulturerbes in Wismar:
"Wir sind Unesco-Welterbe und zwar nicht mit einem Haus, sondern mit 1750 Häusern in der Altstadt von Wismar. Und das bedeutet, dass man besonders dann verantwortlich mit diesem Erbe umgehen muss. Und deswegen haben wir uns hier entschieden, dass wir keine Rekonstruktionen machen, weil das auch den Grundeigenschaften eines Welterbes widerspricht. Neben dem außergewöhnlichen universellen Wert, den jedes Welterbe haben muss, ist die zweite Eigenschaft die Authentizität. Das bedeutet: die historische Echtheit. Also was bei uns Gotik, Renaissance oder Barock ist, das ist eben auch original der Fall, und wir bauen dann nicht nach, was mal irgendwann weggekommen ist. Und so ist es also heute an der Zeit, in moderner zeitgenössischer Formensprache eine entsprechende Baulücke in einer Stadt zu schließen."
Authentizität eines Bauwerks – das ist die zentrale Forderung der Charta von Venedig von1964, ein international anerkanntes Vertragswerk, das die Schutzwürdigkeit des Kulturerbes regelt, Vorläufer für eine Reihe von Abkommen zum Denkmalschutz in den siebziger Jahren. Demnach kann ein Bauwerk, das nach alten Vorlagen rekonstruiert worden ist, nicht Gegenstand des Denkmalschutzes sein. Dazu muss die historische Form auch aus historischer Substanz bestehen: bis heute geltende Bestimmungen, entwickelt als Reaktion auf die großflächigen Abrisse zugunsten von verkehrsgerechten, ökonomisch durchgeplanten Städten in der Nachkriegszeit.
Wismar, neben dem Turm der Marienkirche: ein freier Platz. Hier stand die Alte Schule, 1945 durch Bomben zerstört.
Benjamin Rätz, Architekturstudent aus Wismar:
"Ja, wir sehen genau vor uns die Überreste des Kellers der Alten Schule, ganz links von uns sehen wir das Archidiakonat, welches ähnliche Stilelemente besitzt, wie die Alte Schule besessen hat. Ich bin für einen Wiederaufbau, den man assoziativ macht. Also ich bin dafür, dass ein Gebäude wieder hinkommt, aber ich bin gegen eine Rekonstruktion."
Es gibt auch in Wismar zum Beispiel am Markt rekonstruierte historische Gebäude, zur DDR-Zeit abgerissen und später originalgetreu wieder errichtet. Was spricht gegen eine Rekonstruktion der Alten Schule?
"Wir schaffen uns damit eine Mentalität der Reproduzierbarkeit, weil ich ja dann alles wieder herstellen könnte, wie es mal war. Und ich verliere die Wertschätzung der tatsächlich alten Gebäude. Man muss sich immer überlegen, was will man: Im Falle der Alten Schule gehen die Meinungen auseinander, gerade weil baugeschichtlich so viel verändert worden ist an dem Bauwerk. Die einen wollen, dass es genauso wieder rekonstruiert wird wie vor dem 14./15. April 1945, als es zerstört worden ist, und andere sagen wieder: Wir wollen es so haben, wie bevor es im 19.Jahrhundert gotisiert worden ist. Und das ist die Frage, ob wir das wollen: wollen wir eine Kulissenstadt haben, oder wollen wir eine Stadt haben, in der wir leben."
Rekonstruktionen kritisch angehen
Rekonstruktionen sind Neubauten, häufig auch mit Nachnutzungen, die in der ursprünglichen Planung nicht vorgesehen waren. Kritiker sprechen deshalb von einer Kulissenarchitektur oder einem Attrappenkult. Manche befürworten stattdessen sogenannte "kritische Rekonstruktionen", historisierende Neubauten, die deutlich als solche erkennbar sind. In der Regel bleiben dabei Parzellengröße der Vorläuferbauten, die Traufhöhe, Fensteranzahl und -lage erhalten. In diesem Sinn hat der Wismarer Benjamin Rätz während seines Studiums einen Alternativvorschlag zur bloß kopierenden Rekonstruktion der Alten Schule entwickelt:
"Wenn ich kritisiere, dann muss ich auch einen Lösungsansatz haben, einen Lösungsvorschlag. Ich habe versucht, einen Spagat zu machen zwischen Wiedererkennung der damals vorherrschenden Situation und der heutigen Architektur. Die Größe des Bauwerks, die Höhe, Breite, die Tiefe, die Dachform, die wesentlichen gestalterischen Elemente habe ich wieder hergestellt, aber aus einer anderen Materialität. Wismar galt früher als die Rote Stadt, weil wir so viele Backsteinbauten hatten, und wir sind heute aber nicht mehr daran gebunden, in der Materialität der Region zu bauen. Und ich habe Metall genommen, Kupfer genommen. Und allein durch den Materialwechsel kann ich zeigen, dass hier was Neues passiert ist. Ich habe eine Kupferplattenfassade entwickelt, die gelocht ist, und dieses hat ein Bild erzeugt, wo man die gotischen Elemente ablesen kann."
Aufgemaltes Fachwerk, Ziegelwände mit eingeritzten Trennfugen oder aus industriell vorgefertigten Platten, Fenster mit aufgeklebten Sprossen, Freitreppen mit Edelstahlgeländer, Treppen- und Schneckengiebel, die Stufen und Schwung verloren haben – die Geschichtlichkeit, die heute die Mehrheit der deutschen Innenstädte vermittelt, ist durchweg vorgetäuscht. Authentische Bauwerke sind selten. Stattdessen herrscht irgendwie Alt-Wirkendes vor: Rekonstruktionen aus vergangenen Jahrhunderten, die heute für Originale gehalten werden oder historisierende Nachbauten, ausgestaltet nach Geschmack, Fantasie und Geldbeutel der Bauherren. Die heutigen Rekonstruktionsinitiativen fordern dagegen Bauwerke zurück, die erkennbar aus bestimmten Stilepochen stammen: steinerne Zeitzeugen, die Brandstiftungen, Bombentreffern oder ideologisch motivierten Abrissen in der DDR zum Opfer gefallen sind. Diese sogenannten Rekonstruktivisten – in der Regel die Bevölkerungsmehrheit – treffen dabei auf Widerstand von Fachleuten aus Kunstgeschichte und Architekturlehre, beim Denkmalschutz oder den Gestaltungsbeiräten in historischen Altstädten.
Norbert Huschner, Unesco Welterbebeauftragter in Wismar, kennt allerdings eine Ausnahme, bei der sich die Beteiligten weitgehend einig waren:
"1989 ist ein so wichtiges Datum geworden, und ein Symbol dafür ist die Frauenkirche in Dresden. Die war ja fast zerstört, und der Rest dieser Frauenkirche ist auch noch abgerissen worden, um dann einer rekonstruierten Frauenkirche Platz zu machen – ein Symbol dass nun die Nachkriegszeit endlich beendet worden ist. Aber es gab ja auch keine Gelder dafür von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, denn es ist kein Denkmal mehr, sondern ein Neubau."
Die Dresdner Frauenkirche
Die Dresdner Frauenkirche© picture alliance / dpa
Die gegenwärtige Debatte pro und contra Rekonstruktion ist im Grunde der Versuch einer Positionsbestimmung moderner Architektur. Zwar ist die Ablehnung einer Bauweise, die traditionelle Formen als unverbindliches Repertoire zur Fassaden-Dekoration verwendet, weit verbreitet, auch die Kritik an der aktuellen Stahl-Beton-Glas-Moderne wächst. Dennoch verläuft hier die eigentliche Frontlinie: zwischen den Traditionalisten und den Vertretern einer Moderne, eine emotionsgeladene Konfrontation, die auch vor Diffamierungen nicht zurückschreckt: 'China-Remake' heißt es einerseits, Bauen wie in Dubai andererseits.
Nostalgischer Kitsch... Wellblechhütten, die sich Avantgarde nennen … Neuschwanstein mit Styropordämmung … Großkistenarchitektur … Dorische Säulen wie bei Dagobert in Entenhausen ... Innenstädte, leer wie Donuts ... Neo-Historismus …
Tatsächlich ergab sich schon im Historismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts dieselbe Frontstellung Alt gegen Neu. Die Wiederbelebung von Gotik, Renaissance oder Barock war auch damals nicht jedermanns Geschmack, eine Kritik, die sich wenige Jahrzehnte später dezidiert gegen die Gründerzeit-Architektur richtete: Reform-Architekten aus dem Bauhaus-Umfeld wollten Ornament und Schnörkel von den Fassaden verbannen, ganze Wohnquartiere aus der Vorgänger-Epoche "glatt rasieren". Die von ihnen favorisierte Schlichtheit und Funktionalität hat bis heute Spuren in der modernen, von vielen als monoton empfundenen Architektur hinterlassen.
Aktuell schlägt das Pendel jedoch wieder um: Von einer "Abstimmung mit dem Möbelwagen" ist die Rede angesichts der Beliebtheit von gründerzeitlichen Altbauquartieren in den Großstädten. Architekten reagieren bereits auf diese Trendwende und bauen neu – mit traditionellen Elementen: mit Fassadenprofilen, Gesimsbändern und Halbpfeilern – wie Jakob Siemonsen, Architekt in Hamburg:
"Die Fassaden zeichnet eigentlich aus, dass wir anlehnend an, sagen wir mal, Gründerzeit, Klassizismus, genau abwägen: Wo liegt eigentlich das Ornament und der Vorteil der Gestaltung, und aber auch der Zusammenhang zu einem konstruktiven Gebäudeschutz, der durch das Ornament gestellt wird. Ums Fenster rum gibt es eine Bekleidung, eine Bekrönung des Fensters, die wiederum das Fenster vor Schlagregen, Feuchtigkeit und allem Möglichen schützt. Es gibt ein Gesims, ein Traufgesims, das die Fassade durch ihren Dachüberstand, den sie ausprägt, schützt. Es gibt Gesimsbänder auf halber Höhe oder Geschosshöhen, die wiederum (auch teilweise abgeblecht) strukturieren, bestimmte Proportionen der Fassade schaffen, die genau einem Schema folgen, aber auch immer einen Gebäudeschutz darstellen. Wir dürfen einfach nicht in Vergessenheit geraten lassen, dass gute Architektur eben auch schon weiter als 100 Jahre zurückliegt und dass wir daraus wieder lernen."
Bauen fast wie im 19. Jahrhundert
Es ist also durchaus nicht unreflektierte Nostalgie, aus der heraus die alten Formen wiederbelebt werden:
"Wichtig dabei ist: Die menschliche Proportion ist aus den Augen geraten und verlorengegangen. Das ist, glaube ich, das Abweisendste, das von vielen modernen Bauten ausgeht, dass, sagen wir, ein Rhythmus oder eine Proportion, die im Groben besteht in dem Gebäude, wird nicht weiter im Detail fortgeführt. Und das ist das Wohltuende an den klassizistischen Bauten. dass man näher rankommen kann und immer wieder dieses Detail in den Proportionen neu entwickelt und aufgenommen sieht."
Bauen wie im 19. Jahrhundert – aber ohne Mansarden und Kniestockfenster für die Bediensteten, ohne Küche im Souterrain und abseits gelegene Dienstboteneingänge: damals fand die sogenannte Gentrifizierung noch unter einem Dach statt, heute in unterschiedlichen Stadtvierteln – eine soziale Spaltung, befördert u.a. durch eine Retro-Architektur, die in schon in der Planung sehr aufwändig ist.
Die Heftigkeit der Debatte um Bauen nach altem oder nach zeitgenössischem Stil zeigt: Die bebaute Umwelt betrifft alle, jeder ist Adressat. "Ansprechend und kontextbezogen" sollten Gebäude sein, so heißt es in den Leitsätzen für den modernen Wohnungsbau der TU Dortmund. Daraus ließe sich die Forderung nach einer in sich schlüssigen Architektursprache ableiten, unabhängig davon, ob modern oder traditionell. Architektur als Kommunikation – so dachte man bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Der Baumeister müsse sich eines Vokabulars bedienen, so hieß es in einem "Architektonischen Lehrbuch" zu Zeiten Karl Friedrich Schinkels, das sich wie aus den "Buchstaben unserer Schrift" zusammensetzt, einfache Zeichen, die sich " auf unendlich verschiedene Weise verbinden" lassen.
"Wir stehen hier am Kupfergraben, und im Hintergrund oder genauer gegenüber vom Schloss befindet sich eine Simulation der Schinkelschen Bauakademie – Simulation insoweit, als es sich um ein Gerüst in originaler Höhe des ehemaligen Gebäudes handelt, das ummantelt ist von einer Plane, die die historische Fassade darstellt."
Wolfgang Schoele, Mitglied einer Bürgerinitiative zur Rekonstruktion der Bauakademie in Berlin. Sie war das letzte große Werk von Karl Friedrich Schinkel, dem preußischen Maler und Architekten. 1836 wurde sie als "Allgemeine Bauschule" eröffnet und war im Folgenden stilprägend für preußische Profanbauten. Im zweiten Weltkrieg brannte das Gebäude aus, wurde zunächst saniert, aber dann von DDR-Planern zugunsten einer sozialistischen Umgestaltung des Zentrums abgerissen.
Für die Nachkommen erhalten
Architekturprofessor Willi Hasselmann, ebenfalls Mitglied der Rekonstruktions-Initiative "Förderverein Bauakademie":
"Wir bemühen uns ja beide schon, man kann sagen, über Jahrzehnte darum, dass das Gebäude wieder errichtet wird, weil in der Form, wie es hier jetzt steht, mit dieser Plane und diesen Gerüststangen kann es ja nicht auf Dauer erhalten bleiben. Die Frage ist für uns jetzt, die wir in der Heut-Zeit leben, ob wir uns nicht diese historischen Gebäude, auch wenn sie jetzt rekonstruiert werden, tatsächlich für unsere Nachkommen erhalten wollen, einfach, um zu zeigen, wie man in den verschiedenen Jahrhunderten, in Preußen, in Deutschland und Europa hier gebaut hat. Wir wollen hier zeigen auch mit dem Schloss, wie Berlin mal ausgesehen hat zu der Zeit, als Schinkel hier gelebt hat, und es sind ja sowieso nur noch ganz wenige Gebäude, die in dieser Form existieren, die meisten sind ja im Zweiten Weltkrieg zerstört worden, und dann, denke ich, ist an diesem Platz hier die historische Rekonstruktion durchaus angesagt."
Schinkels Bauakademie – ein dreigeschossiger Backsteinbau mit vier fast identischen Seiten. Das einfachste Gestaltungselement ist das Rechteck: Horizontale und Senkrechte. Diese Grundbuchstaben, wenn man so will, werden in vielfacher Ausgestaltung auf der ganzen Fassade variiert – in unterschiedlicher Abmessung: mal langgezogen, mal fast quadratisch, im rhythmischen Nacheinander oder einander kreuzend, wiederkehrend in glasierten waagerecht und senkrecht verlaufenden Bändern, in umlaufenden Gesimsen und in geschossübergreifenden Halbpfeilern. Sogar die einzelnen Motive auf den Terrakotten – Figuren aus Mythologie und Baugeschichte, die in unterschiedlichen Haltungen die Rechtwinkligkeit der Fassade kontrastieren –, scheinen ungefähr die Ausdehnung zu haben, die dem Flächenmaß eines Backsteins entspricht.
Die Kupfergrabenlandschaft, von Schinkel geprägt, ist heute eine Stadtlandschaft aus Imitaten: jenseits des Kupfergrabens der Betonrohbau des Berliner Schlosses mit seinem schluchtförmigen Eingangstor – seltsam unzeitgemäß an das babylonische Ischtar-Tor im nahen Pergamon-Museum erinnernd, das neu-alte Reiterstandbild von Friedrich dem Zweiten, bronzebraun wie aus Schokolade gegossen mit vielen falschen Lichtreflexen. Und vor dem Areal der ehemaligen Bauakademie das Schinkel-Denkmal, auf spiegelnder Granitplatte eine scharfkantige Gravur – wie der Grabstein für einen jüngst Verstorbenen.
Verräterische Abweichungen
Genauso würden die heutigen Materialien die Rekonstruktion der Schinkelschen Bauakademie als Neubau verraten: die industriell vorgefertigten Backsteine, die Terrakotta-Imitate, der glatte Sandstein – alles ohne die Patina von 180 Jahren ...
... überflüssiger Purismus, so der Architekturprofessor Hans Kollhoff in einer Kontroverse um die Rekonstruktion der Berliner Bauakademie. Kollhoff schreibt:
"... wenn da für den Kunsthistoriker die eine oder andere Abweichung auszumachen ist, sei’s drum. Darüber kann man promovieren, aber den Millionen ist es egal, und die wenigen kulturell Sensibilisierten und Architekturinteressierten werden lange hinschauen müssen, um Verdacht zu schöpfen ..."
Sein Kontrahent, der Kunsthistoriker Adrian von Buttlar hält dagegen:
"Eine die Differenz von Gegenwart und Geschichte verarbeitende Rekonstruktion erscheint unabdingbar, wenn das neue Gebäude heute wieder wie einst zu Schinkels Zeit, ein Lehrstück höchster Baukultur und kein Freilichtmuseum sein soll ...",
abgedruckt in einem Architektur-Führer des Schinkel-Zentrums der Technischen Universität Berlin, der die noch vorhandenen Bauwerke aufführt – dazu aber auch die nicht mehr existente Bauakademie. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Herausgeber fest mit einer zukünftigen Rekonstruktion rechnen.
Schinkel selbst hat vor einer Nachahmung gewarnt: "Ziegel – schön und gut. Aber viel Kosten und viel Aufwand."
Wie würde Schinkel sich wohl heute entscheiden? Frage an Wolfgang Schoele von der Initiative zur Rekonstruktion der Bauakademie:
"Er war einmal in Preußen der erste Denkmalpfleger und hat einige Gebäude rekonstruiert, beispielsweise den Brandenburger Dom – auf der anderen Seite hat er aber den Satz gesagt, dass nur der lebendig ist, der was Neues schafft. Schinkel gilt für beides – also sowohl für die Rekonstruktion als auch dafür, Neues zu schaffen."
Berlin, am Kupfergraben: Die riesige Plane mit dem schon etwas verblichenen Aufdruck der roten Backstein-Fassade bewegt sich leicht im Wind – wie einst ihr Spiegelbild auf dem nahen Wasser. Und an der gemauerten Musterecke leuchten die glasierten Ziegelbänder: dunkel-violett oder gelblich-hell – je nach Lichteinfall.
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