Historische Zeitungsseiten gegen ein schlechtes Image

Von Michael Meyer · 16.01.2010
Der Axel-Springer-Verlag will seine eigene, umstrittene Geschichte aufarbeiten: Unter www.medienarchiv68.de ist ab sofort eine Online-Dokumentation mit fast 6000 Artikeln von 1966 bis 1968 einsehbar. So soll das Negativ-Image, das der Verlag wegen der ihm zugeschriebenen Rolle in der Studentenrevolte besitzt, korrigiert werden.
"Wir kennen nur einen Terror: Und das ist der Terror gegen unmenschliche Maschinerie. Die Rotationsmaschinerie von Springer in die Luft zu jagen und dabei keine Menschen zu vernichten, scheint mir eine emanzipierende Tat zu sein."

Rudi Dutschke – ein Ausschnitt aus einer seiner vielen Reden. Die Studentenunruhen von 1968 – die ihren Ursprung in den USA und den dortigen Protesten vor allem gegen den Vietnam-Krieg hatten – beschäftigen noch heute Historiker und Journalisten – und in Deutschland auch den Axel Springer-Verlag.

Der Verlag hatte damals im eingemauerten Berlin eine marktbeherrschende Stellung: Man erreichte mit den Boulevardblättern "BILD" und "BZ", der "Berliner Morgenpost" und der überregionalen "Welt" und der "Welt am Sonntag" zwei Drittel aller Leser. Alle Blätter bekämpften – mal mehr, mal weniger - publizistisch die linke Studentenbewegung – und hielten sich mit Kritik an den Protestierenden nicht zurück.

Vor allem das Berliner Lokalblatt "BZ", das bis in die 80er-Jahre hinein die schrillsten Schlagzeilen innerhalb des Springer-Verlags produzierte, drosch oft mit überzogener Härte auf die Studentenbewegung ein. Das Blatt der sogenannten kleinen Leute, stets zuständig für die Lufthoheit über Berliner Stammtischen, hatte beispielsweise im Juni 1967 nach dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg zynisch gehämt: "Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen".

Die Berichterstattung in den Jahren von 1966 bis 68 beschäftigt den Axel Springer-Verlag bis heute. Der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner fördert seit Jahren eine Aufarbeitung der Verlagsgeschichte. Dass die für den Herbst letzten Jahres angesetzte Runde mit den Kritikern von einst nicht stattfand, findet der Chefredakteur der "Welt", Thomas Schmid schade. Schmidt ist selbst ehemaliger protestierender Frankfurter Student:

"Ich hätte das gerne gemacht, ich glaube es wäre gut gewesen, wenn die Akteure von damals, und zwar von beiden Seiten, bereit gewesen wären, zu gucken, und zwar den zweiten Blick auf ein Ereignis, man sieht ja 40 Jahre später ganz anders. Auch da wiederum ohne die Erregung von damals, nüchtern darauf zu gucken, was hat man möglicherweise falsch gemacht auf beiden Seiten. Und da war ich natürlich enttäuscht, dass das Tribunal nicht zustande gekommen ist, und offensichtlich auch an einer Front gegen dieses Tribunal geschmiedet worden ist, was ich ein bisschen kläglich fand."

Nun will der Springer es noch einmal mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte versuchen: Unter www.medienarchiv68.de ist ab sofort eine Online-Dokumentation mit fast 6000 Artikeln von 1966 bis 1968 einsehbar. Dort können interessierte Leser, Wissenschaftler und Journalisten genau die Berichterstattung von damals recherchieren – die Originalseiten der Zeitungen sind aus Authentizitätsgründen komplett ins Internet gestellt worden. Nutzer des Archivs bekommen so auch einen Eindruck davon, wie der jeweilige Artikel damals optisch in der Zeitung aufgemacht war.

Viele Artikel sind auch 40 Jahre danach noch genauso hetzerisch und erlauben keinerlei Verklärung. Andere Texte stellen sich bei genauerem Lesen als deutlich differenzierter dar, als vermutet. So stellt die "BZ" beispielsweise am 4.Juni nach dem gewaltsamen Tod von Benno Ohnesorg die Frage, warum Polizisten überhaupt Waffen tragen müssen. An anderer Stelle, nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, titelte die "BILD-Zeitung": "Millionen bangen mit" – ein durchaus positiv gestimmter Artikel, der das Attentat eindeutig verurteilt. Thomas Schmid, Chefredakteur der "Welt":

"Es gab viele Artikel, die von großem Interesse geprägt waren, herauszubekommen: Was bewegt eigentlich die Studenten an der FU, die da draußen Demonstrationen machen, Teach-Ins machen, da gab es schon ein Erkenntnisinteresse. Es gab auf der anderen Seite auch ein paar schlimme Karikaturen, es gab sicher auch Leitartikel, auch Gastbeiträge, die nicht so gut waren,(...) man muss auf der anderen Seite auch sagen, und das haben wir festgestellt, dass der Korpus der Texte und Karikaturen, von dem man eindeutig sagen muss: Da ist eine gewisse Linie überschritten, das geht nicht, das ist Hetze. Die gibt es, aber dieser Korpus ist viel, viel kleiner, als selbst ich vor einem Jahr geglaubt hätte."

Doch bei einer Versöhnungs-Debatte wollen nicht alle mitmachen: Der Schriftsteller Peter Schneider, einer der Mitinitiatoren der damaligen "Anti-Springer-Kampagne", hatte sich im letzten Jahr lautstark einer Teilnahme an dem zweiten Versuch eines Springer-Tribunals verweigert. Zwar beschäftige ihn das Thema nicht mehr, aber, so Schneider, festzuhalten bleibe, dass das schlechte Image des Verlags für ihn nicht nur in der Berichterstattung von damals begründet liege:

"Ich glaube, die Theorie ist, dass der Ruf des Springerkonzerns nachhaltig geschädigt worden ist, und sogar über die Generationen hinweg habe sich das gehalten. Ich halte das ehrlich gestanden für eine etwas zu kurz geratene Analyse, denn man braucht ja nur jeden vierten Tag in die 'BILD-Zeitung' zu gucken (...) Aber gut, sie sind davon überzeugt, dass man den Schaden, der ihnen entstanden ist aus der Springer-Kampagne, und der ist ja unbestreitbar, den Rufschaden, dass man den beseitigen kann indem alle ihre Fehler zugeben, und hinterher schüttelt man sich die Hand. Das wird aber nicht geschehen, ich habe ja auch gesagt (...).So viele Fehler ich gemacht habe, die Springer-Kampagne gehört nicht zu meinen Fehlern."

Die Rolle des Springer-Verlags zur Zeit der bundesdeutschen Studentenrevolte harrt noch immer einer wissenschaftlich fundierten Analyse. Die jetzt erschienene Online-Dokumentation wird da nicht reichen. Allerdings hofft der Verlag darauf, wie Springer-Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner in einem Grußwort schreibt, auf einen "neuen Impuls für die weitere Debatte und eine wissenschaftliche Aufarbeitung." Und in der Tat: Ein Schlusssatz in der Diskussion um den Springer-Verlag und 68 fehlt bis heute.
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