Historiker Paul Nolte über Donald Trump

Ein irrlichternder Mann der Mitte

Der neue amerikanische Präsident Donald Trump auf der Bühne mit seiner Frau und seinem Sohn.
Der künftige amerikanische Präsident Donald Trump auf der Bühne mit seiner Frau und seinem Sohn. © SAUL LOEB / AFP
Paul Nolte im Gespräch mit Nana Brink · 10.11.2016
Man sollte Trump sorgfältig beobachten, ihm aber auch eine Chance geben, mahnt der Historiker Paul Nolte. Gerade in gesellschaftspolitischen Fragen könnte der künftige Präsident sich als liberaler erweisen, als viele befürchteten.
Möglicherweise ist Donald Trump nicht oder jedenfalls nicht nur der rechtspopulistische Hardliner, als der er hierzulande wahrgenommen wird.
Wenn man überhaupt eine Art politisches Positionierung bei Trump vornehmen könne, sei er "paradoxerweise in mancher Hinsicht im amerikanischen System ein Mann der Mitte", so der Historiker Paul Nolte im Deutschlandradio Kultur. "Ich sage das mit aller Vorsicht und wohlwissend um seine rassistischen und antidemokratischen und natürlich auch rechtspopulistischen Ausfälle."
Aber in gesellschaftspolitischen Fragen habe sich der künftige Präsident bei allem Irrlichtern liberaler gezeigt als etwa "Programmkonservative" wie Ted Cruz oder die "Tea Party"-Bewegung. "Ich glaube, in gesellschaftspolitischen Fragen werden wir da vielleicht auch noch manche Überraschung und vielleicht mehr Gelassenheit erfahren, als die schlimmsten Befürchtungen erwarten ließen."
Viele von Trumps Anhängern seien "tatsächlich politisch und ideologisch orientierungslos", so der Historiker. Vielleicht bestehe sogar die Chance, dass Trump diese Menschen wieder einbinde. "Aber wir müssen ihn und das, was er politisch macht – ihm eine Chance geben, aber auch ganz sorgfältig und kritisch beobachten und ihn an seinen Taten jetzt messen."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Donald Trump, der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird ab jetzt zu dem, was er nach eigenen Aussagen nie sein wollte, also zu jemandem, der er nie sein wollte, nämlich zu einem Politiker.
Sein Wahlkampf bestand aus vehementen Abgesängen ja auf das Establishment, das er als korrupt und unfähig dargestellt hat, inklusive seiner Kontrahentin Hillary Clinton, aber interessanterweise ist seine Strategie ja aufgegangen, sie hat bei einer großen Mehrheit der Amerikaner verfangen. Warum? Das will ich jetzt besprechen mit Professor Paul Nolte. Er ist Historiker an der Freien Universität Berlin und zurzeit Richard-von-Weizsäcker-Fellow in Oxford. Einen schönen guten Morgen, Herr Nolte!
Paul Nolte: Schönen guten Morgen, Frau Brink!

Trumps Wahlkampf folgte einem "klassischen populistischen Muster"

Brink: Ist das, wovon Trump spricht, wirklich eine "Bewegung"? Das ist der Begriff, den er benutzt hat gestern bei seiner Rede.
Nolte: Es ist tatsächlich ja nicht eine normale Wahlkampagne gewesen. Und offenbar ist er ja erfolgreich gewesen mit der Seelenruhe, die er auch ausgestrahlt hat – ich muss das gar nicht machen, was die Hillary da macht, das, was die Amerikaner immer schon gemacht haben, diese große Basiskampagne aufbauen in jeder größeren Stadt, in jedem Staat ein Team von lokalen Wahlkämpfern installieren, eine große – das hatte Obama ja so eindrucksvoll vorgeführt –, die sozialen Medien nutzen – ich bin ich und appelliere einfach an die Leute.
In dem Sinne ist es auch keine Bewegung gewesen, weil man unter Bewegung ja auch etwas Organisiertes sich vorstellt, Leute, die sich dann auch von unten autonom so in dem, was wir eine soziale Bewegung nennen, auch organisieren. Es ist ein klassisches populistisches Muster eigentlich in vieler Hinsicht gewesen. Ein Führer, eine Führungsfigur, die an eine Masse appelliert, an Individuen, die sich für sich eigentlich, die sind gar nicht untereinander organisiert oder zusammen bewegt sind, sondern die individuell und oft ja auch sehr verloren und eingekapselt ihre Ängste spüren und auf diese populistische Figur projizieren.

In mancher Hinsicht ein "Mann der Mitte"

Brink: Hat er das dann irgendwie ideologisch untermauert, was er gemacht hat? Hatte man ja nicht den Eindruck.
Nolte: Trump war ja in mancher Hinsicht, wenn man überhaupt so eine Art von politischer Positionierung bei ihm vornehmen kann, war ja paradoxerweise in mancher Hinsicht im amerikanischen System ein Mann der Mitte. Ich sage das mit aller Vorsicht und wohlwissend um seine rassistischen und antidemokratischen und natürlich auch rechtspopulistischen Ausfälle.
Aber er hat sich ja ganz klar abgegrenzt von dem, was eigentlich ganz stark das amerikanische politische System und auch die Gesellschaft, die ganze Kultur in den letzten Jahrzehnten ausgemacht hat, nämlich diese extreme Polarisierung zwischen Linken, Sozialdemokraten würden wir vielleicht im weitesten Sinne sagen, also dem, was man in Amerika liberal oder progressiv nennt, und den ganz stark konservativen, den Programmkonservativen, den Leuten wie Ted Cruz, die ja in großer Gegnerschaft zu ihm waren, die ganz stark eine konservative Position vertreten, die in Deutschland vielleicht sich teilweise mit dem überlappt, was die AfD bei uns will, die also eine konservativ gewordene Leerstelle, die sie jedenfalls reklamiert, besetzt, weil die CDU und die CSU in die Mitte gerückt seien.
Und da hat sich Trump eigentlich gesellschaftspolitisch auch in vielen Fragen, obwohl er auch da immer wieder natürlich geirrlichtert ist, hat er sich ja liberaler gezeigt – kein knallharter Kurs gegen Abtreibung – also ich glaube, in gesellschaftspolitischen Fragen werden wir da vielleicht auch noch manche Überraschung und vielleicht mehr Gelassenheit erfahren, als die schlimmsten Befürchtungen erwarten ließen.
Nolte steht im schwarzen Jackett und hellblauen Hemd vor einer weißen Wand, das Bild zeigt seinen Kopf und seine Schultern.
Der Historiker und Autor Paul Nolte, seit 2005 Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin, aufgenommen am 14.10.2012 in Köln.© Horst Galuschka / dpa

Nicht die Ärmsten der Armen haben Trump gewählt

Brink: Aber trotzdem hat er ja was versprochen. Er hat es ja geschafft, eine große weiße Wählerschaft – das hat man ja immer jetzt so stereotyp auch in den letzten Tagen gesagt, also der angry white man, also die frustrierten weißen nicht gut Gebildeten. Das hat sich ja auch in Teilen als falsch herausgestellt, weil sehr wohl über 50 Prozent auch der akademisch Gebildeten, sehr viele Frauen auch ihn gewählt haben – was hat denn dann verfangen? War das nur sein Typus, wenn es nicht eine Ideologie war?
Nolte: Also auch da muss man, glaube ich, wieder in die Gesellschaft hineinschauen und in die Probleme, die die amerikanische Gesellschaft seit Langem schon kennzeichnen. Und tatsächlich, es sind nicht – das gilt ja ganz ähnlich auch für die soziale Attraktivität des Populismus in Europa, auch gerade in Deutschland, wo die AfD ja in vieler Hinsicht auch als ein – sowohl in der Führung als auch in der Anhängerschaft auch ein Problem, wenn man so will, Bewegung von Akademikern, von Professoren ja bei uns in Deutschland sogar ganz stark gewesen ist und auch gut situierte Leute erreicht.
Also, es ist nicht nur das Ökonomische, es sind sicherlich nicht die Ärmsten der Armen und die Marginalisierten, das wären in den USA ja ohnehin, nicht ausschließlich, aber doch ganz stark, auch die schwarzen Amerikaner.
Es sind eigentlich drei Probleme, die sich überlagern, diese ethnische und Race-Problematik, also die Frage der Hautfarbe, Schwarz gegen Weiß, und das Gefühl der weißen Bevölkerung in dieser zunehmend multikulturellen, farbigen Gesellschaft auch, in der die Weißen auf lange Sicht die Minderheit werden, in den Hintergrund zu geraten.

Transformationsprobleme im "Rust Belt"

Dann sind es zweitens die Kulturkämpfe, die ich schon angesprochen habe – Abtreibungsfrage, Homosexualität, das spielt in den USA eine noch viel schärfere Rolle, als das in Deutschland und in Europa zum Teil ja auch der Fall ist.
Und dann drittens aber doch auch die ökonomischen Fragen. Die USA sind mit dem Ende der Industriegesellschaft viel schlechter zurechtgekommen, als das vielen europäische Staaten, gerade auch in Deutschland, gelungen ist, und das erklärt den großen Erfolg von Trump in den Staaten des sogenannten Rust Belt, des alten rostenden Industriegürtels in Ohio, in Wisconsin, in Michigan, dort wo Alternativen zur Industriegesellschaft nicht so gut gefunden worden sind, wo der Übergang nicht so abgefangen worden ist auch durch andere begleitende Prozesse, wie das bei uns im Ruhrgebiet zum Beispiel der Fall war.

Die Abwendung vom "Establishment" ist nichts Neues in den USA

Brink: Haben wir dann diese Abwendung von der etablierten Politik unterschätzt? Oder die Amerikaner, die anderen Amerikaner ihn unterschätzt?
Nolte: Ein Stück weit natürlich. Nach so einem Wahlergebnis kann man sagen, haben sie ihn unterschätzt. Aber in Amerika haben wir sie eigentlich schon ganz lange beobachtet, sie hat immer auch sich verschiedene Ausdrucksformen gesucht, und wie das so ist in der Geschichte, dann kommt es so, aber doch auf etwas andere Weise als erwartet.
Vor vier Jahren oder vor acht Jahren haben wir auf die Tea Party geschaut, da war eigentlich genau dasselbe Phänomen schon, eben in einer weniger populistischen, sondern eben eher in dem vorhin genannten Sinne radikaler konservativen Basisbewegung – da war es wirklich eine Bewegung, die ist nicht machtpolitisch zum Zuge gekommen, mit Sarah Palin vielleicht und anderen, an deren Namen wir uns vielleicht noch erinnern, sondern eben in dieser populistischen Trump-Variante, aber das Phänomen ist eigentlich schon so da gewesen, dass man nicht ernsthaft sagen kann, wir hätten das unterschätzt.

Trump kann mit den Menschen "spielen"

Brink: Aber wenn es jetzt keine Bewegung ist, wie Sie sagen, sondern wenn er das einsammelt, dieses, was ja auch diffus ist ein bisschen, dieses diffuse Unbehagen mit dem politischen System, mit der Situation an sich, wie macht man dann daraus Politik?
Nolte: Das ist eine große Frage. Man sah ja auch gestern, als Trump dann seine ersten Worte gesprochen hat an seine versammelte Anhängerschaft, dass er mit den Menschen spielen kann. Das ist gefährlich, aber, wenn ich so sagen darf, das kann dann auch einen Moment hoffnungsvoll machen. Dann sagte er ja etwas Furchtbares über seine politischen Gegner oder über Minderheiten, und seine Zuhörer rufen "Lock her up" und klatschen ihm Beifall zum –
Brink: Also "Sperrt sie ein", ja, ja.
Nolte: Sperrt sie ein, tut sie ins Gefängnis, oder jawohl, Beifall, lasst keine Muslime mehr in die USA rein. Und dann sagt er im nächsten Moment und nach der Wahl – und ich hoffe, dass sich dieser Duktus, diese Haltung fortsetzt und durchhält, wir schulden Hillary Clinton eine ganz große Dankbarkeit für das, was sie geleistet hat, und lasst uns nun zusammenarbeiten, und erhält dafür auch Beifall.

Eine Chance, die Orientierungslosen einzubinden?

Also, diese Menschen sind auch tatsächlich politisch und ideologisch orientierungslos und deswegen kommt es jetzt wirklich in besonderer Weise darauf an, was macht Trump und die Führung. Vielleicht besteht sogar darin eine Chance, dass er Menschen auch wieder zurückholt und einbindet. Aber wir müssen ihn und das, was er politisch macht – ihm eine Chance geben, aber auch ganz sorgfältig und kritisch beobachten und ihn an seinen Taten jetzt messen.
Brink: Vielen Dank! Der Historiker Paul Nolte. Vielen Dank für diese Einschätzungen zum neugewählten amerikanischen Präsidenten.
Nolte: Vielen Dank, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema